Hamburg. Intendant Lieben-Seutter spricht nach der ersten Woche über Akustik, Programm, Vergleiche mit Disneyland und eine Strafanzeige.

Die erste Woche mit der Elbphilharmonie ist überstanden. Im Verwaltungstrakt in der 10. Etage ist zwar noch kein routinierter Ruhepuls zu spüren, doch allmählich arrangieren sich alle damit, dass die Konzerthaus-Wahrzeichen-Maschinerie nun läuft und läuft und läuft. An einem Besprechungstisch brüten Mitarbeiter über Terminplänen, um zu klären, was wann wie im Großen Saal passiert. Und Generalintendant Christoph Lieben-Seutter macht einen erstaunlich unerschöpften, zufriedenen Eindruck.

Die Kritiken insbesondere des ersten Abends waren sehr gemischt: Die „Welt“ war geradezu entsetzt, in der „FAZ“ stand, der Große Saal sei „gnadenlos überakustisch“. Im Berliner „Tagespiegel“ dagegen hieß es: „Klingt fantastisch und nach 21. Jahrhundert. Hier soll nicht im wattigen Wohlklang geschwelgt werden.“ Wer hat denn nun recht – die Musikkritiker oder der Saal?

Christoph Lieben-Seutter: Interessant, oder? Es sind wirklich Meinungen von hü nach hott. Die zeigen ganz gut, dass Akustik wirklich ein etwas komplexeres Thema ist. Ich finde den Saal super, sicher einer der besten, den Toyota je gebaut hat.

Das müssen Sie jetzt sagen ...

Wenn man sich für so einen Weinberg und den besten Akustiker entscheidet, hat man auch gewisse Voraussetzungen getroffen. Das wird nie der Wiener Musikverein, sondern ein Saal, der eher auf der analytischen Seite ist. Das hat er gut geliefert. Und beim Eröffnungsprogramm hat der Saal noch viel mehr gezeigt – von der riesigen Musik-Bonbonniere Jörg Widmanns bis zum Jazz.

Ein Kollege sah hier einen Spargeltopf, ­keinen Weinberg.

Ich sage manchmal Schüssel dazu.

Was lief bislang besser als erwartet?

Vieles. Der höchst komplexe Ablauf rund um die Eröffnung, die Außeninszenierung, die halbe Bundesregierung im Haus ... Hat im Prinzip alles funktioniert. Im Saal und in den Foyers fühlt sich das Publikum sehr wohl. Musikalisch gab es totale Aha-Erlebnisse. Alles in allem ein großes Glücksgefühl.

Was ging schief, außer dem Platz für einen schwer verstimmten „Welt“-Kritiker hinter dem Orchester?

Das war der größte Bock, den wir selber geschossen haben – nicht nur er, sondern auch einige andere Journalisten saßen am Ende dort, wo sie lieber nicht hätten sitzen sollen. Nicht, weil es schlechte Plätze sind, sondern weil es eher nicht die Plätze sind, für die die Musik komponiert wurde. Mich hat das sofortige Drauflosschreiben nach den ersten zwei Stunden gewundert – man weiß ja, dass die Akustik sich in so einem Saal je nach dem Gebotenen anders darstellt, hinter dem Orchester ist eben wirklich hinter dem Orchester.

Man hört überall gut, aber nicht überall dasselbe

Die monatelang in die Welt geschickte Ansage, man würde auf allen Plätzen gleich gut hören, ist offenbar so relativ wie der Festpreis für das Gebäude damals während der Krisenjahre.

So relativ nicht. Sie ist vielleicht etwas pauschal. Ich würde immer noch sagen: Man hört überall gut. Aber nicht überall dasselbe. Bei gewissen Dingen ist nun mal die Physik davor. Wenn man hinter den Hörnern sitzt, kann auch der beste Akustiker nichts dafür, dass man sie dort stärker hört als anderswo.

Waffenscheinpflichtige Bläsersätze

Dann so ausgebuffte Allesspieler wie das Chicago Symphony Orchestra für einen der ersten Abende zu holen, ist Erlebnispädagogik für die hiesigen Orchester: Man kann das alles hinbekommen, auch wenn man erst eine Stunde vor Konzertbeginn aus dem Tourbus steigt.

