Hamburg. Die Polizei rückte in der Silvesternacht zu 950, die Feuerwehr zu mehr als 1000 Einsätzen aus. 12 Anzeigen wegen sexueller Übergriffe.
Mögliche sexuelle Übergriffe, Terrorgefahr, Menschenmassen – die Sorgen vor dem Jahreswechsel waren groß. Die Polizei setzte auf Absperrungen, Videokameras, eine mobile Wache. Am Ende war es eine offenbar vergleichsweise friedliche, aber dennoch intensive Nacht: Nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei gab es 14 Fälle von Übergriffen auf Frauen, insgesamt 100 Strafanzeigen, zwölf Festnahmen. Die Feuerwehr rückte 1091 Mal aus, zwei Personen wurden bei Unfällen schwer verletzt, ein Mann starb. Für die Beamten kam es an mehreren Plätzen zu brenzligen Situationen.
Jungfernstieg: Aggressive Stimmung und Platzverweise
Gegen 21.45 Uhr ist die Luft aufgeladen. Auf den Treppen steht eine große Zahl von jungen Männern, fast ausschließlich Migranten. Einige bilden spontane Tanzkreise auf den Treppen, andere werfen Böller nah über die Köpfe hinweg. Die Polizei spricht später von einer „aggressiven Stimmung“ und insgesamt 4000 Menschen am Jungfernstieg. Darunter sind viele Flüchtlinge. Dass das Feuerwerk über der Alster ausfällt, wissen die meisten nicht.
Kommentar: Die Polizeitaktik ging auf
„Vergnügen, deshalb sind wir hier“, sagt ein Mann auf Englisch, der weiter am Rande in einer Gruppe steht und auf etwas zu warten scheint. Einige Männer beschießen sich in der Folge mit Raketen. Die Polizei rückt nach 22 Uhr mit einer Hundertschaft an, kontrolliert die Personalien der Störer, erteilt Platzverweise – 75 insgesamt in der Silvesternacht. „Man darf keine Angst haben, heute soll man feiern“, sagt ein junger Deutscher. Er fährt mit seiner Schwester dennoch lieber bald weiter zur Reeperbahn. Nach Mitternacht entspannt sich die Situation am Jungfernstieg. Die Treppen sind am Morgen rot vom Ruß der abgefeuerten Raketen.
Reeperbahn: Feiern unter massivem Polizeischutz
Die Große Freiheit wird zur geschlossenen Gesellschaft. An beiden Enden der Straße stehen zwei Mannschaftswagen quer, überall leuchten die Warnwesten der Polizeibeamten. Hinein auf die Meile darf nur, wer eine Eintrittskarte oder einen Stempel für die Clubs hat. „Wenn um Mitternacht alle rauskommen, haben wir wieder eine gefährliche Masse wie im Vorjahr“, sagt ein Beamter zu Clubbetreibern, die sich beschweren wollen. Auch Innensenator Andy Grote (SPD) besucht den Einsatzort. Insgesamt sind laut Polizei 45.000 Menschen hier unterwegs, 5000 weniger als in der vorigen Silvesternacht. Auch vor der Absperrung bildet sich ein kleinerer Pulk von Menschen, die die Polizei teils als „Problemklientel“ ansieht.
Um Mitternacht versinkt der Kiez im Nebel, im Zischen und Pfeifen des Feuerwerks. Auf der Großen Freiheit behalten Gruppen von Polizisten jeden Winkel im Blick. Bis zum Ende der Sperrung um 0.30 Uhr kommt zunächst niemand zur mobilen Wache am Beatles-Platz. In die Gesichter der Polizisten mischt sich etwas Erleichterung. Dennoch muss die Polizei die Große Freiheit zwei weitere Male abriegeln.
Später melden sich auch Frauenwegen sexueller Attacken: Männer hätten ihnen an den Hintern und teils in den Schritt gefasst – bis zum Neujahrsmittag kann die Polizei zehn Tatverdächtige ermitteln. Dabei handelt es sich um drei Syrer, drei Iraker, zwei Afghanen, einen Mann aus Eritrea und einen Deutschen. Nach den bisherigen Erkenntnissen agierten sie nicht gemeinschaftlich. Von weiteren Übergriffen ist bislang nichts bekannt. „Die Strategie ist aufgegangen, die Maßnahmen waren aber auch notwendig“, sagt Polizeisprecher Timo Zill.
Landungsbrücken: Weniger Menschen, überfüllte Brücke
Mit 10.000 Menschen wollen nach Polizeiangaben nur etwa halb so viele Besucher das neue Jahr am Hafen feiern. Dennoch bildet sich auf der Fußgängerbrücke des Bahnhofes ein Gedränge, die Polizei räumt die Fläche zur Sicherheit um 23.30 Uhr für etwa 45 Minuten. Die U- und S-Bahnen am Bahnhof Landungsbrücken können wegen des Andrangs zwischen 23:44 Uhr und 0:18 Uhr nicht anhalten, sie fahren durch. Abgesehen von einer „Beleidigung auf sexueller Basis“ und kleineren Delikten bleibt die Lage friedlich.
Brände, Unfälle mit Böllern und ein Toter nach Kollision
Auch die Feuerwehr war durch den Jahreswechsel extrem gefordert, fuhr allein 800 Rettungseinsätze und rückte pro Stunde im Schnitt 91 mal aus. „Es war eine unruhige Nacht“, sagte ein Sprecher. Direkt nach Mitternacht kam es zu schweren Unfällen. Ein 25-Jähriger verlor bei der Explosion eines Feuerwerkskörpers Teile seiner Finger.
An der Lutterothstraße in Eimsbüttel stürzte eine 14-Jährige um kurz nach Mitternacht aus noch ungeklärter Ursache von einem Dach. „Wir vermuten, dass sie vom Dach aus das Silvesterfeuerwerk anschauen wollte und dabei das Gleichgewicht verloren hat“, sagte ein Polizeisprecher. Sie soll aus zehn bis 15 Metern Höhe gefallen sein. Das Mädchen kam schwer verletzt in ein Krankenhaus. Lebensgefahr bestand nicht.
Die Feuerwehr zählte insgesamt 271 Brände in der Silvesternacht. Ein Wohnhaus in Altengamme brannte bereits am Sonnabendabend, das Feuer war von einem Auto auf das Gebäude übergegangen. An der Hohen Straße (Harburg) brach ein Feuer in einem Keller aus, sechs Personen mussten aus dem verrauchten Gebäude gebracht werden.
Tödlich verletzt wurde in der Nacht ein 25 Jahre alter Mann, der in Hohenfelde von einem Auto erfasst worden war. Er erlitt schwere Kopfverletzungen und wurde zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht, wo er verstarb.