Hamburg. Das Gericht verurteilt den Stiefvater zu elf Jahren Haft und spricht von einem “Gewaltausbruch gegen ein wehrloses Kleinkind“.

Es war ein Bild des Jammers, das der kleine Tayler abgab. In tiefer Bewusstlosigkeit, der Körper des Babys verkrampft, die Beine steif von sich gestreckt, die Hände in wippenden Bewegungen – alles Folgen einer schweren Hirnverletzung, die das 13 Monate alte Kind erlitten hat.

Nach Überzeugung des Schwurgerichts ist es der Stiefvater des Jungen gewesen, der das Baby so massiv misshandelt hat, dass der Junge eine Woche später an den Folgen der Verletzungen verstarb: Elf Jahre Freiheitsstrafe wegen Totschlags verhängt die Kammer gegen den 27 Jahre alten Michael Q. Der Mann habe den Tod des Jungen „billigend in Kauf genommen“, sagt die Vorsitzende Richterin. Mit Tayler habe die Gewalttat ein „besonders junges, wehrloses Opfer“ getroffen.

Taylers Mutter bricht in Tränen aus

Starr blickt der Angeklagte bei der Urteilsverkündung nach unten, das Gesicht des kräftig gebauten Mannes zeigt keine Regung. Ganz anders die Mutter des kleinen Tayler, die zur Urteilsverkündung am Montag erstmals in dem 20 Verhandlungstage dauernden Prozess erschienen ist: Jacqueline B. bricht in Tränen aus. Dass es Tränen der Erleichterung sind, zeigt ihr Blickwechsel mit einer Angehörigen im Zuschauerbereich des Verhandlungssaals, die ihrer Anspannung mit einem Jubelschrei Luft gemacht hat. Elf Jahre Haft, das ist exakt das Strafmaß, das die Staatsanwaltschaft beantragt hat. Verteidiger Elmar Böhm, der auf Freispruch plädiert hat, kündigt an, in Revision zu gehen.

Nach Überzeugung des Gerichts hat der Angeklagte das Baby am 12. Dezember vergangenen Jahres so massiv geschüttelt und dabei den Kopf des Jungen gewaltsam „mindestens zehn bis 15 mal“ vor und zurück geschleudert, „dass jeder Außenstehende“, der die Tat beobachtet, „sofort Angst um das Leben des Kindes bekommen würde“, sagt die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung.

Das Gericht habe keinen Zweifel, dass dem Stiefvater bewusst gewesen ist, wie gefährlich sein Handeln war. „Wer derart schüttelt, kann weder steuern noch dosieren.“ Taylers Gehirn war bei seiner Einlieferung ins UKE so schwer geschädigt, dass Tage später entschieden wurde, die lebenserhaltenden Maßnahmen schrittweise zu reduzieren. Am Abend des 19. Dezember, also genau vor einem Jahr, hörte das kleine Herz des Jungen zu schlagen auf.

Hirnschädigungen durch Schütteltrauma

Das Gericht ist sicher, dass es nur Michael Q. gewesen sein kann, der Tayler so schwer verletzt hat, dass der Junge an den Folgen der Misshandlungen verstarb. Rechtsmediziner haben eindeutig nachgewiesen, dass das Baby ein Schütteltrauma erlitten und dadurch schwerste Hirnschädigungen davongetragen hat. Die Folgen eines Schütteltraumas äußern sich demnach unmittelbar nach der Gewalttat. Und zu dem Zeitpunkt war der 27-Jährige mit dem Jungen allein in der Wohnung.

Seine Lebensgefährtin, die kurz das Haus verlassen hatte, rief er wenig später an und sagte ihr, Tayler habe überraschend „Schnappatmung bekommen“, sei „ganz plötzlich nicht mehr ansprechbar“, alles hänge an ihm „wie Gummi“. Die Mutter eilte nach Hause und forderte Michael Q. auf, den Notarzt zu verständigen. Als Sanitäter später das Kind versorgten, habe der Stiefvater „kühl und distanziert“ gewirkt, sagten Zeugen im Prozess. Die Mutter dagegen sei vollkommen aufgelöst gewesen.

Schon Tage vor der letztlich fatalen Misshandlung hatte Tayler mehrere Verletzungen, vor allem mehrere Hämatome, die gewaltsam verursacht worden sein könnten, sowie Monate zuvor einen Bruch des Schlüsselbeins. Seitdem stand das Baby unter Obhut des Jugendamtes, war auch kurzzeitig in der Bereitschaftspflege, bevor es wieder zu Mutter und Stiefvater kam. Seitdem hatte eine Betreuerin die Familie zweimal in der Woche besucht. Zuletzt fiel ein Bluterguss im Gesicht des Jungen auf, von dem Michael Q. gesagt hatte, er habe das Kind wohl doll gepackt, als er ihn vor einem Wegrutschen in der Badewanne habe retten wollen.

MIchael Q. bestritt die Tat

Doch mit den letztlich tödlichen Verletzungen, so hatte der Angeklagte stets beteuert, habe er nichts zu tun. Er habe mit dem Jungen gespielt und auf dem Sofa Musik gehört, sei dann in die Küche gegangen, um den Geschirrspüler einzuräumen. Mehrfach habe er nach dem Kind gesehen und plötzlich bemerkt, dass dieser nicht mehr auf Ansprache reagierte. Er habe den Jungen „geliebt wie einen eigenen Sohn“, sagte Michael Q. Doch die Gelassenheit, die der 27-Jährige offenbar angesichts des desolaten Zustandes des Jungen zeigte, die Tatsache, dass er einen Tag nach dessen Krankenhaus-Einlieferung in den Urlaub nach Spanien flog und sich in der Folge nicht ein einziges Mal bei der Mutter nach Taylers Zustand erkundigt habe, sprächen eine andere Sprache, sagt die Vorsitzende Richterin. „So verhält sich jemand, der sein Kind wirklich liebt, nicht.“

Das Motiv von Michael Q., so dass er das Baby plötzlich packte und heftig schüttelte, blieb für das Gericht im Dunkeln. Taylers Stiefvater habe zuvor einen entspannten Tag gehabt, eine mögliche Überforderungssituation habe es nicht gegeben. Möglicher Auslöser sei eine verborgene Ablehnung gegen das Baby, so die Richterin, oder Eifersucht oder Wut über ein bestimmtes Verhalten des Jungen. Aber keiner dieser möglichen Gründe, „vermag diesen Gewaltausbruch gegen ein wehrloses Kleinkind zu erklären“.