Ja, das war erstaunlich. Ich war sehr glücklich, dass das geklappt hat. Eine unglaubliche Klangkultur, mit geradezu waffenscheinpflichtigen Bläsersätzen. So etwas wie diese „Bilder einer Ausstellung“ habe ich im Leben noch nicht gehört, das hat ganz perfekt die Stärken des Großen Saals gezeigt.

Was bedeutet es für die nächsten Wochen, Monate, Jahre: wenn der NDR monatelang probt und Probleme hat, während Nagano nach sechs Tagen alles im Griff hat und Muti buchstäblich aus dem Taxi ans Chefpult geht und alles ist perfekt?

Erst jetzt lernen wir ja den Saal kennen. Die Wochen mit den Proben waren zwar hilfreich, aber die Akustik ist dann doch unterschiedlich. Mit Publikum ist es ein bisschen trockener. Es ist unfair, ein Mörderprogramm wie das von der Eröffnung mit den vielen Konzerten zu vergleichen, die noch kommen sollen. Ein Orchester wie Chicago ist bestens trainiert und gewohnt, einmal im Jahr rund um die Welt zu fahren und in allen Sälen zu spielen. Innerhalb von Minuten konnte Muti die Akustik austarieren. Das ist deren Expertise. Die besten Konzerte, die ich mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester erlebt habe, waren Auswärtsspiele, in Wien, in Japan und in New York. Da waren sie auf Tournee, das ist eine andere Sicherheit.

Soll und kann es denn Justierungen im Großen Saal geben? Eine Wand mal eben drei Meter nach hinten geht nicht, aber man könnte beispielsweise wie in Los Angeles mitunter Vorhänge anbringen.

Ein bisschen was könnte man machen, aber ich sehe keinen Anlass dazu. Ich glaube, der Saal ist gut, so wie er ist. Man muss ihn aber etwas besser kennenlernen. Die Fachleute sagen, dass er sich noch verändern wird. Jedes Konzert bringt neue Erfahrungen.

Auf den billigen Plätzen klingt es am besten

Gibt es gute und weniger gute Blöcke, in denen man sitzen kann?

Das hängt auch von der Musik ab. Aber generell würde ich schon sagen: weiter oben ist es toller. Auf den billigen Plätzen klingt es am besten, auch ganz oben.

Der Große Saal ist also immer nur so gut, wie man in ihm spielt?

Ja, das war die allgemeine Erkenntnis: Gutes hört man besonders gut. Nicht so Gutes hört man auch sehr gut.

Das ist dann der Trainingseffekt für die hiesigen Orchester?

Das ist ja kein schlechter.

Der „Spiegel“ hat in einem Artikel geschrieben, es gäbe Messungen von Toyota mit nicht besonders erfreulichen Ergebnissen, ein neutraler und anonymer Experte meldete angeblich auch Kritik an.

Da wurden schon wieder Gerüchte gewälzt. Der Nachhall sei zu groß, und das ist ja nun gerade nicht der Fall. Ich wüsste auch nicht, wie man an Messergebnisse von Toyota herankäme.

Es gab intensive Debatten über das bewusst anspruchsvolle Programm des Eröffnungskonzerts. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Während der Entstehungsgeschichte des Programms war ich zunächst etwas skeptisch, so fantastisch ich es auch fand. Nach den ersten Proben war ich aber total überzeugt. Die Kehrseite: Dieses Repertoire kommt im Fernsehen vielleicht nicht ganz so gut. Das Signal halte ich aber nach wie vor für ganz wichtig: In der Elbphilharmonie kann man etwas Besonderes erwarten. Kaum jemand wird davon ausgehen, dass bei uns nur diese Musik zu hören sein wird und nie Beethoven oder Mozart.

Kleiner Saal? Zwölf von zehn Punkten für die Akustik?

Zehn von zehn. Aber ich habe bislang nur sehr wenig erlebt. Ich war nur im Eröffnungskonzert. Mit der Beleuchtung bin ich noch nicht ganz zufrieden, akustisch war das, was ich von meinem Platz aus erlebt habe, hervorragend.

In den letzten Tagen wirkte die Stadt an vielen Stellen wie umgekrempelt: Überall wird über Komponisten gesprochen, über Konzertprogramme und Akustik-Fragen. Wir haben gerade mal eine Woche Spielbetrieb hinter uns. Haben Sie erwartet, dass das Umdenken in diesem Ausmaß durch die Stadt schwappt?

