Hamburg. Doch in der “Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“ geht bundesweit der erbitterte Machtkampf weiter.
Man kann nicht sagen, dass dies eine ruhige politische Woche war. Doch am Freitagnachmittag bekam sie noch eine ganz neue, überraschende Dynamik. Um 14.58 Uhr ging bei den Rathaus-Fraktionen eine Mail der Ditib Nord ein, in der sich die islamische Religionsgemeinschaft dann doch deutlich von den demokratiefeindlichen Äußerungen des Wilhelmsburger Moscheevorstehers Ishak Kocaman distanzierte, die am Dienstag bekannt geworden waren.
„Ditib Nord und die ihr angeschlossenen 35 Ortsgemeinden bekennen sich unmissverständlich zu unserer demokratischen und gesellschaftlichen Werte- und Grundordnung“, hieß es in der ausführlichen Stellungnahme. Aussagen, die das infrage stellten, seien daher „nicht akzeptierbar“. Der Vorsitzende des Moscheevereins hatte auf Facebook Sätze wie „Demokratie ist für uns nicht bindend. Uns bindet Allahs Buch, der Koran“ oder „Ich spucke auf das Gesicht der Türken und Kurden, die nicht islamisch leben“ gepostet.
Aus dem Kontext gerissen
In der Ditib-Mitteilung hieß es zwar, es handele sich um Zitate eines ehemaligen Predigers, die Kocaman 2014 verwendet habe. Sie seien aus dem Kontext gerissen worden und gäben nicht seine demokratische Haltung wieder. Dennoch lege Kocaman den Vorsitz der
Muradiye Moschee umgehend nieder, weil „auch der Anschein, dass ein Vorsitzender einer Ditib-Gemeinde unsere demokratischen Strukturen ablehnen würde, für ihn nicht akzeptierbar“ sei.
Das war durchaus ein Paukenschlag. Denn bis dahin hatte sich eine politische Welle aufgebaut, die von Tag zu Tag größer wurde und nicht nur von den umstrittenen Äußerungen angetrieben wurde, sondern auch von der Tatsache, dass Ditib dazu schwieg. Was wiederum zum Politikum wurde, weil der Verband eine von drei islamischen Religionsgemeinschaften ist, mit denen der Senat 2012 einen Staatsvertrag geschlossen hatte. Analog zu den Verträgen mit christlichen, jüdischen und alevitischen Gemeinden werden den Muslimen darin Rechte, etwa auf eigene Feiertage und eine Beteiligung am Religionsunterricht, eingeräumt. Im Gegenzug bekennen sich die Verbände zu hiesigen Regeln wie Schulpflicht oder Gleichberechtigung.
Weihnachtsmann verprügelt
Die Frage, wie ernst dieses Bekenntnis genommen wird, hatte erst vor wenigen Wochen die Gemüter erregt. Nachdem aus Ditib-Kreisen unter anderem Weihnachts- und Silvesterbräuche massiv kritisiert und Karikaturen verbreitet worden waren, in denen ein Muslim den Weihnachtsmann verprügelt, hatte die CDU die Aussetzung des Staatsvertrags gefordert, FDP und AfD sogar seine Kündigung. In einer hitzigen Debatte in der Bürgerschaft hatte sich, was selten vorkommt, sogar Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zu Wort gemeldet und vor einer Kündigung der Verträge gewarnt.
Seinerzeit hatte sich Rot-Grün mit der Haltung durchgesetzt, der Senat solle Gespräche mit den Vertragspartnern aufnehmen, an deren Haltung Zweifel bestünden. Während diese Treffen noch in Vorbereitung sind, gab es unabhängig davon am Montagabend ein „Interreligiöses Forum“ mit den geistlichen Führern der großen Religionsgemeinschaften, an dem zwar nicht Ditib, aber Scholz und der Chef der Senatskanzlei, Christoph Krupp, teilnahmen. Am Bischofs-Sitz in der HafenCity betonte der Bürgermeister: Der Staat garantiere zwar die Glaubensfreiheit, aber er verteidige die Religionsgemeinschaften nicht gegen Kritik. Das müssten sie schon selbst tun.
Eine Religionsgemeinschaft?
Ob er geahnt hat, dass der Fall kurz darauf eintreten würde? Nachdem das TV-Magazin „Panorama 3“ am Dienstag über die Äußerungen Kocamans und eines anderen Muslims berichtet hatte, stellten CDU, FDP und AfD erneut mit scharfen Worten den Staatsvertrag mit Ditib infrage. Und was sagte der Verband dazu? Am Dienstag: nichts. Mittwoch: nichts. Donnerstag: nichts. Parallel steigerte sich die Empörung. CDU-Fraktionschef André Trepoll forderte die Staatsanwaltschaft auf, zu ermitteln, ob der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt sei. Grundsätzlich stelle sich die Frage, ob Ditib überhaupt noch eine Religionsgemeinschaft sei.
Es war ein glücklicher Zufall, dass die religionspolitischen Sprecher der Bürgerschaftsfraktionen sich schon Wochen vorher ausgerechnet für Donnerstagmorgen mit der Führung von Ditib Nord zum Gespräch verabredet hatten. Im gediegenen Raum A des Rathauses wurde dabei schnell Klartext geredet. Die Äußerungen des Moschee-Chefs seien inakzeptabel, Ditib müsse darauf reagieren und Konsequenzen ziehen, machten die Politiker deutlich. Genauso klar wurden ihnen aber auch, in welcher Lage sich ihr Vertragspartner befindet.
Innerhalb der „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“, so die Übersetzung des Kürzels Ditib, tobt bundesweit ein erbitterter Machtkampf. Die Anhänger von Präsident Erdogan, dessen Religionsbehörde schon heute die Ditib-Imame auswählt und finanziert, wollen ihren Einfluss weiter ausdehnen und den Verband endgültig zum verlängerten Arm Ankaras machen. Gemäßigtere, in Deutschland gut integrierte Muslime, zu denen auch die Hamburger Ditib-Führung zählt, wollen das verhindern und die Organisation als Religionsgemeinschaft erhalten.
Hilft das Erdogan?
Dieser Zwist erklärt das lange Schweigen ebenso wie die Haltung des rot-grünen Senats, der weiter auf Dialog setzt und hofft, dass sich die gemäßigten Kräfte durchsetzen. Denn eine Kündigung oder auch nur Aussetzung der Verträge, so das Kalkül, würde nur die radikalen Elemente stärken und dem Erdogan-Lager in die Hände spielen.
Als Ditib sich am Freitag doch noch äußerte, war SPD-Fraktionschef Andreas Dressel die Erleichterung daher anzumerken: „Das war eine klare, aber auch notwendige Reaktion“, sagte er. „Auf diesem Weg muss Ditib weitergehen, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.“ Fest steht: Dieser Weg wird kein leichter sein.