Altstadt. Es begab sich, dass die Bürger protestierten und der Senat verhandlungsbereit war – heraus kam ein tragfähiger Kompromiss.
Das neue Jahr 2016 war noch jung, als rund 400 Frauen in Hamburg Anzeige wegen sexueller Übergriffe in der Silvesternacht erstatteten. Diese Vorfälle leiteten einen Stimmungswandel ein. Dem seit dem Spätsommer 2015 anschwellenden Flüchtlingsstrom waren die weitaus meisten Hamburger mit Weltoffenheit und großer Hilfsbereitschaft begegnet. Tausende Freiwillige kümmerten sich aufopferungsvoll.
Mit Jahresbeginn drohte nun ein Prozess der Überforderung. Mehr als 2000 Flüchtlinge wurden im Januar und Februar der Hansestadt zugewiesen, deren Behörden zu diesem Zeitpunkt noch damit zu kämpfen hatten, für jene fast 21.000 Flüchtlinge aus dem Jahr 2015 eine Unterkunft zu finden.
Ein großer Teil der Flüchtlinge lebten in den Wintermonaten in Baumarkthallen, Zelten und auf die Schnelle besorgten Containern. Die Flüchtlingseinrichtungen zeichneten sich durch eine Vielzahl von Provisorien aus.
In vielen Stadtteilen bildete sich Widerstand
Das Mitte März zwischen der EU und der Türkei geschlossene Flüchtlingsabkommen sorgte dafür, dass der Zustrom abebbte. Im März wurden Hamburg nur 643 Flüchtlinge zugewiesen. Im Verlaufe des Jahres gingen die Zahlen weiter zurück und lagen im November – das sind die letzten offiziell veröffentlichten Daten – bei 522 Personen. Derzeit leben insgesamt rund 52.000 Flüchtlinge in der Hansestadt.
Auf der Suche nach einem Weg, die Flüchtlinge dauerhaft unterzubringen, hatte der rot-grüne Senat angekündigt, 5600 sogenannte Expresswohnungen zu errichten – 800 Wohnungen pro Standort. Obwohl vom Senat wahrscheinlich nicht beabsichtigt, entstand unter Bürgern betroffener Viertel der Eindruck, hier sollten unter Missachtung bis dahin geltender Mitspracherechte Großwohnsiedlungen für Flüchtlinge entstehen.
Daher wurden diese Pläne die Initialzündung für eine Bürgerbewegung abseits der Parteien, die in der Nachkriegsgeschichte Hamburgs einzigartig ist. Zum einen wehrten Anwohner sich dagegen, bei der Flüchtlingsunterbringung nicht mitreden zu dürfen. Zum anderen ging es ihnen um eine möglichst faire Verteilung der Flüchtlingseinrichtungen über die Stadt sowie um deren verträgliche Größe.
Anfangs wurden Initiativen belächelt
Anfangs wurden die Initiativen belächelt. Das änderte sich Anfang März. Innerhalb von fünf Tagen sammelten Vertreter der Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“ gut 26.000 Stimmen für ihr Anliegen, Flüchtlinge nicht in Großunterkünften unterzubringen. Damit wurde ein Volksbegehren über das Thema Flüchtlinge denkbar.
Es spricht für den rot-grünen Senat, dass er es darauf nicht ankommen ließ und Verhandlungen mit den Initiativen aufnahm. Im Sommer wurden mehrere Bürgerverträge unterschrieben. Im Kern hatte man sich auf die sogenannte 3 x 300er-Regel geeinigt: 1. Es wird in Hamburg maximal 300 Flüchtlingsheime geben. 2. Neue Einrichtungen werden nicht mehr als 300 Plätze haben. 3. Bestehende Flüchtlingsunterkünfte, die größer sind, müssen erst Ende 2019 die Zielzahl 300 Plätze erreicht haben.
Die Bürgerverträge sind in Deutschland einzigartig
Den regierenden Parteien in Hamburg gelang damit etwas Einmaliges in Deutschland: die Verständigung mit dem Volk in der Frage, die den Menschen am meisten auf den Nägeln brennt. Die Bedeutung der Bürgerverträge besteht in der Stärkung des demokratischen Gemeinwesens. Bürger nahmen ihre Angelegenheiten auf demokratische Weise selbst in die Hand und stellten unter Beweis, dass Bürgerklugheit Lösungen formulieren kann.
SPD und Grüne wiederum bewiesen, dass sie in der Lage sind, auf die Menschen zu hören und ihren Kurs zu ändern. Ihre Kompromissbereitschaft dürfte ein Grund dafür sein, dass ihre Flüchtlingspolitik von den Hamburgern inzwischen weitgehend akzeptiert wird. Die hohen Zustimmungswerte vor allem für Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) legen diesen Schluss nahe.
800 Millionen Euro wurden für Flüchtlinge ausgegeben
Die Befriedung des Streits um die Flüchtlingspolitik machte in Hamburg den Weg frei, den Fokus auf die Integration zu richten. Beispielhaft steht dafür das Programm „W.I.R – work & integration for refugees“, bei dem Arbeitsagentur und Sozialbehörde darum ringen, Flüchtlinge rasch in Arbeit zu bringen. Beispielhaft steht dafür auch, dass in Hamburg alle Flüchtlingskinder eine Kita oder eine Schule besuchen können.
Rund 800 Millionen Euro wird Hamburg dieses Jahr aller Wahrscheinlichkeit nach für Flüchtlinge ausgeben. Der vergangene Woche von der Bürgerschaft verabschiedete Doppelhaushalt für 2017 und 2018 sieht Zahlungen in ähnlicher Größenordnung vor.
Nicht verschwiegen werden soll in diesem Zusammenhang, dass die Opposition Geldverschwendung aufgedeckt hat. Die CDU bemängelte, dass für 30 Millionen Euro Wohncontainer gekauft wurden, die dem Brandschutz nicht entsprechen. In der Oktaviostraße in Wandsbek wurde vor wenigen Wochen ein erst im vergangenen Jahr für 2,5 Millionen Euro errichtetes Flüchtlingsheim mit 728 Plätzen geschlossen, weil auf dem Gelände 24 Luxuswohnungen gebaut werden sollen. Die FDP wies nach, dass die Betreiberverträge für Flüchtlingsheime nicht den üblichen Hamburger Standards entsprechen.
Zudem leben noch heute in Hamburg rund 5000 Flüchtlinge in einer Erstaufnahme- statt in einer Folgeunterkunft. Der scheidende Chef von „Fördern & Wohnen“, Rembert Vaerst, versprach die Lösung dieses Problems bis Mitte kommenden Jahres.