Hamburg. Die drei Angeklagten erhalten Entschädigung für die Zeit in U-Haft. Die Richterin übte scharfe Kritik an den Ermittlungsbehörden.

Hunderte Frauen waren in der Silvesternacht auf dem Kiez von Männern begrapscht, belästigt, gedemütigt worden – doch die Schandtaten, sie werden wohl ungesühnt bleiben. Am Dienstag endete auch der vorerst letzte Prozess um die sexuellen Übergriffe in Hamburg mit einem Freispruch. Zuvor hatte das Opfer in diesem Fall keinen der drei angeklagten Männer vor Gericht wiedererkannt.

Es gebe „keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten die angeklagten Taten begangen haben“, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring, die in ihrer Urteilsbegründung massiv Kritik an den Ermittlungsbehörden übte. Das Verfahren habe ihr gezeigt, „wie leicht unser Rechtssystem durch den Druck der öffentlichen Meinung, der Medien und der Politik“ zu erschüttern sei. Die Beweislage habe mitnichten ausgereicht, um die Männer zu verurteilen. Es sei vielmehr „alarmierend für unseren Rechtsstaat, dass drei Menschen sechs Monate in U-Haft gesessen haben, obwohl es dafür keine konkrete Verdachtslage gab.“ Im Namen der Hamburger Justiz wolle sie sich entschuldigen. Für die erlittene Untersuchungshaft erhält jeder der Freigesprochenen rund 4600 Euro Entschädigung. „Ich kann nur hoffen, dass sie den Glauben an den Rechtsstaat nicht verloren haben“, zitiert der NDR Meier-Göring.

Ausführliche Schilderung vor Gericht

Die drei Männer aus Tunesien, dem Irak und Marokko waren angeklagt, eine 18 Jahre alte Frau in der Silvesternacht auf der Großen Freiheit mit anderen, namentlich nicht bekannten Personen umringt und körperlich bedrängt zu haben. Zwei der Angeklagten sollen sie im Intimbereich und an den Brüsten berührt, ein weiterer soll sie am Gesäß begrapscht haben. Das Opfer Merle N. hatte vor Gericht ausführlich geschildert, wie es den Übergriff erlebt hatte. Wie sie zunächst mit zwei Freundinnen nach dem Jahreswechsel von den Landungsbrücken weiter zum Kiez gezogen sei und wie sie auf der Großen Freiheit von einer Gruppe ausländischer Männer regelrecht umzingelt worden sei. „Ich wurde durchgehend überall angefasst“, sagte die Zeugin vor Gericht. Nachdem sie im Gerichtssaal keinen der Angeklagten als Täter identifizieren konnte, hob das Gericht vor zwei Wochen die Haftbefehle gegen die Angeklagten auf.

Durch die Art der Ermittlungen, so Meier-Göring, sei die Zeugin schon bei der Polizei unbewusst suggestiv beeinflusst worden. Die 18-Jährige habe sich vor der ersten Vernehmung bei der Polizei Bilder eines Fotografen anschauen können, die die Geschehnisse an der Reeperbahn und der Großen Freiheit dokumentierten. Erst danach sei sie befragt worden. Dieses Vorgehen verfälsche die Wiedererkennungsleistung der Zeugin.

Erinnerungen mit Bildern vermischt?

Diesen Aspekt hatte Verteidiger Jonas Hennig während der Verhandlung breit ausgeführt. Er sprach von einem „aberwitzigen Verhalten“ der Hamburger Ermittlungsbehörden. So seien der Zeugin Merle N. von der Polizei kurz nach der Tat Übersichtsfotos vom Tatort vorgelegt worden, auf denen sie zwar einen „Mann mit Käppi“ erkannt hatte – ihm konnte sie jedoch keine Tathandlungen zuordnen. Bei einer weiteren Vernehmung sei ihr dann ein Foto mit dem Käppi-Mann vorgelegt worden, verbunden mit der Frage: „Was hat der mit dem Käppi noch mal gemacht?“

In der Gerichtsverhandlung musste die Zeugin auf Nachfrage einräumen, dass sich ihre konkreten Erinnerungen an die Nacht möglicherweise mit den Bildern vermischt hätten, die ihr bei der Polizei vorgelegt worden waren. Hinzu kamen für das Gericht aber noch weitere entlastende Momente. So stellte sich heraus, dass die Übersichtsaufnahmen vom Tatort lange nach den Übergriffen entstanden waren. Am Ende sei von den Vorwürfen gegen seinen Mandanten und die übrigen Angeklagten „rein gar nichts“ übrig geblieben, so Hennig. Sogar die Staatsanwaltschaft habe „zähneknirschend“ Freispruch beantragt.

Nur drei Fälle kamen zur Anzeige

Dass das Urteil so ausfallen könnte, deutete sich bereits vor Monaten an. Im Juni hatte Richterin Meier-Göring im Zwischenverfahren die Haftbefehle gegen die drei Männer aufgehoben. Schon damals rügte sie die Arbeit der Ermittler. Nur einen Monat später, auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin, setzte dann das Oberlandesgericht den Haftbefehl jedoch wieder in Kraft.

Rund 400 Frauen hatten nach sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht Anzeige erstattet, nur drei Fälle kamen zur Anklage. Mitte Mai war ein Afghane (30) freigesprochen worden. Ein weiterer Mann, der eine Frau bis zum Bahnhof Stellingen verfolgt und dort missbraucht hatte, konnte anhand von DNA-Spuren identifiziert werden. Auch in diesem Fall hieß die Richterin Anne Meier-Göring. Sie verurteilte den 19-Jährigen nach Jugendrecht zu zwei Jahren auf Bewährung.