Samho/Südkorea. Die modernen Containerschiffe werden Europa und Südamerika miteinander verbinden. Das Abendblatt war bei der Abnahme dabei.

Wohin der Blick auch fällt, überall stehen riesige gebogene Stahlhüllen. Halbfertige Schiffsrümpfe, an denen geklopft, gehämmert und geschweißt wird. Richard von Berlepsch interessiert aber nur eine Konstruktion: Ganz vorne an der Pier liegt ein fertiges Schiff im Wasser. Der Chefkapitän von Hapag-Lloyd ist nach Südkorea in die Hafenstadt Samho gereist, um ein riesiges Geschäft unter Dach und Fach zu bringen. Im April 2015 hatte Hapag-Lloyd bei der viertgrößten Werft der Welt, Hyundai Samho Heavy Industries, fünf neue Containerfrachtschiffe bestellt – und das erste soll morgen übergeben werden.

Berlepsch ist der Mann der Stunde. Als Flottenchef bei Hapag-Lloyd kommt ihm die Aufgabe zu, die Abnahme durchzuführen. Er wird das Schiff auf Herz und Nieren prüfen, und erst zum Schluss, wenn er sicher ist, dass die Werft alle Vertragsbedingungen erfüllt hat, wird er seine Unterschrift leisten und damit die Banken anweisen, 120 Millionen US-Dollar an die Werft zu überweisen – so ungefähr. Über den genauen Preis schweigt Hapag-Lloyd.

„Ich gehe jetzt natürlich nicht mehr in jede Kabine und gucke unter die Koje“, sagt Berlepsch über seine Aufgabe. „So eine Schiffsabnahme ist ein Prozess, der über Monate läuft. Praktisch jedes Bauteil, das im Schiff eingebaut wird, ist ja schon begutachtet worden. Manche von der Reederei, andere vom Schiffs-TÜV, der die Klasse erteilen muss, wiederum andere Bauteile sind von beiden geprüft und für gut befunden worden.

Damit das ordentlich läuft, hat Hapag-Lloyd seine eigene Bauaufsicht auf der Werft. Norbert Zelck heißt der Mann, der zusammen mit einem Chefingenieur und einem Elektroniker die Entstehung des Schiffes von Anfang an begleitet hat. Er ist seit Februar auf der Werft. „Und ich bleibe, bis das letzte Schiff im April 2017 abgeliefert ist“, sagt er. Ein großer hagerer Mann, der beim Eintreffen Berlepschs etwas gehetzt wirkt. „Es gibt wohl noch Probleme mit dem Geld“, murmelt er. Es geht um 20.000 US-Dollar, die noch fehlen, weil die örtliche Bank das nicht anweisen kann. „Das muss jetzt aus Seoul transferiert werden“, sagt Zelck. „Aber auch das kriegen wir hin.“

Berlepsch steht inzwischen bei trübem Schmuddelwetter am Dock vor dem neuen Schiff, das bereits seit Anfang September im Wasser schwimmt, und schaut sich das neue Schmuckstück der Hapag-Flotte an. Mit einer Kapazität von 10.500 Standardcontainern ist es bei Weitem nicht das größte Containerschiff, das auf den Weltmeeren schwimmt. Hinsichtlich seines künftigen Einsatzgebiets ist es aber bestens geeignet. Die „Valparaiso Express“ und die vier baugleichen Schwesterschiffe, die Hyundai bis April 2017 der Reihe nach an Hapag-Lloyd übergeben will, werden Europa mit Südamerika verbinden. Dazu sind die größten Containerschiffe der Welt ungeeignet, denn viele Häfen in Südamerika können so große Schiffe gar nicht aufnehmen. Die Schiffe, die alle unter deutscher Flagge fahren und Hamburg als Heimathafen haben werden, sollen von hier aus über Rotterdam und London an die Ost- und an die Westküste Südamerikas reisen. Sie haben eine gute Größe, um den inzwischen ausgebauten Panama-Kanal zu durchqueren.

Manche sagen, die Schiffe kommen zu spät. Denn der Panama-Kanal ist bereits seit Juli fertig, die „Valparaiso Express“ wird aber frühestens nach ihrer Taufe im Dezember in Chile ihren Dienst aufnehmen. Bis dahin setzt Hapag-Lloyd mehrere kleine Schiffe auf der Route ein, was teurer ist. Aber die südkoreanische Werft hat ganze Arbeit geleistet und das Schiff innerhalb von 18 Monaten nach den Vorgaben von Hapag-Lloyd konzipiert und gebaut, um Zeit aufzuholen. „Normalerweise benötigen wir 20 Monate für ein Schiff dieser Größe“, sagt ein Manager von Hyundai.

