Hamburg. Alle fünf Kinderschutzhäuser der Stadt sind voll. Mitarbeiter von Jugendämtern nehmen Jungen und Mädchen sogar mit ins Büro.

Mitarbeiter von Jugendämtern schlagen Alarm: Weil die fünf Kinderschutzhäuser der Stadt belegt sind und es nicht genügend freie Plätze für Kinder in Not gibt, wissen die Sozialpädagogen des Allgemeinen Soziales Dienstes (ASD) nicht mehr, wohin sie Kinder bringen sollen, die nicht in ihren Familien bleiben können, weil dort ihr Wohl gefährdet ist.

Seit Jahren gibt es zu wenig Plätze

„Es ist uns zurzeit nicht möglich, kleine Kinder angemessen unterzubringen“, sagt eine Jugendamtsmitarbeiterin, die anonym bleiben möchte. Allein in den vergangenen drei Wochen gab es in ihrem Bereich drei Inobhutnahmen – also die vorläufige Aufnahme und Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen in einer Notsituation durch das Jugendamt. „Wir garantieren die unmittelbare Aufnahme“, heißt es zwar über die Kinderschutzhäuser auf der Homepage der Stadt Hamburg. In der Realität sieht das aber anders aus: „Die Kinderschutzhäuser hatten in allen drei Fällen keine Kapazitäten“, erzählt die Frau vom Jugendamt.

Neben den Kinderschutzhäusern des Landesbetriebs Erziehung und Beratung (LEB) gibt es weitere Einrichtungen freier Träger. In den städtischen Häusern können 65 Säuglinge und Kinder bis zu sechs Jahren in Notsituationen aufgenommen werden. Doch das ist seit Monaten kaum möglich, auch wenn die Kapazität in diesem Jahr um neun Plätze vergrößert wurde. Das Problem ist nicht neu: Bereits 2012 wurde über den starken Zulauf in den Kinderschutzhäusern berichtet.

Mutter soff und kokste vor den Kindern

Von dem Engpass betroffen war vor Kurzem ein Geschwisterpärchen, zwei und drei Jahre alt. Die Kleinkinder lebten bei ihrer Mutter, die im Beisein ihrer Kinder betrunken war und gekokst haben soll. Die Wohnung war verdreckt. „Die Kinder waren hungrig. Im Kühlschrank lag gerade einmal eine vergammelte Käsescheibe“, so eine ASD-Mitarbeiterin, die die Wohnung aufgesucht hatte. Eigentlich klar, dass die beiden hier nicht bleiben konnten.

Aber die Kinderschutzhäuser, die auf die Bedürfnisse von Säuglingen und Kleinkindern eingestellt sind, waren belegt. Auch das Haus Nord an der Feuerbergstraße. Blieb nur der Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) auf demselben Gelände. „Der KJND ist für Babys und Kleinkinder ungeeignet“, sagt die Jugendamtsmitarbeiterin. Dort werden nur Kinder ab zwölf Jahren und Jugendliche sowie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Auch dort sind die Kapazitäten ausgereizt. Zeitweise hatten Jugendliche dort in Zelten übernachten müssen.

Die Geschwister verbrachten zwei Nächte im Kinder- und Jugendnotdienst, kamen dann in ein Kinderschutzhaus und schließlich zu einem freien Träger. „Die Kinder mussten innerhalb von vier Tagen dreimal umziehen. Das ist unzumutbar“, so die ASD-Mitarbeiterin. In anderen Fällen müssen die Sozialpädagogen des ASD Kinder sogar mit in ihr Büro nehmen und von dort aus nach freien Plätzen suchen. „Meist bleibt ein weiterer Kollege auch nach Dienstende im Büro und kümmert sich in der Zeit um das Kind.“ Die ASD-Kräfte wenden sich an das jeweilige Kinderschutzhaus. Wenn dort kein Platz verfügbar ist, wird die Anfrage von dort aus an die anderen Kinderschutzhäuser weitergeleitet.

Behörde sieht ASD-Kräfte in der Verantwortung

Eine ASD-Mitarbeiterin bringt die Dramatik auf den Punkt: „Es kann nicht sein, dass das Fehlen von Plätzen zum Maßstab unseres Handelns wird.“ Denn tatsächlich hatte die Mitarbeiterin überlegt, ob die Geschwister nicht doch bei der betrunkenen, koksenden Mutter bleiben, statt von einer Einrichtung in die nächste umzuziehen. Was ist das Beste für das Kind? Es sei schon immer schwer gewesen, freie Plätze zu finden, sagt die ASD-Kraft, aber so schlimm wie derzeit war es noch nie. „Die Zustände sind unhaltbar.“ Zwar meldeten die Träger freie Plätze, aber diese seien nichts für Notfälle, sondern dabei ginge es um längerfristige Unterbringungen.

Marcel Schweitzer, Sprecher der zuständigen Sozialbehörde, sieht die Ursache der fehlenden freien Plätze in der Dauer der Belegung: „Die Verweildauer der in Kinderschutzhäusern untergebrachten Kinder ist teilweise sehr lang.“ Und dafür seien die ASD-Mitarbeiter verantwortlich: „Zuständig für die geeignete Anschlussbetreuung beziehungsweise Unterbringung der Kinder während ihrer Inobhutnahme ist die jeweils fallführende Fachkraft im ASD.“ Immerhin: In diesem Jahr plant der LEB ein weiteres Kinderschutzhaus.