Hamburg. Fast jede dritte Stelle bei der Traditionswerft fällt weg. Mitarbeiter sehen sich als Opfer von gravierenden Managementfehlern.
Morgens 8 Uhr, Betriebsversammlung in der Schiffbauhalle 9/10 bei Blohm + Voss. Obwohl sich mehr als 900 Menschen in der Halle drängen, ist es fast ganz still, als der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Borgschulte zusammen mit Blohm + Voss-Geschäftsführer Dieter Dehlke vor die Mitarbeiter tritt, um mitzuteilen, dass die traditionsreiche Werft am ökonomischen Abgrund stehe. „Blohm+Voss befindet sich in einem kritischen Zustand“, sagen beide. Das habe die Bestandsaufnahme seit der Übernahme der Werft durch die Bremer Lürssen Gruppe Ende 2016 ergeben.
Um die Werft langfristig wieder wettbewerbsfähig und wirtschaftlich profitabel zu machen, seien in den kommenden Monaten „Anpassungsmaßnahmen auf allen Ebenen“ notwendig. Konkret heißt das: Rund 300 Arbeitsplätze müssen abgebaut werden. Werkshallen werden geschlossen, die Fläche insgesamt wird verkleinert.
Betriebsratschef: Wir sind demoralisiert
Mit verkniffenem Mund steht der Betriebsratsvorsitzende Murat Acerüzümoglu neben den Managern. Ihn sowie seine Betriebsratskollegen hatte die Geschäftsführung eine Stunde zuvor über den Kahlschlag informiert. „Wenn das Ziel der Veranstaltung gewesen ist, die Belegschaft weiter zu demoralisieren, dann ist das gelungen“, sagt er später nach der Versammlung.
Kommentar: Schiffbruch für Hamburg
Was die Führung der Belegschaft auftischt, ist wahrlich kaum zu verdauen: Blohm+Voss sei im Vergleich zu anderen Werftstandorten zu groß, zu teuer, zu ineffizient. Die Zeiten für eine Großwerft Blohm+Voss seien vorbei – allein schon wegen der schwachen Auftragslage. Hinzu komme das derzeit dahindümpelnde Reparaturgeschäft, wie Borgschulte sagt.
Aufträge mit Kreuzfahrtschiffen verloren
Die Probleme kann jeder Hamburger bei einem Besuch der Landungsbrücken sehen: Haben im vergangenen Jahr noch zahlreiche Kreuzfahrtschiffe in den Docks am gegenüberliegenden Ufer eine Schönheitskur bekommen, sieht es in diesem Jahr mau aus. Blohm+Voss hat mindestens einen Auftrag zur Überholung eines Kreuzfahrtschiffes an die ebenfalls ums Überleben kämpfende Lloyd Werft in Bremerhaven verloren. Andere Kunden haben gleich abgewinkt. Die Preisvorstellungen der Hamburger seien zu hoch gewesen, ist aus Reederkreisen zu hören.
Borgschulte, der bis 2007 selbst noch zum Vorstand von Blohm+Voss gehörte, spart auch nicht mit Kritik an den Werftmanagern der jüngeren Vergangenheit. Lürssen hatte Blohm+Voss im Herbst 2016 dem britischen Finanzinvestor Star Capital Partners abgekauft, der die Werft seit 2011 führte, aber offensichtlich nicht investierte: Die Analyse habe gezeigt, dass dringend erforderliche Investitionen in den letzten Jahren ausgeblieben seien, so Borgschulte. „Konstruktions- und Fertigungsprozesse wurden nicht ausreichend modernisiert und die Kostenstrukturen nicht den realen Bedingungen angepasst.“
Kritik von der IG Metall
Ruhig, fast schon zu ruhig sei die Betriebsversammlung verlaufen, heißt es anschließend, als rund 900 Beschäftigte mit Gewerkschaftsfahnen in der Hand vor die Werkstore ziehen. Nicht zuletzt, weil die Belegschaft der Kritik der neuen Eigentümer am Verhalten früherer Geschäftsführer zustimmen.
„Jahrelang wurden wir mit der Aussage hingehalten, dass man kurz vor einem großen Neubauauftrag stehe. Und jetzt sagt man uns, wir seien zu teuer“, ruft Betriebsratschef Acerüzümoglu bei der Kundgebung. Die Arbeitnehmer müssten nun für die Versäumnisse der Geschäftsführung in der Vergangenheit büßen. „Für die Herren, die im feinen Zwirn die Kostenstellen wie ihr eigenes Königreich regierten“, sagt Acerüzümoglu.
„Wir haben seit Jahren darauf hingewiesen, dass sich etwas ändern muss. Nun ist der Schlamassel da und die Kollegen müssen ihn ausbaden, die nichts dafür können“, sagt Emanuel Glass von der IG Metall. In den nun folgenden Verhandlungen mit der Geschäftsführung werde es darum gehen, möglichst sozialverträgliche Lösungen zu finden und betriebsbedingte Kündigungen so weitgehend wie möglich zu vermeiden.
Lürssen: Potenziale von Blohm+Voss modernisieren
Trotz der prekären Lage bekennt sich Lürssen weiter zu Blohm+Voss. „Dort, wo es notwendig und sinnvoll ist, werden wir investieren, um die Potenziale unserer Werft gezielt zu modernisieren und zu stärken“, sagt Geschäftsführer Dehlke.
Geplant ist etwa die bisher auf den Bau von Luxusyachten spezialisierte Konstruktion auf den Marineschiffbau auszurichten und unter die gemeinsame Leitung mit der Konstruktion in Bremen zu stellen. Darüber hinaus will Lürssen in die Fertigungsstrukturen investieren. Die Rede ist von zwei Millionen Euro. Außerdem soll ein neuer Fertigungsleiter berufen werden. Dadurch will man die Bedingungen für die Produktion im Neubau von Marineschiffen verbessern, um vor allem für die geplante Beteiligung am Bau von fünf weiteren Korvetten der Klasse 130 vorbereitet zu sein.
Lürssen plant zudem, den Schwerpunkt der gruppenweiten Reparatur- und Überholungs-Aktivitäten für Yachten in Hamburg zu konzentrieren und damit den zivilen Bereich des Standortes zu stärken. Erste Aufträge konnten bereits mit zwei Motoryachten hereingeholt werden.
Bereits heute sollen die Gespräche über den Arbeitsplatzabbau starten. Am Sonnabend will die IG Metall dann über einen Vorstoß der Blohm + Voss-Geschäftsführung beraten, die geplante Tariferhöhung um zwei Prozent für die Mitarbeiter von April auf Juli zu verschieben. „Denn das geht nicht ohne unsere Zustimmung“, so Glass.