Hamburg. Opposition fordert in der Bürgerschaft die Kündigung des Islamvertrags. Bürgermeister Olaf Scholz schweigt in der Ditib-Debatte.
Doch, es gab zu Beginn dieser emotionalen, kontroversen und differenzierten Debatte der Bürgerschaft über den türkischen Nationalismus den Moment der Gemeinsamkeit der Demokraten. Und dieser Augenblick galt dem in Istanbul inhaftierten „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel und damit der Pressefreiheit.
„Deniz Yücel hat seine Arbeit getan. Seine Verhaftung ist Staatswillkür. Journalismus ist kein Verbrechen“, sagte CDU-Fraktionschef André Trepoll. „Wir fordern die unverzügliche Freilassung von Yücel. Es ist gut, dass sich auch in Hamburg Widerstand regt“, schloss sich SPD-Fraktionschef Andreas Dressel an.
Fall Deniz Yücel "neue Dimension"
Für Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks stößt der Fall „in eine neue Dimension“ vor. Erstmals sei ein Mitglied der internationalen Presse inhaftiert worden. „Wenn einer inhaftiert wird, dann kann das zur Selbstzensur bei vielen führen“, sagte Tjarks. Für eine Freilassung Yücels sprachen sich auch FDP und Linke aus, nur die AfD schwieg zu dem Fall.
„Türkischer Nationalismus und demokratiefeindliche Hetze – Hamburg sagt Nein!“, lautete das Thema, das die CDU zur aktuellen Stunde angemeldet hatte. Dabei ging es dann vor allem um die Rolle der von der Türkei kontrollierten Religionsgemeinschaft Ditib und antidemokratische Äußerungen aus zum Verband gehörigen Moscheen in Hamburg.
Olaf Scholz schwieg
Länger als eine Stunde dauerte der parlamentarische Schlagabtausch, bei dem die Frage im Mittelpunkt stand, ob der vom Senat geschlossene Vertrag mit der Ditib über Rechte und Pflichten gekündigt werden soll – nur eine Seite schwieg beharrlich: Bürgermeister Olaf Scholz und sein rot-grüner Senat.
„Ich mache mir große Sorgen, dass die türkischen Konflikte auch in unserer Stadt ausbrechen. Da ist Haltung und Handeln gefragt“, sagte Trepoll. Genau das sei bei Rot-Grün bislang nicht zu erkennen.
Nur auf Druck der Öffentlichkeit und der Opposition habe Innensenator Andy Grote (SPD) nun angekündigt, der Verfassungsschutz überwache die Wilhelmsburger Muradiye-Moschee, deren inzwischen zurückgetretener Vorsitzender auf Facebook unter anderem geschrieben hatte: „Demokratie ist für uns nicht bindend. Uns bindet Allahs Buch, der Koran.“ Trepoll forderte Rot-Grün auf, die Verträge auf den Prüfstand zu stellen: „Sie haben die Verträge unterschrieben und tragen die Verantwortung dafür, wenn sich die Vertragspartner nicht daran halten.“
Für SPD und Grüne, die bislang auf den Dialog auch mit der Ditib setzen und gegen die Kündigung der Verträge sind, war die Lage nicht einfach. „Wir sind liberal, aber nicht doof“, zitierte der SPD-Fraktionsvorsitzende Dressel einen früheren Satz von Olaf Scholz.
„Kein Pauschalverdacht“ gegen Ditib
Wenn Religionsgemeinschaften über die Stränge schlügen, „werden wir sie vor Kritik nicht schützen“. Andererseits wolle Rot-Grün „keinen Pauschalverdacht“ gegen die gesamte Ditib aussprechen. „Das unterscheidet uns von Erdogan“, sagte Dressel.
Auch Grünen-Fraktionschef Tjarks plädierte für eine differenzierte Betrachtung: „Wir reden mit moderaten Kräften, ermutigen sie, und wir zeigen den Hardlinern die Rote Karte.“ Tjarks unterstellte der CDU „eine gewisse Bigotterie“ und sorgte dann mit folgenden Sätzen für helle Empörung: „Bundeskanzlerin Merkel hat den Flüchtlingsdeal mit Erdogan eingefädelt. Jetzt steckt sie in einer fatalen Schicksalsgemeinschaft. Sie will da nicht raus, weil sie glaubt, ihr Amt hänge daran.“ Trepoll konterte, Tjarks wolle nur von den Hamburger Defiziten ablenken. „Im Übrigen ist das ein EU-Flüchtlingsdeal“, sagte Trepoll.
"Aus der Türkei unterwandert.“
„Ditib darf nicht länger am Tropf der türkischen Regierung hängen. Wir müssen fordern, dass sich der Verband von der Türkei lossagt“, sagte die stellvertretende FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein. „Sonst helfen wir nicht den toleranten Kräften.“ Für die Liberale ist eindeutig: „Die Ditib wird aus der Türkei unterwandert.“ und auch Trepoll sagte: „Ist es Ahnungslosigkeit oder Widerwille bei Rot-Grün: nicht zu wissen, was da los ist? Kommen Sie zur Vernunft!“
Für AfD-Fraktionsvize Dirk Nockemann kamen die aktuellen demokratiefeindlichen Äußerungen aus dem Ditib-Umfeld nicht überraschend. „Die Äußerungen aus Wilhelmsburg sind Volksverhetzung. Derartiges Denken ist in bestimmten Ditib-Moscheen kein Einzelfall“, sagte Nockemann. „Nationalismus und Religion wirken Hand in Hand als Integrationshemmnis.“
"Ditib ist kein Vertragspartner"
Stefanie von Berg, die religionspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, sieht bereits Bewegung aufseiten des türkischen Religionsverbands: „Wir ziehen rote Linien, und die Ditib hat das durchaus bereits verstanden.“ Es sei aber immer besser aufzubauen als einzureißen.
Für den früheren CDU-Bürgermeisterkandidaten Dietrich Wersich sind SPD und Grüne in die Defensive geraten. „Wo bleibt der Senat? Nicht ein einziges Senatsmitglied hat sich beteiligt“, zog Wersich gegen Ende der Aktuellen Stunde Bilanz. „Ist das okay? nein, das ist hilflos“, so Wersich. „Die Ditib ist kein Vertragspartner für unsere Stadt“, lautete sein Urteil.