Bürgermeister Olaf Scholz bleibt die dominante Figur in der Landespolitik, aber Rot-Grün bietet der Opposition auch Angriffsflächen.
Hamburg Für Freunde der lebhaften Parlamentsdebatte war dieser Abend ein Leckerbissen: So temperamentvoll, so lautstark, so verbissen angriffslustig und – ja – auch so angefasst wie bei seiner Rede in der Generaldebatte zum Haushalt 2017/18 am 13. Dezember dürften die Zuschauer Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) noch nicht erlebt haben – die meisten seiner Parteifreunde eingeschlossen.
In der Regel redet Scholz, ein Meister der Affektkontrolle in der Öffentlichkeit, im Ton eines Buchhalters über seine aus seiner Sicht erfolgreiche Politik und übergeht die politischen Mitbewerber dabei nonchalant. Doch an diesem Abend war das anders.
Angriff von Scholz auf Christdemokraten
CDU-Oppositionschef André Trepoll hatte Scholz mit ein paar bissigen Bemerkungen über dessen angebliche Visionslosigkeit und Selbstzufriedenheit aus der Reserve gelockt. Die Generaldebatte ist immer auch eine Generalabrechnung der Opposition mit der Politik des Senats und seines Präsidenten. Ein Profi wie Scholz weiß selbstverständlich, was ihn erwartet.
Doch Scholz fiel aus der üblichen Rolle, sprach und griff Trepoll und die Christdemokraten direkt an, erinnerte an vermeintliche Fehlleistungen der Union in deren Regierungszeit. Der Bürgermeister redete sich geradezu in Rage und forderte am Ende noch Lob vom politischen Gegner etwa für die Abschaffung der Studiengebühren oder die Beseitigung von Schlaglöchern – erntete aber natürlich Hohn und Spott.
SPD kratzt an der absoluten Mehrheit
Der Auftritt des Bürgermeisters war auch deswegen so bemerkenswert, weil es für ihn am Ende eines insgesamt recht erfolgreichen Jahres wahrlich keinen Grund zur Dünnhäutigkeit gibt. Der Sozialdemokrat ist auch im sechsten Amtsjahr der unbestrittene Zampano der Landespolitik. Ohne ihn oder an ihm vorbei läuft kaum etwas, jedenfalls nichts Wichtiges.
Wenn man der repräsentativen Meinungsumfrage der Universität Hamburg von Ende November glauben will, dann ist Scholz’ Rückhalt in der Bevölkerung ungebrochen. 75 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit des Bürgermeisters zufrieden oder sehr zufrieden. Die SPD kratzt mit 48 Prozent an der absoluten Mehrheit.
Volksentscheid über Flüchtlingspolitik drohte
Dabei sah es zu Jahresbeginn durchaus anders aus. Der rot-grüne Senat mit Scholz vorneweg hatte sich mit dem Programm Expresswohnungsbau für Flüchtlinge verrannt. Die große Zahl der Zuwanderer, die vor allem in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 nach Hamburg gekommen waren, sollte in großen Neubaukomplexen untergebracht werden, die schnell als Massenunterkünfte mit der Gefahr der Gettobildung kritisiert wurden.
Anfang März fuhr die Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“, die sich gegen die Großunterkünfte gegründet hatte, in fünf Tagen 26.000 Unterstützer-Unterschriften ein. Ein Paukenschlag und ein Fanal für Rot-Grün! Nun drohte ein Volksentscheid über die Flüchtlingspolitik mit der Gefahr einer Polarisierung in der Stadt und Stimmungsmache gegen Flüchtlinge generell.
Im Juli kam es zum Kompromiss
Nach außen bewahrte Scholz wie üblich Ruhe, aber gelegentlich war dem Bürgermeister doch eine gewisse Ratlosigkeit anzumerken. Es waren vor allem die Koalitionspartner von den Grünen, die Scholz von einem Kurswechsel überzeugten: statt mit dem Kopf durch die Wand und statt Konfrontation mit der Volksinitiative besser Verhandlungen auf Augenhöhe mit der echten Bereitschaft zum Kompromiss.
