Hamburg. Jahr für Jahr werden neue Stellen geschaffen, doch Arbeitslose profitieren kaum davon. Arbeitsagentur-Chef Sönke Fock liefert Gründe.

Knapp 72.000 Hamburger waren im April arbeitslos. Das sind fünf Prozent weniger als vor fünf Jahren, als Sönke Fock die Leitung der Arbeitsagentur Hamburg übernahm. Damals hatte er sehr optimistische Erwartungen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise schien weitgehend bewältigt. „Die positiven Auswirkungen auf den Hamburger Arbeitsmarkt waren deutlich zu erkennen“, sagt Fock.

Er erwartete damals, dass die Zahl der Jobsuchenden noch im Jahr 2011 von 76.000 auf 60.000 fallen werde. Doch dieser Wert wurde in den vergangenen fünf Jahren nicht annähernd erreicht. Die Statistik verzeichnet den niedrigsten Wert im November 2011 mit knapp 66.800 Arbeitslosen.

Arbeitsmarkt bewegt sich nach festem Schema

Hamburgs Arbeitsmarkt bewegt sich seit Jahren in relativ engen Grenzen nach einem festen Schema. Zu Jahresbeginn steigt die Zahl der Job­suchenden an, dann sinkt sie im Jahresverlauf, um im Folgejahr wieder anzusteigen. Seit 2013 hat die Zahl der Arbeitslosen die Marke von 70.000 nicht mehr unterschritten.

Fock sieht trotzdem eine Dynamik: „Der Hamburger Arbeitsmarkt scheint nur statisch, ist es aber nicht. Im langjährigen monatlichen Durchschnitt stehen 83.000 Arbeitslosmeldungen 70.200 Abmeldungen in Erwerbstätigkeit gegenüber.“ Doch sinken kann die Arbeitslosigkeit erst, wenn sich das Verhältnis dauerhaft umkehrt. Zumindest kommen die Arbeitslosen, die nicht in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutschen, jetzt wieder schneller zu einem neuen Job, durchschnittlich nach 3,7 Monaten.

Stellen unter anderem in Verkehr und Logistik

Gleichzeitig hat sich auf dem Hamburger Arbeitsmarkt in den letzten Jahren viel getan. Rund 95.000 Arbeitsplätze sind in den vergangenen fünf Jahren neu entstanden. Neue sozialversicherungspflichtige Stellen gibt es vor allem in den Bereichen Verkehr und Logistik, Dienstleistungen, Baugewerbe und Heime und Sozialwesen.

„Die Jobsuchenden können von dieser Entwicklung aber nicht eins zu eins profitieren, weil neue Stellen nicht nur von Arbeitslosen nachgefragt werden und ihre Qualifizierung vielfach auch nicht den Anforderungen entspricht“, sagt Fock. Denn rund die Hälfte der Arbeitslosen hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. „Aber nur maximal zehn Prozent der Stellen sind für diese Zielgruppe geeignet“, sagt Fock.

Mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt gedrängt

Er sieht eine ganze Reihe von Gründen, warum seine Prognose nicht aufgegangen ist. „Die Rahmenbedingungen haben sich geändert. So sorgt die Rente mit 67 dafür, dass Arbeitsplätze länger besetzt bleiben“, sagt Fock. Auch seien mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt gedrängt, ohne dass sie vorher in der Arbeitslosenstatistik aufgetaucht sind. Außerdem kommen immer mehr Pendler in die Hansestadt und finden hier eine Anstellung. So nahmen die Pendler nach Hamburg von 2011 bis 2015 um 24.200 auf 338.400 Personen zu.

Stark beschnitten wurde der soziale Arbeitsmarkt. „2011 hatten wir noch 9000 Ein-Euro-Jobs, heute sind es rund 2000“, sagt Fock. „Dieser Rückgang wurde in der Arbeitslosenstatistik kompensiert, ohne dass es deswegen ein starken Anstieg gab“, sagt Fock. Am Ende solcher Maßnahmen stand meist keine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. „Erfolgreicher sind direkte Qualifizierungsmaßnahmen“, sagt Fock. Aber solche Bildungsmaßnahmen kosten mehr Geld als ein Ein-Euro-Job.

Weniger behinderte Arbeitslose

Unterm Strich haben die Langzeitarbeitslosen (länger als zwölf Monate ohne Job) binnen fünf Jahren um 24 Prozent auf 23.500 Personen zugenommen. Das ist immerhin jeder dritte Arbeitslose in der Stadt. Besser lief es bei Behinderten. Obwohl auch ihre Vermittlung trotz guter Qualifizierung nicht einfach ist, ging die Zahl der behinderten Arbeitslosen seit 2011 um zehn Prozent auf 3300 zurück.

„Hamburg ist eine wachsende Stadt, auch das verstärkt die Konkurrenzsituation für die Arbeitslosen“, sagt Michael Bräuninger vom Economic Trends Research. „Und die Stadt zieht viele Pendler an.“ In den nächsten ein bis zwei Jahren werde sich an der Arbeitslosigkeit kaum etwas grund­legend verändern.

70 Prozent sind mehr als ein Jahr arbeitslos

Entlastung könne es längerfristig über die Demografie geben. Rund 135.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Hamburg sind zwischen 55 und 65 Jahre alt und werden in den nächsten Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Dieser Zahl stehen nur 86.500 Nachrücker im Alter bis zu 25 Jahren gegenüber. „Wichtig für den Arbeitsmarkt ist die Qualifizierung der Bewerber“, sagt Bräuninger. „Es ist deshalb gut, dass mit Hamburgs Jugendberufsagenturen verhindert werden soll, dass Schul­abgänger ohne Ausbildung bleiben.“ Focks Bilanz: Seit 2011 machen jährlich mehr als 39.000 Schulabgänger eine Ausbildung. Die Jugendarbeitslosigkeit ist um 1,5 Prozent gesunken.

Wer länger als zwölf Monate arbeitslos ist, fällt aus Focks direktem Verantwortungsbereich heraus und wird vom Jobcenter betreut. Das betrifft immerhin 70 Prozent aller Job­suchenden in der Hansestadt. Doch Fock will es so weit erst gar nicht kommen lassen. „Er ist ein Netzwerker, besucht jährlich rund 100 Abendtermine mit Hamburger Entscheidern, um gemeinsam mit der Wirtschaft nach Beschäftigungsperspektiven zu suchen“, sagt ein Insider.

Programm für gut ausgebildete Arbeitslose

Ein spezielles Betreuungsprogramm kümmert sich um Arbeitslose, die eine solide Ausbildung haben, aber bei der Bewerbung dennoch nicht punkten können. Interne ganzheitliche Integrationsleistung (INGA) heißt das im Behördendeutsch. Hamburg war eine der ersten Arbeitsagenturen, die damit starteten „Jährlich durchlaufen 5000 Arbeitslose dieses Programm, von denen zwei Drittel eine Stelle finden“, sagt Fock.

Er dreht an vielen Rädchen, um die Arbeitslosigkeit in Hamburg zu senken. „Aber die Geringqualifizierten partizipieren nur unterdurchschnittlich von der Belebung des Arbeitsmarkts“, sagt er. Focks nächste Herausforderung wird die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt. „Nach unseren bisherigen Erkenntnissen sind sie im Schnitt unter 35 Jahre alt, männlich und besser qualifiziert, als wir erwartet haben“, sagt Fock. Für die berufliche Qualifizierung gibt es aber keine Zertifikate. „Wir müssen jetzt die berufliche Fertigkeiten überprüfen und in eine Papierform bringen“, beschreibt Fock den nächsten Schritt.