Hamburg. Ottmar Gast erzählt exklusiv, wie er die Übernahme der Reederei durch Maersk sieht und was sie für die Mitarbeiter bedeutet.

Hamburg-Süd-Chef Ottmar Gast empfängt das Abendblatt im 15. Stockwerk der für rund 70 Millionen Euro komplett umgebauten und erweiterten Zentrale der Reederei an der Willy-Brandt-Straße. Es ist das einzige Interview, das der 64-jährige zu der jüngst angekündigten Übernahme der Hamburger durch Maersk geben will. Und es wird ein intensives, offenes Gespräch – über Alternativen zum Maersk-Deal, die verpasste Fusion mit Hapag-Lloyd, mögliche Rücktrittsgedanken – und ein finanzielles Dankeschön für die Mitarbeiter von Hamburg Süd.

Herr Gast, seit 1871 ist Hamburg Süd ein deutsches Unternehmen. Nun soll die Reederei an die dänische Maersk Line verkauft werden. Eine Zäsur – auch für Sie persönlich?

Ottmar Gast: Das ist es auf jeden Fall. Ich bin seit mehr als 20 Jahren bei Hamburg Süd und jetzt derjenige, der den Verkauf bis zum Abschluss begleiten wird. Das sind bewegende Zeiten – auch für mich. Nun wird der Beginn meines Ruhestands Ende 2017 wohl mit der Übernahme durch Maersk zusammenfallen.

Das heißt: Sie bleiben noch bis Ende 2017 Chef von Hamburg Süd?

Gast: Davon gehe ich fest aus.

Wie muss man sich dann Ihr letztes Jahr an der Spitze der Reederei vorstellen? Müssen Sie in den kommenden Monaten ständig bei Maersk in Kopenhagen anrufen, um sich wichtige Entscheidungen vom künftigen Eigentümer genehmigen zu lassen?

Gast: Mit Sicherheit nicht. Das dürfen wir aus kartellrechtlichen Gründen gar nicht. Wir werden bis zur endgültigen Übernahme unsere Entscheidungen vollkommen unabhängig treffen.

Maersk will Hamburg Süd vollständig übernehmen. Ist dieser Komplettverkauf aus Ihrer Sicht die beste Option für die Hamburger Reederei?

Gast: Eine Fusion, bei der wir zum Beispiel die Mehrheit gehalten hätten, wäre aus Sicht von Hamburg Süd sicherlich auch eine interessante Alternative gewesen.

War eine solche Fusion denn in den vergangenen Monaten überhaupt eine realistische Option? Gab es Angebote?

Gast: Ich kann dazu nur so viel sagen: Ich bin in den vergangenen Monaten von fast allen großen Containerreedereien angesprochen worden, ob wir nicht etwas gemeinsam machen können. Da ging es sowohl um Übernahmen als auch um Fusionen. Hamburg Süd war sehr begehrt.

Hat es neben den Gesprächen mit Maersk auch intensive Verhandlungen mit anderen Reedereien gegeben?

Gast: Ja, die gab es. Aus Gründen der Vertraulichkeit kann ich Ihnen aber keine Namen nennen.

Aber für eine Fusion hat der Eigentümer Oetker kein grünes Licht gegeben?

Gast: Das ist richtig.

Vor mehr als drei Jahren fanden Verhandlungen zwischen Hamburg Süd und Hapag-Lloyd über eine Fusion statt. Wurden diesmal auch wieder Gespräche mit dem Nachbarn von der Binnenalster geführt?

Gast: Wir unterhalten uns permanent mit Hapag-Lloyd, aber nicht mehr über dieses Thema. Denn es ist für beide Seiten klar, dass seit der Übernahme der chilenischen CSAV durch Hapag-Lloyd eine Hamburger Fusion keinen Sinn mehr macht. Dafür sind die Fahrtgebiete der heutigen Hapag-Lloyd und unsere zu ähnlich.

Ist die Übernahme durch Maersk für Hamburg Süd ökonomisch notwendig?

Gast: Sie ist nicht zwingend notwendig. Denn wir stehen im Branchenvergleich wirtschaftlich noch gut da. Es handelt sich also auf keinen Fall um einen Notverkauf. Und Berichte, wir würden jeden Tag eine Million Euro Verlust einfahren, entbehren jeder Grundlage. Über den gesamten Zeitraum der vergangenen acht Krisenjahre haben wir im Gegensatz zu vielen Konkurrenten keinen Verlust gemacht. Dennoch sind die absoluten Ergebnisse für einen Eigentümer unbefriedigend. Wir haben kurzfristig keinen wirtschaftlichen Druck, sehen allerdings mittelfristig durchaus die Notwendigkeit zum Handeln. Hamburg Süd muss mit Blick auf die Branchenentwicklung Teil eines größeren Gebildes werden – daran führt kein Weg vorbei.

Wie ist denn die aktuelle wirtschaftliche Situation von Hamburg Süd?

Gast: Wir sind mit dem Jahr 2016 bisher nicht zufrieden, die Kennzahlen liegen aber im Rahmen der Erwartungen.

Hat man in der Vergangenheit Chancen bei möglichen Zukäufen verpasst? Schließlich ist Hamburg Süd im weltweiten Maßstab nur noch eine mittelgroße Reederei.

