Kanadas Premierminister Justin Trudeau verzückt beim traditionellen Festessen im Rathaus die Hamburger.
Prominente Gäste gehen im Hamburger Rathaus fast täglich ein und aus. Meist geschieht das relativ unbemerkt, doch im Fall von Justin Trudeau war das natürlich undenkbar. Gut 200 Menschen, unter ihnen auffallend viele junge Frauen, warteten am Freitagabend hinter den Absperrgittern, um einen Blick auf den kanadischen Premierminister zu erhaschen, den Ehrengast des traditionellen Matthiae-Mahls.
Wegen des Ehrengasts wurde der Termin vorverlegt
„Das ist der attraktivste Präsident der Welt“, klärte ein junger Mann seine Begleiterin auf – und zeigte ihr wie zum Beweis Trudeau-Fotos auf dem Handy. Viel bekamen die beiden vom „Kennedy Kanadas“, wie der 45-Jährige wegen seiner liberalen Einstellungen und seines einnehmenden Äußeren genannt wird, allerdings nicht zu sehen. Um 18.50 Uhr, mit zehn Minuten Verspätung, stieg er aus der dunklen Staatskarosse, winkte gut gelaunt in die Menge, begrüßte Hamburgs Außen-Staatsrat Wolfgang Schmidt (SPD), dann noch ein Winken, und schon verschwand Trudeau über den roten Teppich im Rathaus.
Das Matthiae-Mahl im Rathaus
Beschwingten Schrittes ging es die Senatstreppe hoch, an deren Ende – ebenfalls eine alte Hamburger Tradition – der Bürgermeister seinen hohen Gast erwartete. Olaf Scholz (SPD) und Trudeau tauschten ein paar nette Worte aus und zogen sich dann rasch zurück. Der Premier, der sich zuvor in Berlin mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) getroffen hatte, wollte die Zeit vor Beginn des Festmahls zu Gesprächen nutzen.
Scholz stichelt gegen Donald Trump
Scholz und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) hatten eine Reihe von Landes- und Bundespolitikern der Grünen eingeladen, um mit Trudeau über das bei Grünen umstrittene Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada zu sprechen. An der exklusiven Runde nahmen nach Informationen des Abendblatts unter anderem die stellvertretenden Ministerpräsidenten Robert Habeck (Schleswig-Holstein), Karoline Linnert (Bremen), Sylvia Löhrmann (Nordrhein-Westfalen) sowie der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir teil. Sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat müssen dem Ceta-Abkommen noch zustimmen.
Um 20 Uhr öffneten sich die Türen des Großen Festsaals, in dem der Bürgermeister und die Ehrengäste – neben Trudeau war das Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) – an der Stirnseite Platz nahmen. In seiner Begrüßungsrede erlaubte sich Scholz eine Spitze in Richtung des US-Präsidenten Donald Trump („America first“): „Einmal im Jahr erinnert uns die Tradition des Gastmahls daran, dass vernünftige internationale Politik nicht darin besteht, die eigene Nation ,first‘ zu setzen, sondern auch Freundschaftspflege ist.“
Trudeaus Vater Pierre Elliot, seinerzeit selbst Premierminister, habe eine tiefe Freundschaft mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt verbunden, so Scholz, der an ein Foto aus dem Jahr 1978 erinnerte: „Es zeigt die beiden Staatsmänner nach einem Segeltörn auf der Ostsee, beide im knallgelben Friesennerz.“ Kanada und Deutschland seien für viele Menschen „Länder der Hoffnung“, sagte Scholz, wobei Deutschland einiges lernen könne: „Wir schauen uns heute genau an, wie Kanada es schafft, bei der Integration so erfolgreich zu sein. Aber wir sehen auch mit Interesse, wie klar und verbindlich in Kanada die Anforderungen und Regeln sind, an die sich alle halten müssen.“
Trudeau: Politiker sollen den Menschen zuhören
Trudeau, der um 22.30 Uhr das Wort ergriff, betonte die gemeinsamen Werte Kanadas und Deutschlands: „Wir verstehen die Bedeutung internationaler Kooperation und Partnerschaft. Und wir teilen die fortschrittliche Vision der Welt.“ Zugleich forderte der Premier die Politiker auf, zu den Menschen hinzugehen und ihnen zuzuhören. Das sei der einzige Weg, zu erfahren, was die Menschen wirklich denken und fühlen.
Wachsende Ungleichheit habe viele Menschen misstrauisch gegenüber Regierungen und Arbeitgebern werden lassen. Es sei ein Gegensatz zwischen „Uns“ und „Die da“ entstanden. „Die Menschen benötigen keine Anführer, die ihnen sagen, sie hätten Probleme. Menschen benötigten Anführer, die ihnen helfen, Lösungen zu finden.“
Zu viele Menschen auf der Welt hätten laut Trudeau Angst vor der Zukunft und sorgten sich, dass es ihren Kindern nicht besser, sondern schlechter gehen werde. Angesichts der Globalisierung ihrer Herausforderungen suchen vielen Menschen im politischen Spektrum nach Führung und Hoffnung.
Kanada und Deutschland hätten gemeinsam Werte. „Wir verstehen die Bedeutung internationaler Kooperation und Partnerschaft. Und wir teilen die fortschrittliche Vision der Welt,“ betont Trudeau. Man sehe das immense Potenzial, das mit dem Wandel einhergehe.
Sigmar Gabriel: "Ökonomisch verschieben sich die Gewichte"
Außenminister Gabriel hatte zuvor in Anspielung auf ein Gemälde im Festsaal und auf die Entwicklung in den USA gesagt: „Das verbindet uns mit Kanada: Wir knien nicht vor anderen Mächten der Welt. Aber wir reichen ihnen auch immer wieder Hand zu erneuter Partnerschaft und Freundschaft.“
Man sei Zeitzeuge einer Neuvermessung der Welt, sagte Gabriel weiter. Europa werde kleiner, Afrika, Asien und Amerika hingegen würden wachsen. „Ökonomisch verschieben sich die Gewichte.“ Zugleich seien autoritäre Antworten auf dem Vormarsch, fügte der Außenminister hinzu. Wenn es den liberalen Kräfte in der Welt nicht gelinge, die Globalisierung unter Gleichgesinnten zu gestalten, „dann werden andere das Ruder übernehmen“. Kanada und Deutschland stünden bei dieser Aufgabe Seite an Seite, sagte Gabriel mit Blick auf das Freihandelsabkommen CETA, das vor wenigen Tagen im Europäischen Parlament die Zustimmung erhalten hatte.
Gabriel räumte ein, dass die Globalisierung nicht nur Gewinner und Erfolge gezeitigt habe. Natürlich gebe es auch Verlierer. „Das zu sagen, darf uns nicht dazu verleiten, sich abzuwenden von der Welt und erneut Mauern zu bauen und Schutzzölle zu verlangen.“ Vielmehr müsse das Ziel darin bestehen, faire und freie Abkommen schließen. Dass man sich habe über CETA einigen können, sei auch ein Erfolg von Kanadas Premierminister Justin Trudeau, sagte Gabriel, der als ehemaliger Bundeswirtschaftsminister intensive Nachverhandlungen mit der kanadischen Regierung geführt hatte. Es sei gelungen, in Zeiten, in denen andere Mauern hochziehen wollten, Mauern zu verringern und aufeinander zuzugehen.