Hamburg. Vier Abendblatt-Redakteure schreiben über ihre Erlebnisse. Schon der Weg zum S-Bahnhof ist oft eine Geduldsprobe.

Montag: Der Verkehrsfunk beim Frühstück meldet nichts Gutes. Meine Frau hat eine Idee: „Ich fahre sowieso in die Stadt. Da kann ich dich mitnehmen, und du bist schneller.“

Nein, bin ich nicht. Es ist 8.45 Uhr. Kaum fahren wir auf die Straße, reihen wir uns in einen Lindwurm aus Blech ein, der sich in Zeitlupe vorwärts schiebt. Wir wohnen in Hamburgs Süden, in Marmstorf, dort, wo die Großstadt ins Land übergeht. Schöne Gegend, aber strategisch irgendwie ungünstig. Im Grunde wohnen wir zwischen zwei Haupteinfallachsen in die Stadt: Aus Süden ist es die Bundesstraße B 4 (Winsener Straße), aus Südwesten die B 75 (Bremer Straße). Beide Straßen sind morgens mit Pendlern voll, die aus dem Umland in die City wollen.

Da nun aber die Autobahnen 1 und 7 verstopft sind, weicht der Fernverkehr auf die Bundesstraßen aus und verdrängt die Pendler auf die kleinen Straßen am Stadtrand. 9.15 Uhr. Der Blick meiner Frau wirkt gehetzt, und ich frage mich, ob es richtig war, ihr Angebot zur Mitfahrgelegenheit anzunehmen. Wir stehen eingekeilt zwischen zwei Lastwagen. Der vor uns hat ein Frankfurter Kennzeichen, der hinter uns ein polnisches. Wo wollen die nur alle hin? Man glaubt gar nicht, wie lang 4,2 Kilometer von unserem Haus zum Harburger Bahnhof sein können. Ankunft 9.35 Uhr. Wir haben 50 Minuten für eine Strecke gebraucht, die das Auto bei normalem Verkehr in zehn Minuten zurücklegt, spätabends sogar nur acht. Ich komme zu spät ins Büro. Böser Blick vom Chef.

Lesen Sie hier die Erfahrungen anderer Redakteure:
"Bei 70 Minuten Fahrzeit war die Schmerzgrenze erreicht"
"30 Minuten von Teufelsbrück nach Flottbek"
"Es nervt"

Dienstag: Heute nehme ich den Bus. Und ich gehe eher los – um 8.35 Uhr. Schöner Fußweg. Ein Feld mit Schafen. Geordnete Gärten. An der Bushaltestelle dann Chaos. Die Autoschlange ist wieder da, so als hätte sie sich am Vortag nicht aufgelöst. Der Bus ist zu sehen, doch bis er die Haltestelle erreicht, dauert es noch eine Weile. Einsteigen, wir kriechen voran. Stau auf dem Marms­torfer Weg. Zehn Minuten benötigt der Bus bis zur nächsten Haltestelle. Dazwischen liegen 200 Meter. Die Gesellschaft wird immer immobiler, denke ich, während uns rechts eine Mutter mit einem Kinderwagen überholt. Die ersten Fahrgäste werden unruhig. Sie bitten den Busfahrer, sie zwischen den Haltestellen wieder herauszulassen. Kein Problem, wir stehen ja. 9.07 Uhr. Endlich auf der Hauptstraße. Man kann weit schauen und sieht den Bus, der zehn Minuten vor uns losgefahren ist. Er ist auch noch nicht weiter. Ich überlege, ob ich auch aussteigen und zu Fuß weitergehen soll, entscheide mich aber dagegen, weil ich das Experiment bis zum Schluss durchziehen will. Wie lang braucht der Bus bis zum Bahnhof? Letztlich sind es 40 Minuten. Ankunft 9.25 Uhr. Zusammen mit dem Fußweg bin ich genauso langsam wie am Vortag. Da ich aber zehn Minuten eher losgegangen bin, komme ich pünktlich ins Büro.

Mittwoch: Ich habe einen grandiosen Einfall: Anstatt früher, fahre ich diesmal später los. Vielleicht ist dann die Stauwelle schon vorüber, denke ich. Und es klappt! Es ist 9.15 Uhr, und ich bin am Bahnhof Harburg. Obgleich ich 20 Minuten später losgefahren bin als am Vortag, bin ich zehn Minuten früher da. Einziger Haken bei der Sache: Wegen meines späten Aufbruchs bin ich wieder zu spät im Büro. Grimmiger Gesichtsausdruck beim Chef.

Donnerstag: Um im Büro Schönwetter zu machen, fahre heute wieder eher los. Um 8.35 Uhr bin ich an der Bushaltestelle und sehe einen Mordsstau. „Nicht schon wieder!“, denke ich. Dann löst sich die Autoschlange schnell auf. Die Fahrzeuge standen nur hinter der Müllabfuhr, die in Seelenruhe den Hausmüll einsammelte. Muss auch sein. 9.10 Uhr: Ankunft im Büro. So früh war ich in dieser Woche noch nie und genieße darauf erst einmal eine Tasse Tee. Wie kann es sein, dass sich die Lage auf den Straßen von Tag zu Tag so drastisch ändert, frage ich mich. Es sind doch nicht weniger Pendler unterwegs. Und auch der Fernverkehr fließt weiter. Schwer in Gedanken mache ich mich an die Arbeit.

Freitag: Perfektes Fahrgefühl. Der Bus ist pünktlich. Die Straßen sind frei. Am Bahnhof dann ein großes Hallo! Ach, hier sind alle bekannten Gesichter. Die Pendler aus Winsen/Luhe und Rotenburg/Wümme, aus Buchholz, Hittfeld, Stade und dem Rosengarten. Die haben nämlich auch alle die Hoffnung fahren lassen, dass sie mit dem Auto pünktlich zur Arbeit kommen, und fahren jetzt Bahn. Großes Geschiebe am Einstieg. Ich freue mich über einen Bierdeckel-großes Stehplätzchen für mich und meine Tasche. Bei der Ankunft im Büro bin ich zwar etwas derangiert, aber pünktlich.

Feierabend. Es ist 18.50 Uhr. Glücksgefühl bei der Rückfahrt. Laut Anzeige am Bahnhof Harburg kommt mein Bus in einer Minute. Er kommt aber nicht. Auch nicht nach zehn Minuten. Nach 28 Minuten biegt er um die Ecke. Drinnen treffe ich auf einen gehetzt wirkenden Busfahrer. Er entschuldigt sich für die Verspätung, könne aber nichts dafür. Denn nun seien die Straßen in die andere Richtung verstopft. Der Fahrer zeigt mir seinen Plan, hinter jeder Tour hat er mit Kugelschreiber die Verspätung notiert – mitunter eine halbe Stunde. „Ich mache keine Pausen mehr. Ich fahre nur noch durch“, sagt er. Am Wochenende werden ich zu Hause bleiben und keinen Schritt vor die Tür setzen. Die neue Woche kommt noch früh genug – und damit der nächste Stau.