Hamburg. Das Quatuor Ébène macht seinem Ruf als innovativer Vertreter der altehrwürdigen Gattung Streichquartett alle Ehre.
Dieses winzige Zögern, ist es Absicht? Fast unhörbar tasten sich einzelne fahle Noten in den Kleinen Saal der Elbphilharmonie, sanft gedrängt von den Achteln in zweiter Geige und Bratsche. Das französische Quatuor Ébène hatte zwei Tage zuvor bereits ein „Blind Date“ mit dem Publikum gehabt (das Abendblatt berichtete), nun gibt es ganz offiziell sein Debüt am neuen Ort. Der bis zum Zerreißen gespannten Stille nach zu urteilen, ist das Musikern und Hörern gleichermaßen bewusst. Womöglich ist es ja der Respekt vor diesem Moment, der den Bogen des ersten Geigers Pierre Colombet erst einen Hauch später auf die Saite finden lässt.
Dass die Klänge von Mozart stammen, offenbart sich erst allmählich. KV 417b in d-Moll ist Mozarts düsterstes Streichquartett, und dazu haben die vier Franzosen auch noch das ebenfalls tiefschwarze f-Moll-Quartett von Beethoven gesellt. Statt also einer anmutig-gefälligen Klassik zu frönen, bohren sich die Musiker förmlich in die Stücke hinein. Riskieren extreme Tempi, ohne dass die Läufe und nadelfeinen Begleitmotive entfernt an sinnfreie Akrobatik erinnerten. Nehmen an den leise-resignierten Stellen in Kauf, dass der Klang wegbricht. Mal verwenden sie gar kein Vibrato und mal eines, das sich fast überschlägt vor Intensität. Und immer passt es zum Ausdruck.
Irgendwo im Trio des Menuetts kommt mal so etwas wie Ausgelassenheit auf, wenn der Dreiertakt Schlagseite bekommt wie nach einem Glas Heurigen zuviel. Manchmal blühen Kantilenen auf, als fiele einen Moment lang Sonnenlicht in ein Verlies. Aber das sind Scheinblüten, der choralartig strenge Schluss des Mozart-Quartetts macht es deutlich. Und bei Beethoven kracht es sowieso zum Fürchten. Das klingt in seiner bedingungslosen Expressivität nie nach Selbstzweck. Stilistisch machen die vier sich ohnehin ihren eigenen Reim auf die Musik, ob das die historische Aufführungspraxis nun schicklich fände oder nicht. Deren Erkenntnisse ihrem Spiel natürlich anzuhören sind, natürlich sind auch die Ébènes Kinder ihrer Zeit. Das zeigt sich schon daran, dass sie klanglich als vier Individuen in Erscheinung treten.
In den guten alten Zeiten war absolute Homogenität das höchste Ideal des Quartettspiels. Diese Homogenität steht ihnen aber selbstverständlich auch zu Gebote – wenn sie wollen. In Ravels Streichquartett nach der Pause wollen sie. Da verschmelzen sie die Klangfarben ihrer Instrumente bis zur Ununterscheidbarkeit, lassen die Luft sacht erzittern wie an einem Sommernachmittag und tönen die Dynamik immer noch feiner ab. Aber es geht ihnen – und Ravel – ohrenkundig nicht um gut konsumierbare impressionistische Stimmungsbilder. Dafür ist zuviel Tiefe hinter diesen Klanggemälden, etwa in den Klagen der Geigen im langsamen Teil des zweiten Satzes, bevor das Stück wieder in übermütige Volksfestpassagen ausbricht. Großer Jubel. Die Musiker aber schlüpfen mal eben in völlig andere Klanggewänder und geben Tango und Jazz vom Allerfeinsten zu. Und machen ihrem Ruf als innovative Vertreter der altehrwürdigen Gattung Streichquartett alle Ehre.