Hamburg. Das Unternehmen macht 73 Millionen Euro Verlust und trennt sich von zehn Filialen in der Metropolregion.

Viel zu volle Lager mit unverkäuflicher Ware, neu eröffnete Geschäfte in Übersee, die Verluste einfahren, ein weit unterdurchschnittlicher Online-Umsatz, veraltete Technik in der Zentrale – beim Hamburger Modekonzern Tom Tailor hat es in den vergangenen Jahren viele Versäumnisse und falsche Entscheidungen gegeben. Das ist eine Einschätzung, die Heiko Schäfer mit leicht gequältem Gesichtsausdruck und einem knappen „Ja“ quittiert. Aber ganz ausführlich reden möchte er nicht darüber, was schiefgelaufen ist bei Tom Tailor. Er hat die Fehler nicht zu verantworten, er soll und muss sie ausbügeln und das Unternehmen wieder profitabel machen. Er will nach vorne blicken, nicht zurück.

„Es gibt erste Fortschritte, Tom Tailor profitabler aufzustellen. Aber wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns“, sagt Schäfer, der Ende September 2016 vom Vorstand für das operative Geschäft zum Interimsvorstandschef aufstieg und den langjährigen Chef Dieter Holzer ablöste. Schäfer (44), der 2015 von Adidas in die Tom-Tailor-Zentrale am Garstedter Weg in Niendorf gekommen war, spricht von einem „Befreiungsschlag im dritten Quartal“.

„Kosten- und Prozessoptimierungsprogramm“

Bereits Anfang Oktober hatte der neue Vorstand, zu dem für ein Jahr auch Tom-Tailor-Gründer Uwe Schröder – zuvor Aufsichtsratschef – gehört, sein „Kosten- und Prozessoptimierungsprogramm“ präsentiert. Das trägt den englischen Namen Reset – also Neustart. „Tom Tailor trennt sich von Altlasten und legt das Fundament für die Zukunft“, sagt Schäfer. Dass es zunächst teuer sein wird, künftig kostengünstiger und ertragreicher zu arbeiten, stand von Anfang an fest. Nun ist auch bekannt, wie tief der Konzern wegen des Neustarts in die Verlustzone rutscht.

73 Millionen Euro Verlust hat der Konzern nach vorläufigen Zahlen im vergangenen Jahr gemacht. Der Umsatz stieg demnach um 1,3 Prozent auf knapp 970 Millionen Euro, das Konzernergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) lag bei 10,3 Millionen Euro. Doch weil der Neustart im vierten Quartal 81 Millionen Euro einmalige Kosten verursachte, schreibt Tom Tailor tiefrote Zahlen. Anleger hatten offenbar mit noch schlechteren Nachrichten gerechnet: Der Tom-Tailor-Aktienkurs stieg nach Bekanntgabe der Zahlen am Mittwoch um zeitweise fast zehn Prozent auf knapp über 6 Euro

Ein großer Teil der Kosten entsteht durch die im Herbst angekündigte Schließung von „bis zu 300“ Tom-Tailor- und Bonita-Läden und dem daraus resultierenden Personalabbau „im unteren bis mittleren dreistelligen Bereich“. Schäfer sagt: „Etwa 250 Geschäfte sind bereits geschlossen oder stehen kurz vor der Schließung.“ Aus China, wo die Hamburger erst 2015 die ersten Shops eröffneten, und den USA zieht sich Tom Tailor in den nächsten Monaten komplett zurück, aus Frankreich bis Jahresende weitgehend. In Südafrika war schon Ende 2016 Schluss. Betroffen sind ganz überwiegend Bonita-Shops, die 86 Bonita-Men-Läden werden sämtlich geschlossen, die ganze Modelinie eingestellt, ebenso wie die Marken Tom Tailor Polo Team und Contemporary.

Auch Hamburg und Shops der Kernmarke sind betroffen: In der Me­tropolregion soll die Zahl der Läden von derzeit 60 bis zum Jahresende auf etwa 50 reduziert werden. Der seit Jahren unrentable Tom-Tailor-Flagship-Store an der Frankfurter Zeil schließt Ende März. „Es gibt weitere Flagship-Stores, die wir uns sehr kritisch ansehen“, sagt Schäfer.

Deutsche Modebranche stagniert

Dabei ist die Namen gebende Kernmarke deutlich erfolgreicher als die 2012 in der Ära Holzer zugekaufte Bonita-Kette. Die Marke Tom Tailor steigerte den Umsatz 2016 um 5,6 Prozent, während die gesamte deutsche Modebranche stagnierte. Bei Bonita ging der Umsatz dagegen von 325 auf 303 Millionen Euro zurück.

„Konzentration auf das profitable Kerngeschäft“ lautet das übergeordnete Ziel. In Deutschland, Österreich und der Schweiz – der sogenannten DACH-Region – sei man durchaus profitabel, sagt Schäfer. „Wir sind ein deutsches Unternehmen mit Hamburger Wurzeln.“ Auch in Südosteuropa, Russland und den BeneluxLändern verdiene der Konzern Geld. Dort sieht der Interimschef Expansionspotenzial. Aber später.

Versäumnisse nachholen

Zunächst sind Versäumnisse nachzuholen. So macht Tom Tailor nur zehn Prozent des Umsatzes im Onlinehandel, während es im gesamten deutschen Modemarkt bereits 20 Prozent sind. Der derzeit von einem Dienstleister betriebene Onlineshop soll nun ins Unternehmen geholt, die Omnichannel-Services ausgebaut werden. Stark investiert werden soll in Bekanntheit, Image und die „Begehrlichkeit“ der Kernmarken sowie in die teils seit zehn Jahren nicht grundlegend erneuerte technische Infrastruktur des Unternehmens.

Die Verschuldung ist in den vergangenen Monaten um mehr als 40 Millionen Euro gesunken. In ähnlicher Größenordnung wurden die Warenbestände reduziert. Für mehr als 200 Millionen Euro hatte der Konzern Textilien auf Lager – bestellt für eine aggressive Expansion, die scheiterte. Nun wurde die Ware teils unter Einkaufspreis wieder abgegeben.

Offen bleibt, wer Tom Tailor langfristig leiten wird. Auch wenn diese Frage die Zukunft und nicht die Vergangenheit betrifft – Heiko Schäfer schwieg.