Hamburg. Seit 13 Jahren wird geplant und gestritten. Nun könnte es zum Showdown vor Gericht kommen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Elbe zählt zu den wichtigsten Wasserstraßen Deutschlands. Für die Schifffahrt bedeutsam ist vor allem das rund 130 Kilometer lange Stück zwischen der Nordsee und Hamburg, wo nach Rotterdam und Antwerpen Europas drittgrößter Hafen liegt. Doch die freie Fahrt in diesem Bereich ist in Gefahr. Seit die Schiffe immer größer werden, fällt es Kapitänen immer schwerer die Fahrt ins Landesinnere bis Hamburg zu meistern. Die Stadt Hamburg und der Bund, der für die Elbe als Bundeswasserstraße verantwortlich ist, wollen deshalb die Elbe weiter ausbaggern. Mehrere Umweltverbände sind dagegen. Seit mehr als einem Jahrzehnt tobt ein erbitterter Rechtsstreit, der mit einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig nächste Woche in seine entscheidende Phase tritt. Das Abendblatt erklärt den letzten Stand und was die Kontrahenten erwarten wird.

Worum geht es bei dem mehr als 600 Millionen Euro teuren Projekt?

Die derzeitige Ausbautiefe der Fahrrinne von Unter- und Außenelbe orientiert sich seit 1999 an Containerschiffen mit einem maximalen Tiefgang von 13,50 Metern (bei Hochwasser). Seitdem sind aber Containerschiffe mit wesentlich größeren Ladekapazitäten und Abmessungen in Dienst gestellt worden. Waren noch vor wenigen Jahren überwiegend Schiffe mit einer Ladekapazität von bis zu 10.000 Standardcontainern (TEU) im Einsatz, werden heute Schiffe mit Stellplätzen für 20.000 Container gebaut. Die Stadt Hamburg und die Bundesregierung wollen den Fluss deshalb so ausbaggern, dass auf ihm Schiffe mit einem Tiefgang von 13,50 Metern immer – unabhängig von Ebbe und Flut – fahren können. Tideabhängig bei Flut soll die Elbe für Schiffe mit einem Tiefgang von maximal 14,50 Metern passierbar gemacht werden. Da die Schiffe nicht nur in der Tiefe, sondern auch in der Breite gewachsen sind, soll die Elbe auch an bestimmten Stellen verbreitert werden, damit sich die Schiffe gefahrlos auf dem Fluss begegnen können. Dafür ist etwa auf Höhe der Landesgrenze zu Hamburg die Einrichtung einer sogenannten Begegnungsbox vorgesehen.

Warum ist die Elbvertiefung für die Wirtschaft so wichtig?

Hamburg ist mit Abstand der größte deutsche Hafen und wichtiger Jobmotor der deutschen Volkswirtschaft. Mit einem Gesamtumschlag von 138 Millionen Tonnen und einem Containerumschlag von knapp neun Millionen TEU ist der Hafen die größte maritime Güterdrehscheibe der deutschen Exportwirtschaft. Indirekt sind im Hafen 150.000 Menschen beschäftigt. Damit ist er beispielsweise der größte Arbeitgeber Schleswig-Holsteins. Der Erhalt seiner Wettbewerbsfähigkeit ist deshalb wichtig. Zuletzt litt diese aber darunter, dass die großen Containerschiffe nicht mehr ohne Behinderungen Hamburg anlaufen konnten. Das gilt insbesondere für jene Schiffe, die im für den Hamburger Hafen so wichtigen Asien-Europa-Verkehr eingesetzt werden. Da diese Schiffe wegen der unzureichenden Tiefe nur mit geringen Ladekapazitäten nach Hamburg kommen, geht dem Hafen bereits Umschlag verloren.

Was sind die Einwände der Umweltschützer?