Nein. Vor einem Dreivierteljahr, als wir das Programm vorstellten, habe ich gesagt: keine Ahnung, was passiert. Kann sein, dass wir gut verkauft sind – oder dass wir bis November gar keine Karten verkaufen. Dass wir Monate vor der Eröffnung schon so was von ausverkauft sind und eine Nachfrage haben, wie sie in der Hochkultur überhaupt noch nie da war, konnte niemand ahnen. Die halbe Stadt ist zu Akustik-Experten geworden und tauscht sich über die besten Plätze aus und über den Unterschied zwischen Liebermann und Zimmermann. Wir rechnen mit sehr vielen Neubesuchern. Danach richten wir auch die Programmhefte aus – dass wir nicht sofort in die Strukturanalyse der Stücke gehen, sondern die Leute etwas mitnehmen. Wir werden hier einen höheren Anteil an Nicht-Kennern haben als in der Laeiszhalle, aber das ist sehr schön. Die machen wir dann zu Kennern.

Ist jetzt das neulich entdeckte Problem mit den Karten gelöst, die man im Online-Shop doppelt herunterladen konnte?

Ja. Niemand hat da systematisch Karten herausgezogen. Der Fehler ist behoben.

Strafanzeige gegen Karten-Weiterverkäufer

Und wollen Sie nun Karten personalisieren, auch als Maßnahme gegen die Wucherpreise auf dem Schwarzmarkt?

Der spielt nur eine minimale Rolle. Wir sind bei etwa 500.000 Tickets, wenn einige Hundert dort angeboten werden, ist das im Promillebereich. Trotzdem doof. Man kann nur allen raten, keine Karten bei Ebay oder anderen Plattformen zu kaufen. Nicht nur, weil die Preise eine Frechheit sind, wir können auch nicht garantieren, dass sie gültig sind. Wir haben auch schon Anzeige erstattet gegen Leute, die im großen Stil Karten weiterverkaufen. Eine Personalisierung und die Kontrolle wären ein so ungeheurer Aufwand – und eine Bestrafung für die 99,9 Prozent der Leute, die ganz normal Karten kaufen.

Wie haben die Intendanten, Konzerthaus-Chefs und Künstlermanager, die bislang hier waren, auf das Erlebte reagiert?

Nur totale Begeisterung. Die sind hin und weg. Das hat sich bis nach Buenos Aires herumgesprochen und nach London – für die sind wir jetzt ein Vorbild und ein Politikum, sie haben dort ja noch keinen neuen Konzertsaal.

Vierwöchige Sommerbespielung kommt

Ist eine Sommerbespielung in diesem Jahr beschlossene Sache, obwohl dann alle hier längst auf dem Zahnfleisch sind?

Ja. Ein vierwöchiges Programm, breit gestreut in den Genres, qualitativ gut, aber ein bisschen leichtfüßiger. Das kriegen wir hin, weil wir den Konzertbereich im Juli drei Wochen für notwendige Wartungsarbeiten schließen. Ab der zweiten Augustwoche würde diese Sommerbespielung kommen. Die Nachfrage ist da.

Für welches Datum in Ihrem Kalender ­haben Sie sich „Ausschlafen“ vorgemerkt?

Lustigerweise habe ich gerade in den letzten Tagen so gut geschlafen wie lange nicht.

In Dimensionen von Disneyland denken

Wie werden Sie den Verkauf für die nächste Spielzeit organisieren?

Mit der üblichen Staffelung – Abonnements zuerst, dann berechtigte Vorverkäufe, dann für alle. Das werden wir sicher kontingentieren, sodass nicht die Ersten gleich alles absaugen können. Wir müssen jetzt in den Dimensionen von Disneyland denken. Das ist neu.

Was ist das Maximalangebot für eine Karte oder das unanständigste, das Sie bislang erhalten haben?

Keine finanziellen Angebote, aber die Geschichten werden sehr abenteuerlich: Menschen, die mindestens einen Vulkanausbruch überlebt haben und deswegen nun eine Karte haben möchten.

Zum Abschluss eine Prognose: In welcher Spielzeit sehen Sie zum ersten Mal einen nicht ausverkauften Großen Saal?

Im Frühjahr 2019.