Hamburg. Schwanenvater lässt seine Schützlinge wegen Virusgefahr nicht ins Freie. Hamburger Tierheime an Kapazitätsgrenze angelangt.

Seit 425 Jahren stehen die Alsterschwäne, die Hamburger Wahrzeichen, unter dem Schutz und der Fürsorge der städtischen Behörden. Doch gerade diese Fürsorge führt nun dazu, dass die Wahrzeichen vorerst unsichtbar bleiben. Wegen der Geflügelpest müssen die Tiere im Winterquartier bleiben. „Niemand kann momentan sagen, wann sie wieder auf die Alster dürfen“, sagt Schwanenvater Olaf Nieß. Klar ist nur: Der für den 21. März geplante Rücktransport auf die Alster ist gestrichen. „So etwas hat es in dieser Form noch nicht gegeben“, sagt Nieß, seit 25 Jahren amtlich bestallter Schwanenkümmerer.

Nieß will kein Risiko eingehen. Sterbende Alsterschwäne: Dieses Szenario soll unbedingt vermieden werden. Und nach dem jüngsten Fund eines an der Geflügelpest verendeten Tieres in Hamburg ist dieses Szenario eben gar nicht so unwahrscheinlich. Denn es war ein Schwan, den man in Wohldorf-Ohlstedt entdeckt hat.

Die behördlichen Anordnungen nach einem solchen Fall sind immer dieselben. Rund um den Fundort werden ein Sperrgebiet (drei Kilometer Umkreis) und ein Beobachtungsgebiet (zehn Kilometer Umkreis). In diesen Bereichen gelten unterschiedliche Restriktionen für Nutzgeflügelhalter, zum Beispiel eine Stallpflicht. Ziel: Die Ausbreitung der Geflügelpest, die schon seit Anfang November in Deutschland wütet, soll verhindert werden.

Alsterschwäne gelten als Wildvögel

Doch die Alsterschwäne fallen nicht unter diese Geflügelpest-Verordnung. Sie gelten nicht als Nutzgeflügel, sondern als Wildvögel. Nieß könnte also eigentlich selbst entscheiden, ob er seine Schwäne freilässt. Dennoch hat die Gesundheitsbehörde empfohlen, es vorerst nicht zu tun. „Das Risiko einer Ansteckungsgefahr ist zweifellos gegeben“, sagt Behördensprecher Ricco Schmidt.

Dort, wo sich die Schwäne derzeit befinden, sind sie auf jeden Fall geschützt. Nieß hat ihnen um Ufer der Eppendorfer Mühlenteichs eine Zeltanlage aufgebaut – mit einem kleinen Teich. Für die Mitarbeiter, die die Vögel versorgen, gelten strenge Desinfektionsregeln. Folge: Die Geflügelpest hat den 120 Tiere zählenden Bestand bislang verschont. „Die Schwäne sind gut durch den Winter gekommen, die halten es hier auch noch eine Weile aus“, sagt Nieß. Hamburgs Wahrzeichen leben – aber sie müssen vorerst auf die Freiheit verzichten.

Eine Vogelseuche "nie gekannten Ausmaßes"

Auf die Freiheit müssen auch viele Vögel im Tierheim an der Süderstraße verzichten. Die Volieren sind voll. Seit Mitte März gibt es einen Aufnahmestopp für Vögel. „Der Tierheimbetrieb ist seit über drei Monaten enorm eingeschränkt“, sagt Sprecherin Bernadette Patzak. Weil die gesunden Vögel wegen der Geflügelpest nicht ausgewildert werden können, wird in den Volieren derzeit kein Platz frei. „Für die 20 Hähne, die wir derzeit beherbergen, grenzt das schon an Tierquälerei“, sagt Sandra Galla, die Vorsitzende des Hamburger Tierschutzvereins. Nach derzeitigem Stand wird die Stallpflicht noch mindestens bis zum 30. März andauern. Jeder weitere Fund eines Vogels, der an Geflügelpest verendet ist, würde diese Frist jedoch verlängern.

In der Tat befindet sich Deutschland in einer Sitution, die so noch nicht gegeben hat. Das für Tierseuchen zuständige Friedrich-Loeffler-Institut in der Nähe von Greifswald spricht von einer Vogelseuche, die „ein nie zuvor gekanntes Ausmaß angenommen“ habe. „Wir haben täglich neue Fälle“, sagt die Sprecherin Elke Reinking. „Die Viruslast in der Umwelt ist nach wie vor hoch.“

Die für Menschen ungefährliche Krankheit war Anfang November erstmals bei Vögel in Plön (Kreis Ostholstein) festgestellt worden. Seitdem hat sie sich in ganz Deutschland ausgebreitet. Trotz Stallpflicht und Hygienevorschriften blieben auch Nutztierhalter nicht verschont. In Schleswig-Holstein und in Niedersachsen mussten viele erkrankte Hühner und Puten getötet werden. „So etwas haben wir in Deutschland noch nicht erlebt“, sagt Elke Reinking.

47 Vogelarten von Vogelgrippe betroffen

Bisher sind in Deutschland 47 verschiedene Vogelarten betroffen, berichtet das Institut. Darunter Tauchenten, Taucher, Möwen, Schwäne, einige Gründelenten (etwa Stockenten), Gänse, Greifvögel und auch aasfressende Singvogelarten wie Krähen. Weil das Virus auch bei gesunden Wasservögeln oder in deren Kot gefunden worden sei, müsse man vermuten, dass Wildvögel die Krankheit überleben können. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die Epidemie unter wilden Wasservogelarten weiterhin fortbestehe. Anhand der Totfunde sei „nur die Spitze des Eisbergs“ erkennbar. Die Experten gehen davon aus, dass die Seuche erst dann abklingen wird, wenn es wärmer wird. „Die Witterung ist wichtig“, sagt Reinking. „Aber momentan wird es gerade wieder etwas kälter.“

Für die Alsterschwäne ist das keine gute Nachricht. Ohnehin waren sie wegen der Geflügelpest schon vier Tage früher ins Winterquartier gebracht worden. Nun müssen sie dort länger als geplant ausharren. Kann Hamburg das überstehen? Einer Legende zufolge ist die Freie und Hansestadt Hamburg nur so lange erfolgreich, wie die stolzen Schwäne auf der Alster ungehindert ihre Runden ziehen können...