In den vergangenen 150 Jahren hat es zahlreiche Eingriffe in den Elbstrom gegeben. Durch Eindeichungen in der Vergangenheit nimmt die Flussaue heute weniger als zehn Prozent des ursprünglichen Überschwemmungsgebiets ein. Die Umweltschutzverbände befürchten, dass das ohnehin schon gefährdete ökologische Gleichgewicht der Elbe bei einer erneuten Vertiefung kippt. Sie sagen, dass durch das Ausbaggern des Elbbodens, Hochwasserstände noch höher und Niedrigwasserstände niedriger ausfallen. Sauerstoffreiche Flachwasserlebensräume könnten insbesondere bei Ebbe veröden und wertvolle Brut-, Aufwuchs- und Ruheplätze für Fische gingen verloren. Besondere Gefahr sehen die Verbände für den vom Aussterben bedrohten Schierlings-Wasserfenchel. Dieser kommt nur noch an den tidebeeinflussten Schlickufern vor.

Gab es auch Widerstand von anderen Interessengruppen gegen das Projekt?

Neben den Umweltverbänden hatten auch Anwohner in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, Deichverbände, Obstbauern und Fischereiwirtschaft Einwände gegen das Projekt. Nachdem der Bund versprach, für die Finanzierung künftiger Deichsicherungsmaßnahmen aufzukommen, waren die Deichverbände befriedet. Bund und Hamburg haben zudem eine Regelung mit den Obstbauern getroffen, wonach diese ihre Anbaugebiete künftig auch ohne Elbwasser beregnen dürfen. Die Fischereiwirtschaft bekommt im Schadenfalle Ausgleichszahlungen.

Warum zieht sich das Verfahren vor Gericht schon seit 13 Jahren hin?

Mit der Einstellung in den Bundesverkehrswegeplan im Herbst 2003 begannen die ersten Planungen für das aufwendige Projekt. In einem beschleunigten Planverfahren wurden die Unter-lagen im März 2007 das erste Mal öffentlich ausgelegt. Dabei gab es etliche Einwände, sodass die Pläne überarbeitet und 2008 wieder öffentlich ausgelegt wurden. Inzwischen waren in Sachen Umweltschutz strengere Vor-schriften erlassen worden, sodass die Pläne ein drittes Mal geändert werden mussten. Nachdem sich Niedersachsen lange Zeit gegen das Projekt gesperrt hat und die Planer zudem eine unterstützende Stellungnahme der Europäischen Kommission abwarten wollten, erging der Planfeststellungsbeschluss erst Ende April 2012. Dagegen klagten die Umweltverbände Nabu und BUND mit Unterstützung des WWF. Das Bundesverwaltungsgericht kassierte daraufhin den Planfeststellungsbeschluss, bis zur endgültigen Klärung des Rechtsstreits. Nach einer mündlichen Verhandlung 2014 setzte das Gericht das Verfahren aus und vertagte eine Entscheidung. Es verlangte von Hamburg und dem Bund weitere Nacharbeiten und wollte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Wasserrecht abwarten. Seit Anfang 2016 sind die überarbeiteten Planunterlagen da.

Worüber wird in der kommenden Woche genau verhandelt?

Im Grunde geht es um zwei Themen: Zum einen um Beeinträchtigungen der Schutzräume für wildlebende Tiere und Pflanzen im Sinne der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und zum anderen um den Gewässerschutz, der nach der europäischen Wasserrahmenrichtlinie eine Zustandsverschlechterung der Elbe verbietet. In beiden Punkten hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bei der ersten mündlichen Verhandlung über die Elbvertiefung vor zwei Jahren Nachbesserungsbedarf gesehen und die Verhandlung deshalb ausgesetzt. In Sachen Gewässerschutz wollten die Leipziger Richter ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten, der die Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie konkretisieren sollte. In Sachen Umweltschutz verlangten sie von Hamburg und dem Bund Ergänzungen und neue Kartierungen, etwa zu der Anzahl gewisser Planzenarten am Elbufer oder weiterer Schutzmaßnahmen für Fische. Inzwischen liegt auch die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs vor. Der verbietet generell eine Verschlechterung der Gewässer in niedrigere Qualitätsklassen, lässt für Vorhaben wie die Elbvertiefung aber Ausnahmen zu. Mit den Nacharbeiten und Planergänzungen, die Hamburg ein ganzes Jahr gekostet haben, soll die Verhandlung nun fortgesetzt werden.