Im Juli, kurz vor Ferienbeginn, war es so weit: Die beiden Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) hatten nach einem mehrmonatigen Verhandlungsmarathon mit dem Initiativengründer Klaus Schomacker und seinen Mitstreitern eine umfangreiche Vereinbarung mit 13 kleinteiligen Stadtteilverträgen geschlossen – Größenbegrenzung von und Mindestabstand zwischen Flüchtlingsunterkünften eingeschlossen. Das drohende Volksbegehren und damit ein späterer Volksentscheid wurden abgesagt.
Das „A-Team“ war Motor der Einigung
Zwei Punkte sind an diesem Friedensschluss bemerkenswert: Nicht Scholz, sondern Dressel und Tjarks waren die Motoren und Architekten der Einigung. Die beiden Fraktionschefs, die ihr Verhandlungsgeschick schon kurz zuvor bei der Einigung mit der Volksinitiative „Guter Ganztag“ bewiesen hatten, gelten nun als „A-Team“, was nicht nur eine Anspielung auf die ersten Buchstaben beider Vornamen ist. Das Duo hat damit auch sich und die rot-grünen Fraktionen gegenüber einem häufig als übermächtig empfundenen Bürgermeister gestärkt.
Zweitens ist der Kompromiss mit der Initiative und die Abwendung des Volksentscheids ein Lehrstück in Sachen moderner Demokratie: Bürger werden mit ihren Interessen und Forderungen von der Rathauspolitik ernst genommen und damit auch in die Verantwortung eingebunden. Diese Beispiele dürfen Schule machen. Es muss nicht immer bei dem von vielen beklagten Gegensatz zwischen direkter und parlamentarischer Demokratie bleiben.
Scholz ist ein Kontrollfreak
Wahr ist allerdings, dass solche Einigungen Geld kosten, viel Geld. Das war so bei der Verbesserung des guten Ganztags und auch bei der Unterbringung und Integration der Flüchtlinge insgesamt. Wie überhaupt auffällt, dass Rot-Grün manches Problem sehr schnell mit Geld lösen oder zumindest verringern will: mehr Polizei, mehr Richter, mehr Staatsanwälte, mehr Justizvollzugsbeamte und mehr Lehrer. Die weiterhin günstige Finanzlage der Stadt durch nach wie vor sprudelnde Steuereinnahmen macht diese Politik der gezückten Brieftasche möglich.
Dahinter steht ein klares politisches Kalkül. Scholz ist ein Kontrollfreak, der einmal mit dem Anspruch des guten, ordentlichen Regierens angetreten ist. Der Sozialdemokrat ist zutiefst davon überzeugt, dass die Bürger letztlich nur Politiker wählen, von denen sie meinen, dass sie „die Lage im Griff haben“. Durchaus auch im Sinne von Recht und Ordnung. Deswegen war es aus Scholz’ Sicht ein unverzeihlicher Fehler von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die unkontrollierte Zuwanderung der Flüchtlinge 2015 zuzulassen – bei aller Sympathie für die humanitäre Grundausrichtung dieser Politik.
Scholz’ Logik: Nie den Eindruck erwecken, nicht Herr der Lage zu sein
Auf Hamburg übertragen bedeutet das: Ob bei Müll und Dreck auf Straßen und Plätzen, bei Schlaglöchern und erst auf dem Feld der inneren Sicherheit darf der Senat nach Scholz’ Logik nie den Eindruck erwecken, nicht Herr der Lage zu sein. Bei dem Sozialdemokraten führt das bisweilen zu einer fast gesundbeterischen Beschreibung der Realität.
Auf die Frage, wie groß seine Sorgen um die Entwicklung des Hafens angesichts von Umschlagseinbrüchen, Verschlickung von Hafenbecken und der immer noch ausstehenden Entscheidung über die Elbvertiefung seien, sagte Scholz im Abendblatt-Interview im August: „Der Hafen ist für die Zukunft Hamburgs unverändert von allergrößter Bedeutung. Deswegen investieren wir in seine Modernisierung.“ Sorge klingt anders.
