Hamburg. Carsten Brosda über die Linien seiner Politik, Verantwortung für die Debatten der Gegenwart – und sein Faible für texanische Musik.

Noch steht an der Eingangstür der Kulturbehörde der Name „Barbara Kisseler“. Ihr Nachfolger, der neue Kultursenator Carsten Brosda, verschickt seine digitale Post noch als Staatsrat, die Signatur ist, einen Tag nach der Vereidigung, noch nicht geändert. Auf die Begrüßung des Fotografen („Guten Morgen, Herr Senator!“) winkt er gelassen ab: „Bitte, ,Brosda’ reicht.“ Nur Kleinigkeiten, vermutlich. Aber eben solche, die zum Bild passen, das sich zahlreiche seiner Fürsprecher in der Hamburger Kulturszene von dem 42-Jährigen machen konnten: Hier herrscht keine falsche Eitelkeit, hier ist einer im Amt, dem es nicht um Status, sondern um die Sache geht.

Hamburger Abendblatt: Die Leitung der Behörde hatten Sie in den vergangenen Monaten faktisch bereits übernommen. Was ändert sich jetzt, da Sie Kultursenator sind und nicht mehr nur Staatsrat?

Carsten Brosda: Am konkreten Tagesablauf vermutlich wenig. Ich werde mich weiterhin bemühen, ansprechbar und wachsam zu sein.

Sie waren seit Längerem als Kultursenator im Gespräch. Wann haben Sie selbst damit gerechnet, dass Sie es – noch – werden?

Brosda: Ich komme ja aus dem Ruhrgebiet, da sagt man: Entscheidend is aufm Platz. Und wenn man aufm Platz steht, hat man so viel zu tun, dass man gar nicht dazu kommt, darüber zu reflektieren, was noch kommen könnte. Solange Frau Kisseler krank war, habe ich unter der klaren Voraussetzung gearbeitet, dass sie wiederkommt. Ansonsten stellt der Trainer die Mannschaft auf – und das hat er am Ende ja auch getan.

Die elbphilharmonische Begeisterung könnte kaum größer sein, die Privattheater sind mit dem Ausgang der Evaluation ganz zufrieden, Karin Beier hat ihren Vertrag verlängert. Wo sehen Sie nun vor allem Gestaltungs- statt Verwaltungsspielraum?

Brosda: Überall. Es wäre ein Fehler, zu denken, dass in der Kulturpolitik irgendwann der Punkt erreicht sein könnte, an dem man sich zurücklehnt und die Hände faltet. Die Wahrnehmung der Stadt ändert sich gerade, auch außerhalb Hamburgs. Mehr Menschen merken, dass Hamburg nicht nur eine Kaufmannsstadt ist. Eine große Aufgabe wird sein, dass wir etwas daraus machen, dass wir eine Kraft entwickeln, die über die Elbphilharmonie hinaus in alle Bereiche hineinwirkt. Und das Thema Hafenmuseum wird uns beschäftigen, sowohl in Bezug auf die Konzeption, als auch was die Standortfrage angeht.

Wo soll es denn stehen, das Hafenmuseum?

Brosda: Ich will der Potenzialanalyse nicht vorgreifen. Wichtig ist, dass wir gleichzeitig die Emotionalität des Hafens und die Bedeutung eines Welthafens erfahrbar machen. Wenn ich mir angucke, wie andernorts in der Welt mit Freihandelsthemen umgegangen wird, wie auch hier über TTIP und ähnliches diskutiert wird, dann ist es kulturpolitisch relevant, einen Ort zu schaffen, an dem man die Bedeutung der Weltwirtschaft erfahrbar machen kann.

Das ist Hamburg und die große weite Welt – wie sieht es im heimischen Hinterhof aus?

Brosda: Man kann diese Dinge nicht trennen. Wir kümmern uns darum, dass gerade die kleinteiligen Strukturen in der Stadt weiter funktionieren. Im Bereich Privattheater, Stadtteilkultur und Bücherhallen haben wir ein gutes Stück geschafft. Interessant finde ich es, aus Kontrasten Spannung zu erzeugen: Wenn Amelie Deuflhard von Kampnagel und Joachim Lux vom Thalia gemeinsam das Festival „Theater der Welt“ konzipieren oder die Einstürzenden Neubauten in der Elbphilharmonie spielen.

Was sehen Sie da als Ihre Aufgabe? Vermittlung? Kollaborationen zu ermöglichen?

Brosda: Kollaboration ist das eine. Ich finde, auch ein ordentlicher Konflikt darf mal sein, um etwas zu klären. Als wir begonnen hatten, szene- und genreübergreifend ein kulturelles Begleitprogramm für Olympia zu überlegen – was aus bekannten Gründen zum Erliegen kam – war eine Energie spürbar, die es noch immer grundsätzlich gibt. Diese Kreativität zur Entfaltung zu bringen, ist etwas, was sich lohnt. Dafür müssen wir als Kulturbehörde vielleicht manchmal nur einen Tisch in einen Raum stellen.

