Hamburg. Der Hamburger Reeder Bernd Kortüm exklusiv im Abendblatt-Interview zur Schifffahrtskrise und der Kritik an seinem Verhalten.

Der Hamburger Reeder Bernd Kortüm (Norddeutsche Vermögen) ist in die Schlagzeilen geraten. „Schulden erlassen, Yacht gekauft“ und „Hamburger Multimillionär. Unglaublich! Bank erlässt Schulden – er kauft sich Megayacht“ war da zu lesen. Im exklusiven Abendblatt-Interview erklärt er seine Sicht der Dinge: Warum die HSH Nordbank ihm einen bedingten Forderungsverzicht über mehr als eine halbe Milliarde Euro gewährte, was es mit dem Yachtkauf auf sich hat, und warum man seiner Meinung nach seinen Fall nicht mit dem eines überschuldeten Häuslebauers vergleichen kann.

Die Reeder haben derzeit bundesweit nicht gerade den besten Ruf. Ihnen wird Gier und Naivität in der Schifffahrtskrise vorgeworfen. Macht es überhaupt noch Spaß, Reeder zu sein?

Bernd Kortüm: Von Spaß kann da wirklich keine Rede sein angesichts einer fast zehnjährigen Schifffahrtskrise, die ja nicht von uns verschuldet ist. Es geht nur noch ums Überleben. Eine herausfordernde Aufgabe, für Gier und Naivität ist da kein Platz.

Kleinanleger haben sich über sogenannte KG-Modelle an Schiffen beteiligt und auf diesem Weg viel Geld verloren. Nun ist der Unmut dieser Anleger groß. Können Sie das nachvollziehen?

Selbstverständlich. Aber gerade um dem vorzubeugen haben wir im Jahr 2004 – also lange vor der Krise – die Neuausgabe von Schiffsbeteiligungen aufgegeben. Nach Jahrzehnten erfolgreicher Arbeit in diesem Bereich ist es Anfang 2000 zu einer Überhitzung des Marktes gekommen, die uns dazu veranlasst hat auszusteigen.

Haben Anleger auch bei Ihnen Geld verloren?

Wir haben in der Zeit von 1975 bis 2004 zusammen 95 Schiffsbeteiligungen mit über 100 Schiffen angeboten. Der überwiegende Teil ist plangemäß verlaufen, etliche besser und nur wenige schlechter.

Warum haben Sie dieses Finanzierungsmodell beendet?

Weil ich festgestellt habe, dass sich für die Anleger kaum mehr Renditechancen bieten.

Anleger, die Geld verloren haben, prozessieren. Ist Ihr Unternehmen auch davon betroffen?

Aufgrund unserer guten Leistungsbilanz waren wir nur mit sehr wenigen Klagen konfrontiert – gemessen an der Zahl unserer Anleger im Promillebereich.

Wie viele Schiffe aus dem alten Finanzierungsmodell haben Sie noch?

Sieben von ehemals 100. Insgesamt besteht unsere Flotte heute aus 52 Frachtern.

Sie haben nach der Beendigung des alten Beteiligungsmodells weiter Schiffe auf eigene Rechnung bestellt. Wie haben Sie diese Frachter finanziert?

Mit den damals üblichen Konditionen zwischen 15 und 30 Prozent Eigenmitteln, der Rest durch Bankmittel überwiegend von der HSH Nordbank.

Sind Ihnen bei der Finanzierung der Schiffe einmal Zweifel gekommen, ob sich diese Geschäfte tatsächlich tragen können?

Als Unternehmer muss ich bei jeder Investitionsentscheidung die Chancen und Risiken abwägen. Zum damaligen Zeitpunkt habe ich die Chancen größer eingeschätzt als die Risiken, weil der Containertransport damals und auch heute noch ein Wachstumsmarkt ist.

Und warum haben Sie dann nur Geschäfte mit der HSH Nordbank gemacht?

Das stimmt so nicht ganz, da wir auch mit anderen Banken Schiffe finanziert haben. Der Schwerpunkt unserer Finanzierungen stammt allerdings von der HSH, weil zwischen beiden Häusern seit 1975 eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit bestand.

Wie hoch ist Ihr Kreditvolumen bei der HSH Nordbank?

Über die vielen Jahre der Zusammenarbeit haben wir ein Kreditvolumen von etwa fünf Milliarden Euro mit der HSH gehabt. Und davon haben wir bis zum Beginn der Krise rund drei Milliarden Euro zurückbezahlt. Auch während der Krise haben wir noch rund 500 Millionen Euro zurückbezahlt.

Die HSH Nordbank hat Ihnen dann aber Kreditzinsen und -tilgungsraten von 547 Millionen Euro erlassen ...

