Hamburg. Kommission stellt schwere Fehler der Betreuer fest, bevor der Säugling beinahe zu Tode geschüttelt wurde. Ermittlungen eingestellt.
Trotz mehrerer voriger Fälle von schweren Kindesmisshandlungen in Hamburg haben städtische Betreuer auch im Fall des Säuglings Deljo schwere Fehler gemacht. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht der Jugendhilfeinspektion, dessen zentrale Inhalte am Mittwoch veröffentlicht wurden. Das Kind wurde in Osdorf beinahe zu Tode geschüttelt, Tatverdacht bestand zunächst gegen die 21 und 25 Jahre alten Eltern. Wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf Anfrage des Abendblattes bestätigte, wurde das Verfahren gegen sie jedoch am 3. Januar eingestellt.
„Trotz umfangreicher Ermittlungen konnte nicht eindeutig festgestellt werden, wer für die Verletzungen des Kindes verantwortlich war“, sagte Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Nach Abendblatt-Informationen kam neben den Eltern eine weitere Person aus dem familiären Umfeld als Täter infrage. Auch mit Hilfe der Rechtsmedizin konnten die Verletzungen nicht genau zugeordnet werden. Damit bleibt die schwere Misshandlung nach derzeitigem Stand ungesühnt.
Scharfe Kritik der Jugendhilfeinspektion
Für die politische Aufarbeitung des Falls hat die Jugendhilfeinspektion alle verfügbaren Akten ausgwertet. In ihrem Bericht heißt es unter anderem, die zuständigen Betreuer des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) hätten nicht genügend Einblick in die Familienstruktur gehabt, vorgesehene Verfahren nicht eingehalten und sich „nicht ausreichend“ um eine Zusammenarbeit mit der Familie bemüht. Zudem stimmte die Falldokumentation in der Papierakte nicht mit jener in einer elektronischen Akte überein.
Der Säugling war zwischenzeitlich bereits in staatliche Obhut genommen, später aber wieder zu seinen leiblichen Eltern gegeben worden. Zu den Hintergründen dieser Entscheidung kann die Jugendhilfeinspektion aus datenschutzrechtlichen Gründen keine weitere Einschätzung abgeben, hieß es. Deljo wurde nicht wie inzwischen vorgesehen vor der Rückkehr zu seinen Eltern im Institut für Rechtsmedizin auf mögliche Misshandlungen untersucht, sondern lediglich der Kinderarzt konsultiert.
Prüfer sprechen von kompliziertem Fall
Die Eltern von Deljo galten von Beginn an als überfordert und mögliche Gefahr für ihr Kind, Vater und Mutter sind wegen verschiedener Delikte polizeibekannt gewesen. Deljo hat zudem mehrere Geschwister. „Das ist kein einfacher Fall“, sagte die Leiterin der Jugendhilfeinspektion, Gisela Schulze, zu der Frage, vor welchen Aufgaben das Jugendamt stand. Wie es aus der Sozialbehörde heißt, habe es in der Familie verschiedene Problemlagen gegeben, die ein hohes Fingerspitzengefühl erforderten. Die Fehler wirkten sich deshalb möglicherweise stärker aus.
Im November 2015 brachte die Mutter das Kind mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus. Durch eine Notoperation konnte sein Leben gerettet werden. Er lebt inzwischen erneut bei einer Pflegefamilie.
FDP und Linke kritisieren Senatorin
Die Fraktionen der Linke und der FDP in der Bürgerschaft kritisierten die Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) scharf dafür, die Ergebnisse der neunmonatigen Prüfung des Falles öffentlich gemacht zu haben, bevor die Abgeordneten im Familienausschuss umfangreich informiert worden seien. Dies ist ein denkbar schlechter Start für die anstehende Aufarbeitung des Falls“, sagte Daniel Oetzel, familienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. „Es ist absolut empörend, dass die Sozialsenatorin dieses wichtige und sensible Dokument in die Öffentlichkeit trägt und Konsequenzen daraus zieht, bevor der zuständige Ausschuss auch nur am Rande darüber informiert wurde, geschweige denn eine Möglichkeit zur Behandlung hatte“, kritisiert Sabine Boeddinghaus, Vorsitzende der Linke-Fraktion.
Der Sprecher der Sozialbehörde, Marcel Schweitzer, wies die Vorwürfe umgehend zurück: Die Fertigstellung des Berichts sei in der vergangenen Sitzung des Ausschusses angekündigt worden. „Der Bericht ging nach der Prüfung durch die Sozialdatenschützer Dienstagnachmittag an die Bürgerschaftskanzlei.“