„Es ist in mehrerlei Hinsicht ein völlig neues Schiff“, fügt der Werftingenieur hinzu. „Es hat beispielsweise doppelt so viele Stromanschlüsse für Kühlcontainer wie herkömmliche Schiffe. Außerdem kann auf den Schiffen dank eines neuen Befestigungssystems auch übergroße Ladung, die nicht der normalen Containernorm entspricht, flexibel verteilt werden.“

Auftragslage in der Containerschifffahrt ist schlecht

Damit intensiviert Hapag-Lloyd Experten zufolge den Kurs, den die Reederei aufgrund der langanhaltenden Krise eingeschlagen hat. Die Auftragslage in der Containerschifffahrt ist nicht sehr gut. Magere Wachstumsprognosen für die meisten Länder in der Euro-Zone und die Konjunkturabkühlung bereiten der Branche Sorgen. Um gerade einmal 1,6 Prozent wird der weltweite Containerumschlag in diesem Jahr steigen, prognostizieren Schifffahrtsexperten. Hapag-Lloyd richtet daher verstärkt sein Augenmerk auf andere Ladung, um seine Schiffe besser auszulasten.

Eine zunehmend größere Rolle spielt für die Reederei der Transport von Spezialfracht, vor allem von Kühlgut. Der Bedarf wächst stark an. Hapag-Lloyd rechnet mit einem globalen Wachstum der Kühlcontainer-Transporte von fünf Prozent pro Jahr. 2014 wurden weltweit 190 Millionen Tonnen Kühlladung transportiert, davon 104 Millionen Tonnen auf See. Bis 2019 wird der Seetransport auf 123 Millionen Tonnen steigen. Da kommen neue Schiffe mit Kühlkapazitäten gerade recht.

Für die Werft Hyundai Samho Heavy Industries ist der Auftrag geradezu ein Segen: Früher baute sie in ihren bis zu 600 Meter langen Docks bis zu 50 Schiffe im Jahr – fast wie Autos am Fließband bei VW. Doch das ist vorbei. Erst brach wegen der Überkapazitäten in der Handelsschifffahrt die Auftragslage beim Bau von Containerschiffen ein, dann starb wegen des niedrigen Ölpreises praktisch innerhalb weniger Wochen die Nachfrage nach Öl- und Gastankern sowie Förderanlagen. 26 Neubauaufträge für Containerschiffe hat die Werft im vergangenen Jahr einholen können. In diesem Jahr nur noch einen, von der japanischen Reederei NYK.

Allianz mit Japanern fällt kleiner aus

Und nicht einmal dieser Auftrag ist sicher. Denn mitten in die Abnahmevorbereitungen platzt die Nachricht, dass die drei großen japanischen Reedereien NYK, MOL und K-Line ihre Containerschifffahrt verschmelzen wollen. Das hat auch Auswirkungen auf Hapag-Lloyd: Denn eigentlich wollten die Hamburger mit den drei Japanern und der taiwanesischen Reederei eine neue große Allianz schmieden. Die fällt jetzt kleiner aus. Für die asiatischen Werften ist der Zusammenschluss hingegen Gift: Er führt nämlich nur zu Kostensenkungen und Abbestellungen von Schiffen. „Wir hoffen auf neue Aufträge 2017“, sagt der Hyundai-Manager. Zuversichtlich klingt er nicht. Für die Werft in Samho und die ganze Stadt wäre es furchtbar. Sie lebt nur von ihr. 3900 eigene und mehr als 7000 Fremdarbeiter sind in dem Ort an der Südwestküste Südkoreas beschäftigt.

Inzwischen ist von Berlepsch mit seinem Chefaufseher des Neubaus, Zelck, die Liste der Beanstandungen durchgegangen. „Claims“ heißen sie in der Fachsprache. Rund 440 waren es insgesamt. Die meisten hat die Werft abgearbeitet.

„Im Wesentlichen handelt es sich um Fehler beim Außenanstrich, und in der Kapitäns-Kajüte hat der Tisch einen Kratzer“, sagt der Flottenchef von Hapag-Lloyd. Nichts, was die Abnahme des Schiffes gefährden könnte. Und so wird von Berlepsch morgen seine Unterschrift leisten, die seinen Arbeitgeber eine dreistellige Millionensumme kosten wird.