Ein erschütternder Fall zeigt: Hamburg darf die Jugendämter nicht im Stich lassen

Das Ansehen von Mitarbeitern der Hamburger Jugendämter hat in den vergangenen Jahren schwer gelitten. Wenn Eltern ihre Kinder misshandelt oder umgebracht haben, offenbarten sich im Nachhinein nicht selten individuelle Fehler, Regelbrüche und Verweigerungshaltungen staatlicher Betreuer. Ein ums andere Mal zeigte sich, dass eine Portion gesunden Menschenverstands ausgereicht hätte, das brutale Schicksal der Kinder abzuwenden.

Dabei hat das Fehlverhalten Einzelner eine ganzen Berufsstand in Verruf gebracht. Die Vorfälle überdeckten stets die großartige Arbeit der meisten anderen Jugendamtsmitarbeiter, die Kinder eben vor Misshandlungen beschützten. Nun legen die Schilderungen von Mitarbeiterinnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) den Schluss nahe, dass die Sozialbehörde die Jugendämter im Kampf für das Kindeswohl schlecht ausrüstet.

In diesem aktuellen Fall haben alle mittelbar Betroffenen offenbar alles richtig gemacht: Beim Jugendamt meldet sich abends eine Frau, die angibt, dass ihre Bekannte mit ihren beiden Kindern, zwei und drei Jahre alt, in einer total verwahrlosten Wohnung lebt. Die Mutter nimmt Drogen, sogar vor den Augen der Kinder. Die Betten sind nicht gemacht, überall stapelt sich Unrat, der Kühlschrank ist bis auf eine vergammelte Scheibe Käse leer. Die Geschwister sind hungrig. Ihre letzte Mahlzeit war das Mittagessen im Kindergarten.

Kurz darauf stehen die Jugendamtsmitarbeiter bei der Familie vor der Tür. Sie beschließen: Die Kleinkinder können hier nicht bleiben, sie sollen noch am Abend in ein Kinderschutzhaus. Dort ist man auf die Unterbringung von Kindern unter sechs Jahre spezialisiert. Für Kinder in solchen Notlagen ist dies der beste, eigentlich der einzige Ort, an dem sie sich aufhalten können. Indes: Kein Kinderschutzhaus kann die Geschwister aufnehmen, weil es keine freien Plätze gibt. Stattdessen kommen die Kinder in die Einrichtung an der Feuerbergstraße, wo ältere Kinder und Jugendliche untergebracht sind.

Erschütternd ist in diesem Zusammenhang die Aussage einer der staatlichen Helferinnen des Jugendamts. Danach haben sie auch darüber nachgedacht, ob es nicht sinnvoll sein könnte, die Kinder bei der Mutter zu lassen, weil die Alternative als ungeeignet eingeschätzt wird. Zwar verwerfen sie den Gedanken wieder, weil die Notwendigkeit der Inobhutnahme zwingend ist. Doch werden alle ASD-Mitarbeiter in solchen Situationen ähnlich reagieren?

Wahrscheinlich nicht. Die Fälle Yagmur oder Tayler, die in ihren Elternhäusern umgebracht wurden, sind Beispiele dafür, was passieren kann, wenn der Staat es an notwendiger Konsequenz fehlen lässt. Anders als im aktuellen Fall gab es da kein beherztes Handeln, das der Willkür unfähiger Eltern ein Ende gesetzt hätte.

Zu Recht hat man in der Sozialbehörde bei den tragischen Todesfällen der Vergangenheit entsetzt mit dem Finger auf die bezirklichen Jugendämter gezeigt. Doch heute den Standpunkt zu vertreten, die Jugendämter hätten es selbst im Griff, für freie Plätze in den Kinderschutzhäusern zu sorgen, geht an der Wirklichkeit vorbei. Es ist Aufgabe der Behörde, den Jugendämtern eine auskömmliche Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Das alles kostet Geld. Doch trotz Schuldenbremse muss es in Hamburg möglich sein, Kleinkinder, die aus ihren Familien herausgenommen werden müssen, altersgerecht unterzubringen.