... das Geld wurde uns nicht erlassen oder geschenkt, sondern wir haben einen bedingten Forderungsverzicht vereinbart. Das bedeutet, sollte aus heutiger Sicht der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass die Schiffe in den nächsten zehn Jahren eine deutliche Wertaufholung erfahren, würde jeder Cent der HSH zugutekommen. Die nunmehr ins neunte Jahr gehende Krise ist durch erhebliche Überkapazitäten und einen dramatischen Verfall der Charterraten gekennzeichnet. Wurde für ein mittelgroßes Containerschiff vor der Krise noch 25.000 US-Dollar pro Tag gezahlt, sind es heute nur noch 4000 pro Tag. Dieser Frachtratenverfall führt zu einem erheblichen Wertanpassungs­bedarf für die Schiffe. Dieses betrifft die ganze Branche und nicht nur uns. Damit betrachte ich aber auch mein eingesetztes Eigenkapital per heute als verloren.

In der Öffentlichkeit ist der Unmut groß, dass quasi der Steuerzahler über die HSH Nordbank einem wohlhabenden Reeder zur Seite springt. Verstehen Sie das?

Sicherlich verstehe ich den Unmut. Aber in meinem Fall kann von einem klassischen Zur-Seite-Springen nicht die Rede sein. Denn ich habe mich meiner Verantwortung gestellt und in der Krise über 100 Millionen Euro zusätz­liche Mittel eingebracht und im Zusammenhang mit dem Forderungsverzicht noch mal einen zweistelligen Millionenbetrag privat geleistet. Im Übrigen habe ich mir beim Steuerzahler kein Geld geliehen, sondern bei einem zum damaligen Zeitpunkt sehr ambitionierten öffentlichen Kreditinstitut.

Hätte es aus Ihrer Sicht einen anderen, besseren Weg als den Forderungsverzicht von mehr als einer halben Milliarde Euro geben können?

Aus meiner Sicht nicht. Jeder andere Weg wäre mit einer höheren Wertberichtigung verbunden und damit schlechter für die HSH gewesen.

Ein einfacher Bürger, der seinen Immobilienkredit nicht mehr bedienen kann, verliert sein Haus über eine Zwangsversteigerung und ist mittellos. Ein Reeder, der seinen Kredit nicht mehr bedienen kann, wird vom Staat gerettet. Wie erklären Sie das?

Ihre Frage impliziert, dass wir eine Rettung erfahren haben, davon kann hier keine Rede sein. Wie bereits erwähnt befinden wir uns in einer lang anhaltenden Krise und müssen uns jeden Tag den Herausforderungen aufs Neue stellen. Im Übrigen passt der Vergleich nicht in die Zeit, da der private Immobilienbesitzer sich derzeit über eine Wertsteigerung erfreuen kann, während die Schiffswerte dramatisch verfallen.

Sie fahren mit den kleineren Containerschiffen der sogenannten Panamax-Klasse heute noch jeden Tag Verluste ein. Wäre es für Sie als Unternehmen ökonomisch nicht sinnvoller, diese Frachter zu verschrotten?

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das sicherlich richtig. Seit diesem Sommer haben sich die Raten weiter verschlechtert, wir verlieren derzeit mehr als 1000 US-Dollar pro Tag pro Schiff. Der Grund, warum wir uns auf dieses Zuschussgeschäft einlassen, ist die Hoffnung, dass die Frachter eines Tages wieder Geld einfahren. Lange ist diese­r Zustand nicht haltbar.

Wird es zu weiteren Forderungsverzichten kommen müssen?

Wenn der Markt sich so weiterentwickelt – mit Sicherheit, ja. Die Finanzministerin von Schleswig-Holstein hat ja schon angekündigt, dass es zu weiteren Forderungsverzichten kommen wird.

Mitten in der Krise haben Sie sich dann auch noch eine Yacht gekauft, was in der Öffentlichkeit nicht besonders gut ankam. Ein Fehler?

Der Kauf des Segelbootes fiel in eine unglückliche Zeit. Ich bedauere das.

Aber der Privatperson Bernd Kortüm scheint es finanziell dann ja nicht so schlecht zu gehen ...

... ja das ist richtig. Ich bin seit vielen Jahrzehnten Unternehmer mit Erfolgen und Misserfolgen, das gehört zum Unternehmerleben dazu.

Haben die Reeder die Schifffahrtskrise falsch eingeschätzt und zu lange Schiffe geordert?

Im Nachhinein ist man immer schlauer – nicht nur die Reeder, auch die Banken und die Politiker, die ja die Steuerzahler in den Aufsichtsgremien der Bank vertreten haben. Seit Beginn der Krise 2008 haben die Hamburger Charter­reeder praktisch keine Schiffe mehr bestellt. Unser heutiges Problem sind die immensen Überkapazitäten auf den Weltmeeren, getrieben von den Bestellungen von Riesenfrachtern seitens der großen Linienreedereien. Wichtig ist, dass jetzt sämtliche Beteiligte zusammenwirken. Um eine ausgeglichene Marktsituation wieder herzustellen, muss unter anderem weiter verschrottet und müssen Werftkapazitäten in Asien erheblich reduziert werden.