In welcher Liga spielt Hamburg kulturell aus Ihrer Sicht? Und was bedeutet das für Kulturanbieter außerhalb der Elbphilharmonie – denkt man etwa an das ambitionierte Filmfest, das aus seinen Mitteln Erstaunliches schafft, aber niemals vergleichbar ist mit der Berlinale, Cannes, Venedig?

Brosda: Hamburg ist die größte Stadt Europas, die nie Hauptstadt gewesen ist. Das bedeutet eine eigene Kategorie. Die anderen Städte, mit denen wir uns vergleichen, sind in der Regel Hauptstädte und finanzieren Kultur mit den Mitteln eines ganzen Landes. Was wir in Hamburg erleben, ist aus der bürgerlichen Struktur der Stadt heraus entwickelt worden, bürgerlich im Sinne des „Citoyen“. Es wird uns nicht gelingen, in allen Budgets vorn zu liegen. Natürlich braucht Kultur materielle Ressourcen. Aber ich kann auch ganz viel Geld haben und ganz wenig Ideen. Was wir immer schaffen können, das zeigt gerade das Beispiel Filmfest, ist, trotz kleiner Budgets inhaltliche Relevanz zu entwickeln, aus der sich Bedeutung ergibt.

Was glauben Sie, was erst möglich wäre, wenn das Budget größer wäre...?

Brosda: Wer doppelt so viel Geld bekommt, ist ja nicht automatisch doppelt so gut. Außerdem müssten wir dann darüber sprechen, wo wir Geld wegnehmen.

Bleiben wir bei finanziellen Begehrlichkeiten. Die Eskimos sollen bis zu 100 Wörter für „Schnee“ kennen – wie viele braucht man als Kultursenator für „Nein“?

Brosda: „Nein“ ist keine gute Antwort. Man muss sich darüber unterhalten, wie man eine gute Idee realisieren kann. Es gibt kaum eine gute Idee, die nur deshalb nichts wurde, weil niemand Geld dafür hatte.

Eingearbeitet sind Sie – welches Feld liegt Ihnen besonders am Herzen?

Brosda: Ich glaube, wir werden eine Renaissance von Kulturpolitik erleben, die wir uns noch gar nicht ausmalen können. Angesichts der Veränderungen in der Welt, des Brüchigwerdens von Gewissheiten, gibt es eine Hinwendung zur Frage nach dem Sinn. Was erzeugt Zusammenhang und Zusammenhalt in der Gesellschaft? Was macht uns aus? Solche Fragen führen in den Kern kultureller Arbeit. Räume zu schaffen, um das jenseits von Populismus zu diskutieren, sehe ich auch in der Verantwortung einer Stadt. Es geht darum, Debatten zu führen, die soziale und kulturelle Situation des Landes intellektuell auszuleuchten. Da haben wir die Chance, Impulse zu geben. Man darf Kultur dazu nicht funktionalisieren, aber Kultur hat aus sich heraus die Kraft das zu leisten, wenn man ihr die Freiheit dazu gibt.

Sie sind seit langer Zeit der erste Kultursenator mit SPD-Parteibuch. Was für einen Unterschied macht das?

Brosda: Ich glaube, gar keinen. Kulturpolitik ist in dem Sinne nichts Ideologisches. Da geht es eher um Diskursoffenheit. Die Rede von Norbert Lammert bei der Eröffnung der Lessingtage würde ich zum Beispiel in weiten Teilen unterschreiben. Wenn wir um diese fundamentalen Fragen ringen, sind die nicht allein entlang parteipolischer Festlegungen zu entscheiden.

Wie müssen wir uns den 20-jährigen Carsten Brosda vorstellen? Was haben Sie gehört, was hat Sie kulturell geprägt?

Brosda: Musikalisch habe ich früh die vier Säulenheiligen für mich identifiziert, die bis heute gelten: Bob Dylan, Van Morrison, Neil Young, Bruce Springsteen. (grinst) Und ich war als Austauschschüler ein Jahr in Texas und habe eine Ecke meines Herzens für texanische Singersongwriter reserviert.

Welche Lektüre liegt heute auf Ihrem Nachttisch?

Brosda: Didier Eribons „Die Rückkehr nach Reims“. Eribon beschreibt darin, wie bestimmten Milieus innerhalb einer Gesellschaft das Verständnis füreinander abhanden gekommen ist. Und Frank Schulz’ „Onno Viets und der weiße Hirsch“ – noch als Lektürevorhaben.

Welche Inszenierung, welches Konzert hat Sie zuletzt besonders begeistert? Die Eröffnung der Elbphilharmonie gilt nicht.

Brosda: Anna Ternheim beim Reeperbahnfestival in der Großen Freiheit. Eine fantastische Sängerin! Am Schauspielhaus mochte ich Marthalers „Die Wehleider“ und am Thalia hatte ich viel Spaß mit „Richard III.“. Und außerdem fällt mir eine Vorband ein, die ich im Sommer im Stadtpark gesehen habe, als ich eigentlich die Tedeschi Trucks Band sehen wollte: JJ Grey & Mofro, eine dreckige Südstaatenkapelle. Man fühlte sich plötzlich wie in einem rauchigen Club in Memphis, obwohl im Stadtpark die ¬Sonne schien. Das hatte was.