Hamburg. Kammerpräsident Josef Katzer geht eigene Wege, um den Nachwuchsmangel zu lösen: Er wirbt um Gymnasiasten und Flüchtlinge.

Dem Handwerk in Hamburg geht es glänzend. Die Auftragslage ist gut. Der Präsident der Handwerkskammer und Inhaber einer Gebäudereinigungsfirma, Josef Katzer, sieht dennoch Gefahren, die diese Situation belasten. Im Gespräch mit dem Abendblatt spricht er über Nachwuchssorgen, Zuwanderung und das Glück, ein Handwerker zu sein.

Herr Katzer, die Auftragslage des Handwerks in der Stadt ist besonders gut. Da braucht man viele motivierte Beschäftigte. In der Vergangenheit hatten die Gewerke mit erheblichen Nachwuchssorgen zu kämpfen. Sie mussten für sich werben. Hat das geholfen?

Josef Katzer: Werbung schafft keinen Nachwuchs. Sie kann aber helfen, dass unser Anteil an den Auszubildenden nicht kleiner wird. Und das ist uns gelungen. Das heißt, dass wir prozentual gegenüber allen anderen Ausbildungsberufen unseren Anteil halten konnten.

Die Imagekampagne hat gewirkt?

Ja, es war richtig, dass wir die Bundeskampagne durch eigene Maßnahmen der Kammer begleitet haben. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite fehlt uns natürlich immer noch Nachwuchs. Wir können nicht zufrieden sein, wenn die Betriebe mehr Auszubildende suchen, als sie bekommen können. Und das ist der Fall.

Können Sie das quantifizieren?

Wir registrieren aktuell 1094 neue Lehrverträge für das Ausbildungsjahr 2016. Das ist ein sattes Plus von 13,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Gleichzeitig haben wir immer noch 541 offene Stellen, 500 davon für dieses Jahr. Und das sind lediglich die Stellen, die uns gemeldet sind.

Was bedeutet das für das Handwerk?

Es ist ein Fakt, dass wir aufgrund der Nachfrage mehr Umsatz machen könnten, wenn wir mehr Fachkräfte hätten. Das heißt, wir haben schon vor Jahren den Fehler gemacht, dass wir nicht genug Gesellen ausgebildet haben. Die fehlen uns jetzt. Der aktuelle Nachwuchsmangel wird diese Situation leider noch verstärken.

Was tun die Betriebe dagegen?

Ich bin froh darüber, dass unsere Betriebe erkannt haben, dass wir uns mehr um Abiturienten bemühen müssen. Wir haben in Hamburg fast 20 Prozent Abiturienten. Der Bundesdurchschnitt liegt fürs Handwerk bei rund neun Prozent. Das zeigt, dass wir ganz weit vorne sind. Das Hamburger Handwerk ist angesehen, und inzwischen macht sich bei den jungen Leuten die Erkenntnis breit, dass man im Handwerk ordentlich verdienen kann. Wobei das eigentlich keine große Rolle spielt.

Wieso?

Eine Umfrage unter den Hamburger Auszubildenden hat gerade ergeben, dass der Verdienst für sie nicht entscheidend ist. Wichtig ist, dass man sich wohlfühlt in seinem Job. Und das ist so im Handwerk.

Na ja, wenn man dann seine eigene Firma hat, dann ist man doch auch nur noch eingespannt ...

Darum geht es nicht. Sehen Sie, ich sollte von Haus aus eine Bankausbildung machen. Ich habe mich geweigert und gesagt, dass ich Handwerker werden wolle. Das hat bei uns zu Hause für den ersten großen Familienkrach gesorgt. Wenn man mit seinen eigenen Händen etwas herstellt, beispielsweise eine kleine Maschine. Und dann wird die angeschlossen und läuft – das erzeugt Glücksgefühle, die man mit dem Ausfüllen von Devisenformularen in der Bank nicht herstellen kann. Ich würde niemals tauschen wollen.

Inwieweit können die Flüchtlinge Ihre Nachwuchsprobleme im Handwerk kompensieren?

Zunächst einmal hat Deutschland mit dem Integrationsgesetz einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, zumal die Forderung des Hamburger Handwerks nach einer „3+2-Regelung“ für den Aufenthalt darin aufgenommen wurde. Also eine Duldung während der dreijährigen Lehre und ein Aufenthaltsrecht für eine anschließende Beschäftigung von zwei Jahren. Dieses Integrationsgesetz ist aber nicht ausreichend. Deutschland benötigt ein Zuwanderungsgesetz, wenn es dem demografischen Wandel erfolgreich entgegenwirken will. Wir müssen die Bedingungen dafür definieren, wer nach Deutschland als Fachkraft, Ingenieur und als was auch immer kommen kann, so wie andere Länder es auch tun. Alles andere ist Stückwerk.

