Hamburg. Ex-CDU-Bürgermeisterkandidat sinnt auf Revanche gegen Jungstar Ploß, der ihm den Kreisvorsitz nahm. Überall Gerangel um Bundestags-Kandidaturen

Wer eine Idee davon bekommen will, warum Dietrich Wersich zu einer tragischen Figur in der Hamburger CDU geworden ist, dem könnte ein Blick auf eines seiner Plakate von 2012 helfen. Damals, ein Jahr nachdem Olaf Scholz für die SPD die absolute Mehrheit geholt hatte, wollte Wersich als CDU-Fraktionschef mal so richtig mit dieser neuen SPD abrechnen. Stadtweit ließ er den Slogan „Zählt das Erreichte oder reicht das Erzählte?“ plakatieren. Wobei Slogan der falsche Ausdruck ist. Schließlich ist das kein griffiger Spruch – sondern eine Frage, die kein Mensch versteht. Wersich meinte wohl, dass die SPD viel verspricht, aber nichts hält. Die meisten dürften seine Plakate aber eher für eine Einladung zu einem Poetikseminar mit Duftkerzen gehalten oder schlicht „Häh?“ gedacht haben. Wenn überhaupt.

Diese Geschichte spielt auch dieser Tage wieder eine Rolle. Nachdem Wersich am Montag sein Interesse an einer Bundestagskandidatur verkündete, reden sie in der CDU wieder davon, wie begeistert er von diesen Plakaten gewesen sei und wie wenig er auf Mitstreiter hörte, die ihm erklärten, dass man so einen Spruch vielleicht in ein Oberstufen-Poesiealbum schreiben könne, aber nicht auf Plakate. Spätestens seit dieser Episode galt Wersich manchen als nicht kompatibel mit dem Denken des Durchschnittsbürgers – und als nicht beratbar.

Was folgte, ist bekannt: Nach einem biederen Wahlkampf im Stile der 80er kassierte Wersich 2015 als Bürgermeisterkandidat 15,9 Prozent und damit das schlechteste CDU-Ergebnis aller Zeiten. Als er glaubte, trotzdem Fraktionschef bleiben zu können, taufte „Bild“ ihn „Dietrich Wirrsich“, und seine Parteifreunde schickten den heute 52-Jährigen als Bürgerschaftsvizepräsident in den politischen Vorruhestand. Die dritte Demütigung kam im Mai, als Wersich sich verkalkulierte und den CDU-Kreisvorsitz in Nord verlor – an Christoph Ploß. Dem 31-Jährigen wird großes politischen Talent nachgesagt. Seine Kritiker frotzeln, Ploß habe sich schon Sekunden nach seiner Zeugung für eine Weltkarriere als Berufspolitiker entschieden.

Bei der CDU dürfte es auch um die Listeplätze Gerangel geben

Nun aber sinnt Wersich auf Revanche gegen den CDU-Jungstar, den alle nur „Plossi“ nennen: Per Massenmail und persönlichen Briefen verkündete der Mediziner, er wolle als Direktkandidat in Nord für den Bundestag antreten – eine Kandidatur, die auch Plossi-Ploß anstrebt, wenn sein Ziehvater, Ex-Parteichef Dirk Fischer, nach 36 Jahren Bundestag denn abdanken sollte. Dass sich Wersich Chancen ausrechnet, hat mit dem Prozedere der Aufstellung zu tun. Bei der Kreismitgliederversammlung am 16. November wählen alle in Nord wohnenden Mitglieder den Kandidaten – und nicht die leichter zu steuernden Delegierten. Mit seinen Erfahrungen im Senat könnte er sich bei der Basis gegen den unerfahrenen Ploß oder den mit 72 Jahren nicht mehr so dynamischen Fischer durchsetzen, so Wersichs Kalkül.

