Hamburg . Im Silvester-Prozess schildert die Zeugin ihre Erlebnisse. Auf einer Bildvorlage erkannte sie zunächst keinen der Angeklagten wieder.

Für Merle N. waren es entsetzliche Minuten in der Silvesternacht, eingepfercht auf der Großen Freiheit in einer riesigen Masse von Menschen. Wie eingekesselt fühlte sich die 19 Jahre alte Studentin nach eigener Aussage. Links, rechts, vorne, hinten – es ging kein Stück mehr voran.

Dabei sei sie immer wieder aus einer Gruppe von „fünf bis sechs Männern“ heraus begrapscht worden: an der Brust, zwischen den Beinen, am Gesäß, „überall waren Hände“, sagt Merle N. Es habe eine „gefühlte Ewigkeit“ gedauert, so die Zeugin, bis sie sich durch den Pulk hindurch zu einem Club vorgekämpft hätte. Bei drei der mutmaßlichen Täter soll es sich um zwei nordafrikanische und einen irakischen Flüchtling handeln – sie stehen seit Dienstag vor dem Landgericht wegen sexueller Nötigung.

Opfer: Ich wurde von ausländischen Männern umzingelt

Am Donnerstag schilderte die Zeugin dem Gericht, was ihr in jener Nacht widerfahren ist. Sie sei mit zwei Freundinnen nach dem Jahreswechsel von den Landungsbrücken weiter zum Kiez gezogen. Im Bereich der Großen Freiheit sei es so eng gewesen, dass sie und ihre Freundinnen sich nicht mehr hätten bewegen können, sie sei dann von einer Gruppe ausländischer Männer regelrecht umzingelt worden.

„Ich wurde durchgehend überall angefasst“, sagt die Zeugin. Immer wieder hätten sich ihr diese Männer auf unsittliche Weise genähert. Besonders in Erinnerung geblieben sei ihr ein etwa 30 Jahre alter Mann mit dunkler Jacke, rundem Gesicht und Dreitagebart, der sie „doof angegrinst“ habe, als sie sich gegen die Angriffe zur Wehr setzte. „Ich schrie ‘Stopp, aufhören’, schlug die Hände weg, doch der hat mich nur angeguckt und gegrinst.“

Opfer erstatte erst Tage nach dem Übergriff Anzeige

Sie erinnere sich noch an einen weiteren Täter, sehr jung, nicht älter als sie selbst. Wer genau was gemacht habe, könne sie aber nicht mehr sicher sagen. „Ich war damals auch mehr damit beschäftigt, die Hände von meinem Körper zu bekommen“, sagt die Zeugin. „Eine furchtbare Vorstellung“, pflichtet ihr auch die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring bei.

Merle N. hatte sich nicht unmittelbar nach der Tat an die Polizei gewandt, weil sie die Geschehnisse „verdrängt habe“. Erst Tage später, als die Silvesterübergriffe einen immer breiteren Raum in der öffentlichen Diskussion einnahmen, erstattete sie Anzeige.

Haftbefehle auf Antrag der Verteidigung aufgehoben

Die entscheidende Frage: Handelt es sich bei den jetzt angeklagten Männern wirklich um die Täter? Merle N. räumte ein, dass sich ihre Erinnerung an die Nacht möglicherweise mit den Bildern vermische, die ihr später bei der Polizei vorgelegt worden waren. Auf einer großen Übersichtsaufnahme hatte sie jedenfalls sich und die sie bedrängenden Männer beispielsweise anhand von Merkmalen wie einer auffälligen Käppi mit "NY"-Aufdruck erkannt.

Als die Vorsitzende der Zeugin im Gerichtssaal eine Wahllichtbildvorlage zeigte, erkannte sie zunächst keinen der Männer wieder, die jetzt vor Gericht stehen. Als Reaktion darauf beantragte die Verteidigung die Aufhebung der Haftbefehle gegen die drei Männer. Diesem Antrag entsprach das Gericht.

Schon im ersten Prozess um die Silvester-Übergriffe in Hamburg hatte die Hauptzeugin den Angeklagten, einen 30 Jahre alten Afghanen, nicht als Täter erkannt. Der Mann wurde deshalb Mitte Mai freigesprochen. Von den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht, die vorwiegend von nordafrikanischen Männer begangen worden sein sollen, waren allein in Hamburg rund 400 Frauen betroffen.