Hamburg . Patienten werden oft erst nach vielen Stunden transportiert. Insider beklagen Absprachen der Firmen mit Kliniken.

Als Manfred Fenn den Termin für seine querschnittgelähmte Mutter im UKE machte, hätte er niemals mit einem so langen, leidvollen Tag in der Klinik gerechnet. Die Behandlung beim Hautarzt dauerte nur anderthalb Stunden. Doch dann begann das Drama: Um kurz nach 14 Uhr forderten Mitarbeiter einen Krankentransport an. Doch der Wagen, der die Patientin in ihr Altenheim fahren sollte, traf erst fünf Stunden später ein. Die Wartezeit habe die ältere Patientin auf einer harten Liege verbringen müssen, ohne Essen und Medikamente.

Der Betriebswirt war nicht nur wegen dieser unwürdigen Behandlung verärgert, sondern weil Mitarbeiter der Station ihm an dem Nachmittag sagten, sie seien verpflichtet, ein Fahrzeug der Firma Gard anzufordern. Und das würde eben dauern.

Marktführer Gard klagt über Personalmangel

Auch sei seine Mutter kein Einzelfall, hieß es im UKE: Weil Wagen fehlten, würden Patienten auf Transporte bis zu zehn Stunden warten. Manfred Fenn will eine solche Situation nicht noch einmal erleben. Er hat jetzt die Politik eingeschaltet, um den Missstand aufzuklären.

Der Vorfall, der sich kürzlich in Eppendorf abgespielt hat und den das Krankenhaus „aus Datenschutzgründen“ nicht kommentieren will, ist nach Abendblatt-Recherchen aber offenbar kein Einzelfall. Ein Brancheninsider berichtet, dass er bei etlichen Kliniken solche Wartezeiten fast täglich erlebt. So habe gerade erst eine Frau, die wegen eines defekten Katheters von der Klinik Ochsenzoll zur Behandlung in eine Urologie gebracht werden musste, schon mehr als drei Stunden auf den dringenden Transport warten müssen.

Verträge mit privaten Transportbetrieben

Die Misere hat offenbar mehrere Gründe. Zum einen beklagt die Transportbranche Personalmangel. Die Rettungssanitäter bekommen gerade einmal etwa 2200 Euro brutto, bei familienunfreundlichen Arbeitszeiten.

Marktkenner berichten zum anderen von Absprachen zwischen den Kliniken und einzelnen Dienstleistern, die Wettbewerb in der Beförderung zuungunsten der Patienten verhindern. So hätten praktisch alle Krankenhäuser Verträge mit privaten Transportbetrieben unterschrieben. Diese liefen darauf hinaus, dass nicht der Wagen bestellt werde, der im Zweifel am schnellsten zum Patienten kommen kann. Sondern Fahrzeuge des jeweiligen Vertragspartners.

Bei Gard wird das Bestehen von Verträgen zwar bestätigt, es gebe aber keine Absprachen, ausschließlich eine Firma zu beauftragen. Gard habe laut Marktkennern nicht nur mit dem UKE, sondern auch mit der Asklepios Klinik St. Georg, der Heidberg-Klinik und dem Marienkrankenhaus Verträge ausgehandelt.

Herausforderung Fachkräftemangel

Allerdings tut sich die Firma mit Sitz in Hamburg auch nach eigenen Angaben schwer damit, diese zu erfüllen. Gard ist Marktführer und gehört inzwischen zum dänischen Falck-Konzern, doch es gibt zu wenig Mitarbeiter, sagt Sprecher Christoph Lippay.

„Der Fachkräftemangel stellt uns vor die Herausforderung, das steigende Transportaufkommen in dem Umfang zu bedienen, wie wir es eigentlich gerne tun würden“, so Lippay weiter. Seit 2008 disponiert Gard auch die Einsätze des Ärztlichen Notfalldienstes der Kassenärztlichen Vereinigung.

Manfred Fenn, der das quälende Warten seiner Mutter im UKE mit ansehen musste, stößt bei der Politik auf offene Ohren. In zwei schriftlichen Kleinen Anfragen griffen Bürgerschaftsabgeordnete von CDU und FDP das Thema jetzt auf. Der Senat beantwortet die Frage, ob es einen Vertrag mit einem Anbieter gibt, in dem sich das UKE verpflichtet, nur diesen zu beauftragen, mit „Nein“. So äußert sich auch das UKE.

In der Praxis existieren Absprachen in der Branche offenbar sehr wohl. Aus dem Vertrag zwischen einer Klinikgruppe und einem Dienstleister, der dem Abendblatt vorliegt, geht ein Abrechnungsprozedere hervor, das die Verspätungen erklären könnte: Es geht um sogenannte Konsilfahrten.

Kliniken, die einen Anbieter bevorzugen, sparen viel Geld

Das sind Transporte von Kranken etwa zur MRT-Untersuchung, wenn solche Abteilungen in der jeweiligen Klinik nicht vorhanden sind. Hierfür zahlt das Haus den vertraglich gebundenen Dienstleistern nur ein Taschengeld. „Statt etwa 100 Euro, die marktüblich wären, gibt es nur 15 Euro“, sagt ein Branchenkenner.

Aus dem Vertrag zwischen der Klinikgruppe und dem Dienstleister lässt sich die Verabredung herauslesen: „Monatlicher Betrag 2200 Euro bei 150 Konsilfahrten pro Monat. Jede darüber hinausgehende Beförderung (Konsilfahrt) wird mit 20 Euro pro Fahrt berechnet“, heißt es in der Klausel. Der Hintergrund der Dumpingpreise: Die Kosten der Konsilfahrt muss die Klinik selber tragen.

Durch die Vereinbarung senken die heute unter starkem Spardruck stehenden Krankenhäuser also ihre Ausgaben. Als Ausgleich für dieses „Entgegenkommen“ der Anbieter bevorzugt die Klinik den jeweiligen Dienstleister dann bei anderen Einsätzen. „Das ist der Grund, warum die Patienten nicht selber den Anbieter bestimmen können“, heißt es in der Branche.

Hamburg organisiert den Einsatz der Krankenwagen zudem anders als viele andere Städte. Denn andere Gemeinden haben nur eine einzige, unabhängige Koordinierungszentrale für Krankenwagen. Die Innenbehörde verweist lediglich darauf, dass die Dienstleistung „vollständig dem Markt geöffnet ist“ und staatlich nicht reguliert werde.

Auch ein hochrangiger Vertreter einer Krankenkasse bemängelt die Probleme in der Hansestadt, die seit Jahren bestünden. Es handele sich um eine „Hamburgensie“.