Hamburg. Der CDU-Bürgermeisterkandidat von 2015 muss den Kreisvorsitz in Hamburg-Nord an einen Nachwuchspolitiker abgeben.
Ein Vorwurf verfolgt Dietrich Wersich seit Jahren, und angesichts seiner Lebensgeschichte ist das zumindest ein wenig überraschend. Er sei nicht sonderlich kommunikationsfähig, ist über den CDU-Politiker immer wieder zu hören. Er rede nicht genug mit Mitstreitern, gehe zu wenig auf andere ein und halte bisweilen sein Wort nicht. Erstaunlich für einen, der mit vier Brüdern aufgewachsen ist, als vierter Sohn eines aus Schlesien stammenden Gartenbauers. Da sollte man doch geübt sein im Verhandeln und im Ausfechten von Konflikten. Womöglich stimmen die Vorwürfe aber auch nur bedingt – und die CDU versucht sich damit bloß selbst zu erklären, warum sie einen, der gerade noch ihr Hoffnungsträger war, so schnell fallen lässt.
Nach dem Wahldebakel 2015 musste Bürgermeisterkandidat Wersich den Fraktionsvorsitz aufgeben. Jetzt ist er für Kulturpolitik zuständig, nicht unbedingt ein Thema, mit dem man täglich die Massen bewegt. Und am vergangenen Sonnabend ließ sich der frühere Staatsrat, Sozialsenator, Zweite Bürgermeister und Spitzenkandidat noch einmal demütigen: Nach vier Jahren als Kreisvorsitzender der CDU Hamburg-Nord unterlag Wersich in einer Kampfabstimmung seinem Gegenkandidaten Christoph Ploß.
Ploß zog Kandidatur gegen Wersich durch
Mit 37 zu 26 Delegiertenstimmen setzte sich der 30 Jahre alte Winterhuder Ortsvorsitzende Ploß gegen den Ex-Senator durch, der Mitglied im deutlich schwächeren Eppendorfer Ortsverband ist. Einige in der Partei hatten den als ebenso ehrgeizig wie talentiert geltenden Ploß zwar aufgefordert, auf eine Kandidatur gegen Wersich zu verzichten – auch um nicht das Bild entstehen zu lassen, die Partei gehe gnadenlos mit ihrem früheren Spitzenmann um.
Ploß aber zog durch und stellte damit auch die alten Machtverhältnisse in der CDU Nord wieder her, in der bis zu Wersichs Amtsübernahme 2012 traditionell die Winterhuder den Chef stellen. Immerhin fiel die Pleite für Wersich weniger drastisch aus, als er das hatte befürchten müssen. Ein paar Delegierte wechselten noch auf seine Seite, sodass es statt eines Debakels nur eine Niederlage mit Ansage gab.
Kampagne für Bürgerschaftswahl war bieder
„Ich bin erhobenen Hauptes aus der Wahl gegangen“, sagte Wersich – und gab zugleich indirekt mehr den Strukturen als sich selbst die Verantwortung für das Aus: „Ich bin vor 30 Jahren in den falschen Ortsverband eingetreten.“ Hat Dietrich Wersich also einfach nur öfter mal Pech? Oder denkt er nicht strategisch genug? Auch die Bürgerschaftswahl 2015 war ja kaum zu gewinnen gewesen. Es gab keine Machtoption für die CDU und keine Wechselstimmung. Die bieder-langweilige Kampagne im Stil der 80er-Jahre hatte Wersich selbst zu verantworten. „Wenn das ein Erfolg wird, gewinnen wir alle“, hatte ihn ein Parteifreund vor der Wahl gewarnt. „Bei einer Niederlage verlierst du ganz allein.“
Es wurde bekanntlich mit 15,9 Prozent das bislang schlechteste CDU-Ergebnis. Erst einmal wollte Wersich trotzdem weitermachen, so, als sei nichts Wesentliches geschehen – und hoffte darauf, Fraktionschef bleiben zu können. Eine seltsam anmutende Verkennung der Lage nach solch einem Ergebnis, die ein wenig an die Verbissenheit erinnerte, mit der er als Sozialsenator gegen alle Widerstände und jede strategische Vernunft die Kita-Gebühren erhöhen wollte. Erst als die „Bild“-Zeitung, offenbar gezielt gefüttert von Wersichs innerparteilichen Gegnern, ihn nach dem Wahldebakel wiederholt als Dietrich „Wirrsich“ lächerlich machte, gab der Mediziner klein bei und den Fraktionsvorsitz auf – und ließ sich mit dem Posten des Bürgerschaftsvizepräsidenten abfinden und aus der Tagespolitik entfernen.
Ploß könnte auch für Bundestag kandidieren
Dass die CDU es nicht sonderlich gut meint mit ihren Verlierern, hatte auch ihr Kurzzeit-Bürgermeister Christoph Ahlhaus nach seiner Abwahl 2011 erlebt – übrigens selbst Mitglied im Ortsverband Winterhude, der nun Wersich düpierte. Dass es jetzt um irgendwelche alten Rechnungen gegangen sein könnte, wird jedoch allseits dementiert. Dagegen werden viel profanere Gründe für Wersichs Abwahl kolportiert. Dieser habe etwa Sitzungen des Kreisvorstands bisweilen nicht optimal vorbereitet und sie bis weit nach Mitternacht ausufern lassen. Schwer zumutbar für Menschen, die ehrenamtlich Politik machen.
So oder so: Trotz Niederlage und manch kritischer Kolportage bleibt Wersich noch die Aussicht auf ein „Rückspiel“. Im November nominiert der Wahlkreis Hamburg-Nord seinen Bundestagskandidaten. Dirk Fischer, seit 1980 Bundestagsabgeordneter, wird dann 73 Jahre alt. Trotzdem will er erst nach dem Sommer bekannt geben, ob er wieder antritt. Wahrscheinlicher ist es, dass Fischer seinen Zögling Christoph Ploß ins Rennen schickt.
Will Wersich eine Revanche?
Die Nominierung des neuen Kreischefs aber wäre nicht sicher, wenn er gegen Wersich antreten müsste. Der jedenfalls spekuliert darauf, dass das Verlierer-Image nicht zu fest an ihm klebt und er beim Parteivolk eine Mehrheit gegen Ploß holen könnte – anders als bei den Delegierten, die den Kreisvorsitzenden gewählt haben. Bundestagskandidaten werden nämlich von allen Mitgliedern nominiert.
„Ich fühle mich jung genug, der CDU mit meiner Erfahrungen, auch in Regierungsverantwortung, noch einiges zu geben“, sagt der 52-jährige Wersich. Das hört sich nicht nach einem Rückzug an. Eher danach, dass sich da einer warmläuft – für eine Revanche.