Hamburg. Eltern von Deljo streiten ab, ihr Baby misshandelt zu haben. Der 21 Jahre alte Vater: „Ich könnte niemals ein Kind schlagen“.

Die Wohnung, in der der neun Monate alte Deljo gelebt hat, bis ihn seine Mutter in die Notaufnahme brachte, liegt im obersten Stockwerk eines Mehrfamilienhauses an einer Osdorfer Ringstraße. Der Wohnblock, zu dem noch ein weiteres Haus gehört, ist eine Einrichtung des städtischen Dienstleisters „Fördern & Wohnen“. Offenbar wohnen viele Mitglieder der Familie A. in den beiden Häusern. Auf den Klingelschildern des Eckhauses, in dem Halid und Elvira A. mit sieben weiteren Parteien leben, steht mehrmals der Name der Familie A. Das Treppenhaus, das zu der Wohnung des Paares führt, ist dunkel.

Halid A. trägt weite Jeans und hat sich die Kapuze seines Pullovers über die kurzen schwarzen Haare gezogen. Er deutet auf die Wohnung hinter sich und sagt: „Ich habe hier mit meinen fünf Kindern gelebt, die ich von Herzen liebe. Jeden Tag, wenn ich nach Hause gekommen bin, waren sie da. Jetzt müssen wir allein hier wohnen.“ Nachdem sich die Hinweise verdichtet hatten, dass Deljo fast zu Tode geschüttelt worden war, hatte eine Mitarbeiterin des Jugendamts Altona Strafanzeige gestellt. Daraufhin wurden alle fünf Kinder des Paares in Obhut genommen. Vier befinden sich nach Abendblatt-Informationen in Hamburger Kinderschutzhäusern. Deljo ist in einer Pflegefamilie untergekommen.

Den Vorwurf, er oder seine Lebensgefährtin seien für Deljo Verletzungen verantwortlich, weist Halid A. zurück. „Ich könnte niemals ein Kind schlagen“, sagt der 21-Jährige. Wie das Abendblatt erfuhr, behaupten beide Elternteile, dass Deljo versehentlich von der Couch gestoßen worden sei, als die Geschwisterkinder miteinander spielten. Deljo und seine Geschwister hätten es gut gehabt, sagt Halid A., jedes der älteren Kinder habe ein eigenes Zimmer gehabt. Ein Eindruck, den auch ein Zeuge bestätigt: Die Wohnung mache einen „sehr sauberen und gepflegten Eindruck“, die Kinderzimmer seien „liebevoll“ eingerichtet.

Das Paar gehört zu einer weit verzweigten Großfamilie, die bereits seit Jahren sowohl den Sozialbehörden als auch der Polizei bekannt ist. Auch der Mann und die Frau hatten in der Vergangenheit mehrmals mit der Polizei zu tun. Der Mann gilt als Kleinkrimineller, gegen den beispielsweise wegen Diebstahls und Drogenver­gehen bereits ermittelt wurde.

Auch dem Jugendamt in Altona ist die Familie seit Jahren bekannt. Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung hat es nach Abendblatt-Informationen bisher nicht gegeben. Dennoch wurde die Inobhutnahme durch eine Pflegefamilie angeordnet, weil die Mutter nach Ansicht des Jugendamts mit der Versorgung des drei Monate zu früh geborenen Deljo überfordert war. Als es Deljo Mitte 2015 besser ging, konnte er in die Familie zurückkehren.

Nana Frombach
ist Sprecherin
der Hamburger
Staatsanwaltschaft
Nana Frombach ist Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft © HA | Roland Magunia

Gewalteinwirkungen waren im Fall Deljo nicht der Grund für die Inobhutnahme – anders als im Fall Tayler. Auch für den 13 Monate alten Jungen war das Jugendamt Altona zuständig. Tayler war am 12. Dezember mit einem Schütteltrauma ins UKE eingeliefert worden, dort starb er eine Woche später. Weil es zuvor schon Hinweise auf Misshandlungen gegeben hatte, war der Junge zeitweise vom Jugendamt in eine Pflegefamilie gegeben worden. Die Jugendhilfeinspektion prüft derzeit, ob die Behörden beim Umgang mit der Familie Fehler machten. Ein Bericht soll in einigen Wochen vorliegen. Eine weitere Parallele: Wie im Fall Tayler richtet sich der Verdacht gegen die Mutter und den Vater von Deljo. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Elvira und Halid A. wegen versuchten Totschlags.

„Wir haben zwei Tatverdächtige und wissen nicht, wer von beiden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Täter ist“, sagte Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Beweismittel, die bei einer Durchsuchung der Wohnung sichergestellt worden sind, sollen nun ausgewertet werden. Auch im Fall Tayler haben die bisherigen Ermittlungen keinen dringenden Tatverdacht gegen die 22 Jahre alte Mutter und den 26 Jahre alten Stiefvater ergeben. Auch sie sind weiter auf freiem Fuß.

Der Fall Deljo ist der dritte Fall von schwerer Kindesmisshandlung, der im Laufe eines Jahres in Hamburg bekannt geworden ist. Ende November hatte das Hamburger Landgericht einen 27-Jährigen wegen schwerer Kindesmisshandlung zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte seinen drei Monate alten Sohn Jamie so heftig geschüttelt, dass er seit der Tat Ende April 2015 schwerstbehindert ist. Insgesamt sind in den vergangenen elf Jahren in Hamburg sechs Kinder durch das Verschulden ihrer Eltern- oder Pflegeeltern ums Leben gekommen.

Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Fassung dieses Artikels hieß das betroffene Baby Diego. Wie sich erst am Donnerstag über eine Mitteilung der Polizei herausstellte, ist der richtige Name des Säuglings aber Deljo. Wir bitten um Entschuldigung.