Tragen die aktuellen Flüchtlinge denn gar nicht zur Entlastung bei?

Doch, etwas schon. Wir haben mit unserem gemeinsamen Projekt mit dem Senat, 30 junge Flüchtlinge innerhalb von acht Wochen in eine Handwerksausbildung zu bringen, Erfolge verzeichnet.

Inwiefern?

Ich habe die Chefs der Betriebe nach vier Monaten zusammengeholt, um von ihnen zu hören, wie es läuft. Und wissen Sie was? Alle Betriebe haben gesagt, dass sie das wieder machen würden, weil die Erfahrungen gut sind. Nehmen Sie allein die Sprache. Anfangs konnten alle kaum Deutsch. Nach drei Monaten Praxis haben sie mehr gelernt, als ihnen jeder Schulkurs vermitteln kann. Diese Zeit braucht es natürlich auch, weil sie die Schriftform lernen müssen. Aber ein rascher Ausbildungsstart ist das beste Integrationsprojekt.

Gibt es auch Dinge, die Betriebe von den Flüchtlingen lernen können?

O ja. Zunächst einmal ist es für einen Betrieb bereichernd, jemanden einzustellen, der andere Sprachen beherrscht. Zudem bringen die Flüchtlinge Tugenden mit, die wir bei manchen jungen Deutschen etwas vermissen – etwa eine gewisse Demut vor den Erfordernissen des Lebens.

Sie wollen das Projekt also fortsetzen?

Ja, wir sind dabei, die Erfahrungen auszuwerten, und haben das Ziel, unser Engagement im kommenden Jahr auf bis zu 200 Flüchtlinge auszuweiten, wenn sich genug Betriebe finden.

Sind auch Teilnehmer abgesprungen?

Betriebe nicht, Flüchtlinge leider ja. Vor allem Syrer haben nach etwa drei Monaten ihre Lehre geschmissen, sobald sie erste Fertigkeiten erworben hatten. Wir vermuten, dass sie irgendwo als Hilfsarbeiter tätig sind, weil sie da natürlich mehr Geld bekommen als Lehrlinge. Offenbar müssen sie dringend Not leidenden Familien in ihrer Heimat finanziell unterstützen.

Wie viele sind denn noch dabei?

Von den anfangs 30 Flüchtlingen sind 15 dabeigeblieben. Aber das System krankt noch.

Was meinen Sie damit?

Die Verwaltung war mit dem Projekt überfordert und muss viel flexibler werde­n. Es kann nicht sein, dass wir 80 Flüchtlinge zu einem Gespräch in den Elbcampus nach Harburg einladen, aber keiner kommt, weil ihnen das Fahrgeld fehlt. Es kann nicht sein, dass un­sere Azubis um 6 Uhr morgens hungrig zur Arbeit kommen, weil es Frühstück in der Flüchtlingsunterkunft erst um 8 Uhr gibt. Dann fehlen unseren Azubis auch Räume, in denen sie nachmittags lernen können, weil in der Unterkunft nachts bis 3 oder 4 Uhr Lärm ist. Erstunterkünfte sind für Azubis nicht geeignet.

Hat Hamburg beim Umgang mit der Flüchtlingsproblematik noch Nachhol­bedarf?

Was Arbeit und Ausbildung betrifft, ja. Auf Verwaltungsebene gibt es noch viel zu viel Bürokratie. Die Möglichkeiten, staatliche Hilfe zu beantragen, müssen vereinfacht werden. Unsere Lehrlinge bekommen ohne klare Aufenthaltsregelung keine Zuschüsse und müssen von dem Lehrgeld leben. Und wenn sie Zuschüsse beantragen können, müssen sie zu einer Zeit aufs Amt, in der sie eigentlich im Betrieb sind. Dann werden sie von einer Stelle zur anderen geschickt. Das muss verbessert werden.

Was ist denn aus dem Projekt geworden, spanische arbeitslose Jugendliche bei uns in Ausbildung zu bringen?

Das ist gescheitert. Die Jugendlichen sind einfach mit der Dauer und Gründlichkeit der dualen Ausbildung bei uns nicht zurechtgekommen, weil sie so etwas von zu Hause nicht kennen.