Die frühe Ankündigung seiner letzten politischen Schlacht hat bei einigen in der CDU allerdings für Verärgerung gesorgt. „Ich hätte mir gewünscht, dass sich alle Bewerber bis zur Erklärung von Amtsinhaber Dirk Fischer geduldet hätten“, sagt etwa Dennis Thering, Ortschef der CDU-Alstertal, die zum Kreisverband Wandsbek, aber zum Bundestagswahlkreis Nord gehört. Fischer, der seit 1980 ohne großes Aufsehen zu erregen im Bundestag sitzt, will am 4. Oktober verkünden, ob er noch einmal antritt.

Therings Kritik ist durchaus von Bedeutung, denn seine CDU Alstertal gilt aufgrund ihrer Größe als mögliche Königsmacherin bei der Aufstellung. Allerdings gibt es auch andere Stimmen. Es sei „lächerlich“, wie Fischer seine Verkündung inszeniere, als gehe es um eine Papstwahl, sagt ein bekannter CDU-Mann. Offene Kandidaturen seien gut für die Partei – und allemal besser als Gekungel. Fischers Gewicht hat auch damit zu tun, dass es ihm fünfmal gelungen ist, das Direktmandat in Nord zu gewinnen. Ob die CDU das 2017 wieder schaffen kann, ist fraglich. Umso wichtiger wird die Besetzung der Landesliste. Deren Aufstellung folgt einem komplizierten Prozedere. Erst nominieren die Wahlkreise ihre Direktkandidaten, dann erstellt das sogenannte 17er-Gremium, in dem führende Köpfe der Partei sitzen, einen Vorschlag für die Landesliste – in der Regel, aber nicht zwingend aus allen Direktkandidaten. Und am Ende wählt eine Landesvertreterversammlung am 8. Dezember die Liste – Platz für Platz.

Dabei kann es durchaus zu Kampfkandidaturen kommen – denn während die CDU 2013 noch fünf Abgeordnete nach Berlin schickte, gelten bei der Umfragelage derzeit nur die ersten drei Plätze als halbwegs sicher. Auf Platz eins dürfte der Altonaer Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg stehen. Auf zwei soll nach inoffizieller Planung der für seine Engagement geschätzte Eimsbüttler Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse folgen. Spätestens ab Platz 3 aber dürfte das Gedränge beginnen. Denn nicht nur der Nord-Kandidat dürfte auf eine sichere Position drängen – mit der Bundestagsabgeordneten Herlind Gundelach könnte die wahrscheinliche Kandidatin von Harburg und Bergedorf dar­auf verweisen, dass ihr als einziger Frau ein sicheres Mandat zusteht. Auch Mitte-Kreischef Christoph de Vries strebt einen guten Platz an. Er könnte diejenigen in der Partei hinter sich bringen, die sich einen prominenten Konservativen oben auf der Liste wünschen.

Spekuliert wird auch über eine Kampfkandidatur von Bürgerschaftsfraktions-Vize Karin Prien auf Platz drei. Die profilierteste CDU-Politikerin liebäugelt schon länger mit dem Bundestag – ist in ihrem Heimatkreis Altona aber durch Marcus Weinberg blockiert. Unklar ist, wer für Wandsbek ins Rennen geht, nachdem Jürgen Klimke seinen Verzicht erklärt hat. Interesse bekundet hat Bezirksfraktionschef Eckard Graage. Der Kreisvorsitzende Karl-Heinz Warnholz allerdings geht davon aus, dass sich noch weitere Bewerber melden.

So oder so stehen der CDU spannende Wochen bevor. Man kann die offene Konkurrenz als Fortschritt gegenüber Zeiten der Strippenzieherei deuten. Den Eindruck der Zerstrittenheit will die Partei trotzdem vermeiden. „Zum Glück trifft sich am Tag unseres Parteitags die OECD in Hamburg“, sagt ein prominenter Christdemokrat. „Dann stehen wir, falls es bei uns hart zur Sache geht, wenigstens nicht ganz so stark im Fokus.“

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