Ist mit einer Entscheidung in der kommenden Woche zu rechnen?

In der Regel lassen sich die Richter bei so bedeutsamen Entscheidungen Zeit. Schließlich müssen auch die Nachträge der beiden Parteien in der mündlichen Verhandlung noch im Urteil berücksichtigt werden. Wirtschaftssenator Frank Horch rechnet deshalb erst mit einer Entscheidung im Januar. Insgeheim hofft er aber, dass die Richter am dritten Verhandlungstag, dem 21. Dezember, den das Gericht als Zusatztermin veranschlagt hat, ein Urteil fällen. Die klagenden Umweltverbände hoffen hingegen, die Urteilsfindung durch weitere Anträge hinauszögern zu können.

Welche Entscheidung ist wahrscheinlich zu erwarten?

Das Rennen ist völlig offen. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht aber zahlreiche ursprüngliche Klagepunkte abgeräumt hat und die grundsätzliche volkswirtschaftliche Bedeutung der Elbvertiefung nicht infrage stellt, könnte das Projekt wohl nur noch an juristischen Fehlern scheitern. Einen Durchmarsch gibt es aber auch nicht, dazu haben die Richter ihr Interesse an einer sorgfältigen Betrachtung der Umweltbelange deutlich genug herausgestellt. Am wahrscheinlichsten ist deshalb eine Zustimmung zur Elbvertiefung mit weiteren Auflagen etwa zum Schutz des Schierlings-Wasserfenchels, der an der Elbe seinen Hauptlebensraum hat. Die Stadt wird mit Wirtschaftssenator Horch an der Spitze zur Verhandlung anreisen, die Umweltverbände mit ihren Bundesvorständen.

Welche Folgen hätte ein Verbot der Elbvertiefung für Hamburg?

Seitdem die Reedereien große Schiffe mit Kapazitäten von 10.000 TEU und mehr einsetzen, geht dem Hamburger Hafen Ladung verloren. Wie viel? Das ist nicht bekannt. Darüber schweigen sich die Umschlagterminals aus. Aber sehr viele Schiffe müssen vor ihrer Revierfahrt die Elbe hinauf, andere europäische Häfen ohne Tiefgangsbeschränkungen anlaufen, um Boxen abzuladen und leichter zu werden. Es gab auch schon Fälle, in denen Schiffe vor der deutschen Bucht umdrehen mussten, weil sie mit ihrem Tiefgang nicht in den Hafen gekommen wären.

Sollte die Elbvertiefung endgültig untersagt werden, würden die Reedereien Hamburg vermehrt links liegen lassen und sich auf andere Häfen konzentrieren. Der Hamburger Hafen würde von einem Welt- zu einem Regionalhafen herabgestuft, was sicher mit einem starken Arbeitsplatzabbau verbunden wäre. Die klagenden Umweltverbände fordern derweil einen Bauverzicht und eine Arbeitsteilung zwischen den Häfen: Große Schiffe sollen nach Wilhelmshaven gelenkt werden, kleinere nach Hamburg. Doch die jüngste Entwicklung hat gezeigt, dass so eine Hafenkooperation nicht funktioniert, weil Reeder und Spediteure sich ihre Anlaufhäfen nicht vorschreiben lassen. So hat Hamburg zuletzt Ladung verloren. Gewinner war aber nicht der Tiefwasserhafen Wilhelmshaven, sondern Rotterdam und Antwerpen.