Hamburg. Sozialverbände mobilisieren gegen Arbeitsentwurf aus dem Hause der Bundesfamilienministerin. Aber nicht nur die Verbände.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon war da. Bundespräsident Joachim Gauck ebenfalls. Die erste Garde der Polit-Prominenz verlieh dem Rathaus am Freitag vor drei Wochen zu den Festlichkeiten zum 20-jährigen Bestehens des Internationalen Seegerichtshofs mächtig Glanz. Doch am Rand ging es um profane Innenpolitik. Der Altonaer CDU-Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg nutzte die Gelegenheit, um Sozialstaatsrat Jan Pörksen (SPD) mitzuteilen, was er von den Plänen zur Reform der Kinder- und Jugendhilfe hält: nämlich gar nichts.

Damit steht der familienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht alleine da. Die großen Sozialverbände mobilisieren seit Wochen gegen den Arbeitsentwurf aus dem Hause der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD). Aber nicht nur die Verbände. Weinberg kämpft Seit an Seit mit prominenten Vertretern der Linken gegen das Reformvorhaben. So etwa die familien- sowie kinder- und jugendpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jörn Wunderlich und Norbert Müller. Die beiden gehören zu den rund 60 Unterzeichnern der „Hamburger Erklärung“, die der Alternative Wohlfahrtsverband „Soal“ am Montag dieser Woche formuliert hat. Darin monieren die Autoren, dass der Hamburger Senat die Reform forciert habe und fordern, das Vorhaben zu stoppen.

Dass die Sozialverbände Sturm gegen das Reformvorhaben laufen, ist nur zu verständlich. Denn am Ende soll es bei der Reform der Kinder- und Jugendhilfe auch darum gehen, die seit vielen Jahren ausufernden Ausgaben in den Griff zu bekommen. Dabei handelt es sich um Ausgaben auf einem Gebiet, das den meisten Familien unbekannt sein dürfte: die sogenannten Hilfen zur Erziehung. Diese Maßnahmen sind für jene Familien vorgesehen, die massive Pro­bleme mit der Erziehung ihrer Kinder haben. In der Regel sind es Sozialpädagogen, die Eltern in die Lage bringen sollen, ihre Kinder hinreichend aufzuziehen. Die Öffentlichkeit kommt damit immer dann in Kontakt, wenn dies nicht passiert. Etwa bei gewaltsamen Todesfällen wie Jessica (2005), Lara-Mia (2009), Yagmur (2013) oder Tayler (2015).

Hilfen zur Erziehung bundesweit von 9,3 Milliarden Euro

Um genau dieses zu verhindern, kümmert sich mittlerweile ein ganzer Wirtschaftszweig um gefährdete Familien. Das spiegelt sich vor allem in den öffentlichen Ausgaben wider. 2014 lagen die Kosten für Hilfen zur Erziehung bundesweit bei 9,3 Milliarden Euro. 33.000 Einrichtungen haben sich auf diese Art der Sozialarbeit spezialisiert. 230.000 Beschäftigte zählt die Branche. Zum Vergleich: Die Automobilbranche in Deutschland erwirtschaftet mit etwa 800.000 Beschäftigten weltweit einen Umsatz von rund 367 Milliarden Euro.

In Hamburg werden die Ausgaben bei den Erziehungshilfen in diesem Jahr wohl erstmals die 300-Millionen-Euro-Marke knacken. 2001 waren es noch 133 Millionen. Und so war es Hamburg, das schon vor fünf Jahren unter der Federführung von Staatsrat Pörksen einen ersten erfolglosen Versuch unternommen hat, die immer weiter steigenden Kosten in den Griff zu bekommen.

Böse Zungen behaupten, dass das Kinder- und Jugendhilfewesen ein sich selbst erhaltendes System sei. So würden Sozialarbeiter betroffenen Familien bereits Anträge für Folgemaßnahmen ausfüllen, während die aktuelle Hilfsmaßnahme noch laufe. Schließlich haben Eltern einen gesetzlichen Anspruch auf diese „individuellen“ Hilfen.

Sozialbehörde kann Kritik nicht nachvollziehen

Allerdings haben sich bereits 2014 alle 16 Familienminister aus den Ländern darauf geeinigt, diesen Rechtsanspruch so zu verändern, dass auch die günstigeren „sozialräumlichen“ Hilfen angeboten werden können. Das bedeutet: Die Sozialpädagogen kommen nicht in die Familien, sondern die Betroffenen gehen zu ihren Helfern. Etwa in Kitas, Schulen oder in Begegnungsstätten.

Dass die Linken ins selbe Horn stoßen wie der CDU-Familienpolitiker, nimmt Weinberg in Kauf. „In der Familienpolitik haben wir ähnliche Zugänge. Aber nur, weil es in einzelnen Fragen fachliche Überschneidungen gibt, heißt das noch lange nicht, dass es auch politische gibt.“ Er kritisiert, dass die Gefahr bestehe, dass künftig nur noch die günstigere Hilfsmaßnahme ausgewählt werde. Viel stärker aber noch wiegt das CDU-Familienbild. So sieht der Reformentwurf vor, dass nicht mehr die Erziehungsfähigkeit der Eltern, sondern die Entwicklungsperspektive des Kindes im Mittelpunkt bei der Art der Hilfsmaßnahmen stehen soll.

In der Sozialbehörde, in der man den Schwesig-Entwurf mitträgt, kann man diese Kritik nicht nachvollziehen. „Hilfen zur Erziehung bekommen nicht einmal fünf Prozent der Familien in Deutschland. Da kann man nicht so tun, als ob die Verstaatlichung der Familie bevorsteht“, heißt es von dort. Klar ist wohl, dass sich die Große Koalition in Berlin nicht mehr auf einen Kompromiss einigen wird. „Diesen Punkt will man Schwesig im Bundestagswahlkampf nicht mehr machen lassen“, heißt es in der SPD.