Gast: Ich denke nicht, dass wir Chancen verpasst haben. Wir haben lange Zeit die Strategie verfolgt, nicht global werden zu wollen. Der Grund dafür lag auf der Hand: Unser Eigentümer Oetker wollte die Risiken zwischen seinen verschiedenen Sparten vernünftig streuen – und die Schifffahrt sollte deshalb nicht zu dominant werden. Stattdessen haben wir erfolgreich versucht, in den Fahrt­gebieten, in denen wir aktiv sind, einer der Marktführer zu sein. Diese Strategie haben wir durch sinnvolle Zukäufe untermauert. Als uns vor einigen Jahren klar wurde, dass dies nicht mehr ausreicht, um in dem immer härter werdenden Wettbewerb zu bestehen, haben wir die Fusion mit Hapag-Lloyd angestrebt. Dieser Zusammenschluss hätte uns zumindest auf Position vier unter den Reedereien weltweit gebracht. Und Oetker hätte dafür nicht einmal Kapital in die Hände nehmen müssen.

Aber die Fusion ist ja damals an der Oetker-Familie gescheitert. Haben Sie sich als Reedereichef nicht durchsetzen können?

Gast: Das ist objektiv richtig.

Wenn man eine Niederlage in einer solch wichtigen strategischen Frage einsteckt, muss man dann nicht eigentlich von seinem Posten zurücktreten?

Gast: Man muss das nicht tun, kann aber sicherlich darüber nachdenken. Und wie Sie sehen, bin ich zu dem Ergebnis gekommen zu bleiben.

Bei den Beschäftigten – vor allem in der Hamburger Zentrale – geht nun die Angst vor einem massiven Arbeitsplatzabbau um. Ist diese Furcht aus Ihrer Sicht begründet?

Gast: Eines vorweg: Maersk zahlt den Kaufpreis nicht für Schiffe und Container, sondern weil wir bei Hamburg Süd eine sehr gute Organisation, einen exzellenten Ruf und vor allem ausgezeichnete Mitarbeiter haben. Zudem muss man mit Blick auf das Thema Synergien berücksichtigen, dass das Personal in unserer Branche nur weniger als zehn Prozent der Kosten ausmacht. Dennoch kann ich verstehen, dass sich die Mitarbeiter Sorgen machen. Aber bis Ende 2017 wird sich ohnehin nichts ändern. Sollte es dann zu der geplanten Übernahme kommen, bleiben alle Arbeitsverträge unverändert bestehen.

Maersk-Chef Sören Skou hat bereits eine Arbeitsplatzgarantie ausgeschlossen und gesagt, dass er „substanzielle Synergieeffekte“ erwarte. Das hört sich nicht gut an.

Gast: Sören Skou hat aber auch von einer light touch integration (dt.: schonende Integration; die Redaktion) gesprochen. Dennoch ist allen Experten klar, dass in der Schifffahrt nichts so bleiben wird, wie es ist. Auch die vor Jahren geplante Fusion mit Hapag-Lloyd hätte Auswirkungen auf die Mitarbeiter von Hamburg Süd gehabt. Aber eines kann ich jetzt schon sagen: Wir planen mit Oetker zusammen einen Fonds, aus dem die Mitarbeiter von Hamburg Süd für ihre zum Teil sehr lange Tätigkeit eine Gratifikation bekommen sollen.

Gehen Sie davon aus, dass es hier in Hamburg weiterhin eine Hamburg-Süd-Zentrale geben wird?

Gast: Ja, selbstverständlich.

Auch am jetzigen Standort an der Willy-Brandt-Straße?

Gast: Ja. Oetker hat vor, das Gebäude als Eigentümer zu behalten, und will es dann an Maersk vermieten.

Und es wird weiter nach Ihrem Vertragsende Anfang 2018 einen Hamburg-Süd-Chef geben?

Gast: Sicher wird es eine Hamburg-Süd-Geschäftsführung mit einem Chef geben.

Wird der Hamburger Hafen durch die Übernahme geschwächt?

Gast: Das sehe ich nicht. Denn sowohl die Kunden von Maersk als auch von Hamburg Süd wollen nach und von Hamburg fahren. Daran wird sich nichts ändern.

Als vor Jahren Hapag-Lloyd von einem asiatischen Konkurrenten übernommen werden sollte, hat die Hamburger Politik sich massiv eingemischt. Es wurde sogar ein Konsortium Hamburger Kaufleute gefunden, welches die Übernahme verhindert hat. Hätten Sie sich aktuell mehr Engagement von lokaler Politik und Wirtschaft gewünscht?

Gast: Die Situation ist nicht vergleichbar. Hapag-Lloyd war eine Aktiengesellschaft mit mehreren Anteilseignern. Wir haben einen einzigen Eigentümer, der nicht fusionieren will und nur das Gesamtpaket verkaufen möchte. Zudem habe ich große Zweifel daran, ob die Stadt sich nach den gemachten Erfahrungen ein weiteres Mal an einer Reederei beteiligt hätte. Schließlich ist bereits das Engagement bei Hapag-Lloyd sehr umstritten.