Hamburg . Im Tropen-Aquarium bei Hagenbeck setzt Tierpfleger Florian Ploetz bei seiner Arbeit auf Freiwilligkeit. Denn Krokodile sind lernfähig.

Raja! Raja! Nach einigem Rufen und Klappern kommt Bewegung in die Sache. Wie auf der Hundewiese. Nur ohne Wiese. Und ohne Hunde. Stattdessen schiebt sich unter anhaltenden „Raja! Raja!“-Rufen der Besungene in den Ruhebereich des Tropen-Aquariums: 3,3 Meter lang, 21 Jahre alt, grau-braun-grün gemustert – ein Nilkrokodilmännchen wie aus dem Bilderbuch.

Behäbig schleppt sich Raja, das Reptil, zu einem rot umwickelten Bambusstab, dockt mit seiner schwer bewaffneten Schnauze an und hält inne. Schon den bestätigenden Pfiff quittiert das Tier mit einem Maulzucken, dann verschlingt es den erwarteten Fischkopf: Raja, Herrscher in Hagenbecks Tropen-Aquarium, hat auf diese Art gelernt, zu kooperieren.

Stressfreie Freiwilligkeit der Krokodile

Das gehorsame Einparken des Krokodils ist dabei nur ein verblüffender Teil des täglichen Verhaltenstrainings. Mit akustischer Bestätigung und Fisch als anschließender Belohnung lernen die Reptilien ständig dazu. Insgesamt unterscheiden die vier Nilkrokodile inzwischen acht Kommandos.

Dazu zählt, auf Zuruf an bestimmte Orte zu kommen, sich anstandslos an den Zähnen berühren zu lassen oder Rückenbehandlungen zu erdulden. Als einer der wenigen Zoos setzt Hagenbeck bei der Arbeit mit Krokodilen auf die stressfreie Freiwilligkeit der Tiere.

Ins Gehege zu steigen wäre zwar immer noch lebensgefährlich, laut aktuellster Erhebung sind den Nilkrokodilen in ihrem natürlichen Lebensraum in Afrika zwischen 2008 und 2013 mindestens 466 Menschen zum Opfer gefallen. Das Training zeige aber, dass die als dumpf verschrienen Tiere zu erstaunlichen kognitiven Leistungen fähig sind, sagt Dr. Guido Westhoff, Leiter des Tropen-Aquariums: „Wir haben es nicht mit einer passiven, archaischen Fressmaschine zu tun, sondern mit cleveren, lernfähigen Tieren.“

Ausgeprägtes Sozialverhalten bei Krokodilen

Dafür spricht, dass Krokodile seit mehr als 200 Millionen Jahren die Erde bevölkern. Enorme Anpassungsfähigkeit, ausgeprägtes Sozialverhalten und ein beachtliches Gedächtnis werden den Überlebenskünstlern nachgesagt. Das nutzen nun Tierpfleger wie Florian Ploetz für durchaus komplexe Aufgabenstellungen.

Als der 30-Jährige vor drei Jahren unter Anleitung des inzwischen ver­storbenen Krokodil-Experten Ralf Sommerlad mit dem sogenannten Targettraining bei den Reptilien begann, ging es ursprünglich darum, die Tiere möglichst­ einvernehmlich aus dem 400.000-Liter-Becken zu bekommen. „Bis dahin waren sie wenig kooperativ“, sagt Ploetz.

Damit das Bassin aber gefahrlos gereinigt werden konnte, sollten die Echsen mit rot umwickelten Bambusstäben, den Targets, und der Aussicht auf Fisch an feste Positionen gelotst werden. Bei jeder erwünschten Berührung der Krokodilschnauze mit dem Stab gab es Pfiff und Fisch. „Ich habe ewig versucht, die Tiere neugierig zu machen, mit ihnen gesprochen. Das wirkte am Anfang merkwürdig, aber es hat funktioniert. Sie nehmen Kontakt zu ihrer Umgebung auf“, sagt Ploetz.

Krokodile haben Lust an der Abwechslung

Der Schlüssel zur Kommunikation sei zwar noch nicht gefunden, doch die Konditionierung funktioniere. Wichtig sei, dass die Tiere bei Gelingen der Übungen positiv bestärkt werden. „Das ist wie bei Pawlows Hunden“, sagt Guido Westhoff. Hunger sei dabei nicht ihr Antrieb. Es sei die Lust an der Abwechslung und die Lust auf ein Bonbon, in diesem Fall Fischköpfe.

Zum Beweis ruft Tierpfleger Ploetz Krokodilweibchen Vicky aus dem Becken. Gemächlich kriecht die Echse in die richtige Richtung, weiß aus etlichen vorangegangenen Trainingseinheiten, wie sie wo hinkommen muss, um sich Pfiff und Fisch abzuholen. Sie lernt in Kategorien. Nach dem neuen Kommando „Touch“ salbt Ploetz in aller Seelenruhe kleinere Bisswunden am Panzer des Reptils. Pfiff, Fisch, fertig. Ein Dreifachklatschen beendet die Übung.

Viel Geduld und Konsequenz seien nötig. Dafür erleichtere es die Arbeit ungemein. Die sonst extrem ökonomisch lebenden wechselwarmen Krokodile haben dabei nicht jeden Tag gleich viel Lust. Manchmal dauert es Minuten, bis sich die Tiere bequemen.

Krokodile hören auf ihre jeweiligen Namen

Bei Robben oder Delfinen ist das Targettraining verbreitet. Im Tropen-Aquarium werden auch Rochen oder Zebrahaie zur Fütterung auf ein Ziel trainiert. Im Reptilienbereich der Krokodile hören die vier Echsen Abby, Audrey, Vicky und Raja sogar auf ihre Namen.

Wer Krokodile nur aus BBC-Dokumentationen kennt, dürfte zudem überrascht sein, dass die Urzeitechsen nicht zweimal im Jahr ein unvorsichtiges Gnu reißen, um den Rest der Zeit passiv-aggressiv auf Sandbänken rumzulungern. „80 Prozent ihrer Nahrung besteht aus Fisch“, sagt Guido Westhoff.

Die Tiere wären jederzeit in der Lage, den künstlichen Teich im Tropen-Aquarium nahezu leer zu fischen. Das Targettraining halte sie jedoch nicht nur davon ab, es sei auch eine Bereicherung für Tier und Mensch. Zudem wecke es das Verständnis für diese rätselhafte, oft zu Unrecht verunglimpfte Spezies.