Der Aufstand einiger CDU-Frauen
Der Hafen ist ein gutes Beispiel dafür, dass dieser Senat und der Bürgermeister durchaus Angriffsfläche bieten. Dass die Opposition daraus bislang nicht mehr Kapital geschlagen hat, liegt nicht zuletzt auch an ihrer Schwäche. Die CDU, durch die historische Niederlage von 2015 (15,9 Prozent) ohnehin dezimiert, hat sich in diesem Jahr eine völlig unnötige Debatte geleistet. Dass keine Frau auf einem aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagswahl 2017 steht, erweckt den Eindruck, dass diese Partei nicht auf der Höhe der Zeit ist.
Der Aufstand einiger weniger CDU-Frauen wie der Bürgerschaftsabgeordneten Karin Prien und Birgit Stöver sowie Marita Meyer-Kainer von der Frauen-Union gegen die Männer-Dominanz war ehrenwert, aber zum Scheitern verurteilt. Um der Elb-Union ein anderes, moderneres Profil zu geben, wäre wohl eine Frau als Bürgermeister-Kandidatin für 2020 ein richtiger Weg. Viel spricht derzeit dafür, dass Vize-Fraktionschefin Karin Prien diese Frau sein könnte.
Nicht immer einer Meinung: Scholz und Kerstan
Am meisten Ärger hat Scholz nicht etwa ein Oppositionspolitiker bereitet, sondern einer aus den eigenen Reihen: Umweltsenator Jens Kerstan. Der Grüne, der sich als „Enfant terrible“ profiliert, dachte im Sommer öffentlich über ein Diesel-Fahrverbot „als letztes Mittel“ zur Reduzierung der Luftbelastung nach, obwohl Scholz und Verkehrssenator Frank Horch (parteilos) das strikt ablehnen.
Im Mai drohte Kerstan damit, das für Scholz wichtige „Bündnis für Wohnen“ mit der Wohnungswirtschaft nicht zu unterschreiben, weil für ihn – Kerstan – wichtige Punkte noch nicht geklärt seien. Scholz behielt die Contenance, aber Dressel und Tjarks mussten ein ums andere Mal ihre Kompetenz als Troubleshooter unter Beweis stellen.
Nächste Konflikt steht vor der Tür
Insgesamt ist die rot-grüne Koalition auch im zweiten Jahr ein stabiles Bündnis geblieben. Doch es gibt ein wichtiges Thema, bei dem sich tief reichende Meinungsverschiedenheiten abzeichnen: die Asylpolitik. Schon im Frühjahr bei der Diskussion über das von Scholz unterstützte Asylpaket II hatte die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) gesagt, dass die Vorschläge „dem Menschenverstand widersprechen“. Klare Worte.
Und der nächste Konflikt steht vor der Tür: Der Landesvorstand der Grünen fordert einen mindestens zweijährigen Abschiebestopp nach Afghanistan. Die Beteiligung Hamburgs am ersten Charterflug mit Ausreisepflichtigen Richtung Kabul im Dezember hatte zu heftigen Spannungen im rot-grünen Bündnis geführt.
Scholz bemüht sich um internationale Aufmerksamkeit
Erst einmal wird die Eröffnung der Elbphilharmonie am 11. Januar alles überstrahlen. Hamburg steht im Blickpunkt Deutschlands, Europas und darüber hinaus und der Bürgermeister, der ja seinen unbestreitbaren Anteil an der Fertigstellung des Bauwerks hat, mittendrin. Ob die Matthiae-Mahlzeit mit dem damaligen britischen Premier David Cameron und Merkel, das Treffen der 50 OSZE-Außenminister im November oder der G 20-Gipfel im Juli 2017 – Scholz bemüht sich um internationale Aufmerksamkeit für Hamburg.
Dass Scholz’ Name ein ums andere Mal als möglicher Kanzlerkandidat der SPD genannt wird, schmeichelt seiner Eitelkeit. Er hält sich wohl selbst auch für geeignet, wird das Renommee aber einstweilen für seine Arbeit als Bürgermeister nutzen wollen. In aussichtslose Rennen zu gehen, ist nicht seine Sache. Im Übrigen beteuert Scholz gern auch ungefragt, dass er 2020 noch einmal als Bürgermeister antreten will.