Hamburg . Wie bei der Autobahn A 7 könnte ein Deckel über einzelne Streckenabschnitte gebaut werden. Es gibt schon ein Vorbild.

Der Plan ist spektakulär und könnte Tausende neue Wohnungen schaffen: In Hamburg sollen Gleisanlagen überbaut werden. Das ist zumindest die Idee von SPD und Grünen, die in Hamburg gemeinsam regieren. „Wir brauchen mehr Kreativität bei der Wohnraumgewinnung und müssen eben auch auf ungewöhnliche Weise Platz für die wachsende Zahl der Einwohner schaffen“, sagte SPD-Stadtentwicklungsexperte Dirk Kienscherf dem Abendblatt.

Für Kienscherf steht fest, dass sich „an und über Gleisanlagen erhebliche Potenziale verbergen. Einzelne Trassen könnten mit einem Deckel versehen werden. Auf der neu geschaffenen zweiten Ebene über den Gleisen würden erhebliche Raumpotenziale für Wohnen und Arbeiten, aber auf für Freizeit, Erholung und Grün entstehen.“ Auch Grünen-Stadtentwicklungsexperte Olaf Duge ist überzeugt von dem Plan: „Wir wollen durch Gleisüberbauungen auch getrennte Quartiere wieder zusammenführen, neue Frei- und Grünräume und neue Wegverbindungen schaffen.“

Beim Handelskammer-Campus in der Innenstadt  wurde eine solche Lösung bereits realisiert
Beim Handelskammer-Campus in der Innenstadt wurde eine solche Lösung bereits realisiert © Klaus Bodig

Die Bürgerschaft wird sich in Kürze mit diesem Thema beschäftigten. Grüne und SPD bringen in der nächsten Woche einen gemeinsamen Antrag ein, in dem der Senat aufgefordert wird, „kreative Konzepte bei der Entwicklung urbaner Räume zur Schaffung von Wohnraum (...) zu berücksichtigen“. Dabei sollen insbesondere auch Gleisanlagen in Betracht gezogen werden: „Der erste Schritt ist es zu prüfen, welche Standorte für eine solche Überbauung in Hamburg überhaupt geeignet sind“, sagte Kienscherf.

Erste Standorte bereits im Blick

Der Stadtentwicklungsexperte hat schon mögliche Standorte im Blick: Einen Abschnitt der U-Bahn-Linie 3 zwischen den Haltestellen Feldstraße und Sternschanze sowie zwei Abschnitte auf der Linie U 2 vor und hinter der Haltestelle Hagenbecks Tierpark. Auch auf der S-Bahn-Strecke vor und hinter der Haltestelle Wandsbeker Chaussee sieht Kienscherf Flächenpotenzial.

Ein Beispiel, wie eine Überbauung von Gleisen aussehen kann, ist der im Februar 2014 eröffnete Innovationscampus der Handelskammer am Adolphsplatz. Das Gebäude wurde über der Strecke der U 3 realisiert. Eine Herausforderung für die Planer: Die Gründungspfähle mussten zwischen Hochbahnanlagen, Uferwänden und etlichen Leitungen in den Boden gebracht werden. Der U-Bahn-Betrieb lief weiter. Um den Bau vor Schwingungen zu schützen, planten die Ingenieure ein sogenanntes Elastomerpolster zwischen Fundamenten und dem eigentlichen Gebäude, um so Erschütterungen und Schalllärm durch eine Entkopplung abzuhalten.

Unterstützung für die Idee kommt von der FDP

Auch die Österreicher haben Erfahrungen mit diesem Thema: Der Bahnhof Wien Mitte wurde überbaut. Dort entstand bis 2012 ein rund 130.000 Qua­dratmeter großer Gebäudekomplex mit Büros, Einzelhandel und Gastronomie.

Die Idee von SPD und Grünen, erhält auch Unterstützung aus der Opposition. „Wir brauchen dringend Wohnraum, deshalb sollte man auch über den Tellerrand hinwegschauen. Darum finde ich es grundsätzlich gut, wenn auch über die Überbauung von Gleisen nachgedacht wird“, sagte FDP-Stadtentwicklungsexperte Jens Meyer. Der Liberale machte aber auch darauf aufmerksam, dass es noch viele offene Fragen zu klären gebe, zum Beispiel in Bezug auf den Lärmschutz.

Auch Investoren begrüßen die Initiative: „Hamburg benötigt dringend Wohnraum, und wir als Projektentwickler und Bauunternehmen sind natürlich interessiert daran, dass neue Flächenpotenziale geschaffen werden. Deshalb finden wir auch eine Überbauung von Gleisanlagen eine spannende Option“, sagte Jan Petersen, Geschäftsführer der Aug. Prien Unternehmensgruppe. Petersen weist aber auch auf die Baukosten hin, die „aufgrund von Anforderungen an Statik, Erschütterung und Lärmschutz nicht ganz unerheblich sein dürften.“

Vorhaben braucht breite Bürgerbeteiligung

In diesem Punkt zeigt sich auch Oberbaudirektor Jörn Walter skeptisch: „Im Prinzip ist das eine gute Idee, aber in der Umsetzung meist zu teuer und aufwendig.“ Das Thema beschäftigt auch SPD-Politiker Kienscherf: „Natürlich spielen die Kosten eine große Rolle. Denn wenn die Baukosten zu hoch sind, könnten wir auch unser Ziel nicht verfolgen, neuen bezahlbaren Wohnraum anzubieten.“

Grünen-Stadtentwicklungsexperte Duge betonte zudem, dass bei diesem Vorhaben nicht allein eine politische Diskussion geführt werden könne. „Natürlich können die Planungen nur mit einer breit angelegten Bürgerbeteiligung umgesetzt werden. Ziel ist es, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig die Lebensqualität für die Menschen zu erhöhen.“