Hamburg. Das Gericht glaubte an Läuterung des Ex-Mongols-Bosses und setzte Erkan U. auf freien Fuß – doch die Vergangenheit holte ihn wohl ein.

Erkan U. ist weg. Untergetaucht. Seit Freitag fahndet die Polizei bundesweit nach dem Ex-Boss der (in Hamburg aufgelösten) Rockergang Mongols. Erst am Dienstag vergangener Woche war der 37-Jährige wegen Verstößen gegen das Waffen- und das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, aber gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden.

Nicht wenige bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft sind stocksauer auf das Schöffengericht, das im Urteil angeordnet hatte, den „Vollzug des Haftbefehls“ gegen Erkan U. auszusetzen. Weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, musste der 37-Jährige nicht direkt ins Gefängnis.

Das Gericht glaubte an Erkan U.s Läuterung

Der Richter hatte zwar bejaht, dass weiter Fluchtgefahr bestehe. Unter der Auflage, sich zweimal wöchentlich bei der Polizei zu melden, könne Erkan U. aber von der Haft „verschont“ werden. „Er ist nicht dumm, er hat eingesehen, dass diese Episode seines Lebens ihm geschadet hat, er hat Familie und Freunde in Hamburg“, lautete die Begründung. Das Gericht war überzeugt, dass Erkan U. mit dem Kapitel Mongols endgültig abgeschlossen hatte.

Eine Annahme, die nur vier Tage später überholt war – nachdem der 37-Jährige seinen früheren, jüngst in Schnelsen niedergeschossenen Gefolgsmann Arash R. über Stunden im UKE besucht hatte. „Dadurch haben sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte sich nicht so von seiner Rocker-Vergangenheit distanziert, wie es zunächst den Anschein hatte“, sagte Gerichtssprecher Kai Wantzen.

Am Freitag hob das Landgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Verschonungsbeschluss dann wieder auf. Seither fehlt von Erkan U., der aktuell bei seiner Mutter in Barmbek-Süd gemeldet ist, jede Spur. Sollte er gefasst werden, käme er sofort in Haft.

Erkan U. hatte 2014 die Mongols in Hamburg gegründet

Mindestens genauso rätselhaft wie der Verbleib des Ex-Rockers, der durch sein markantes Gesichts-Tattoo mit dem Schriftzug MFFM (Mongols For­ever Forever Mongols) überall auffällt, ist der Grund für sein Verschwinden. Noch am Donnerstag, zwei Tage nach dem Urteil, hatte sich Erkan U. weisungsgemäß bei der Polizei gemeldet. Und allzu lange hätte er wohl nicht im Gefängnis gesessen: Unter Anrechnung von sechs Monaten U-Haft und der sogenannten Zweidrittelregelung wäre er nach etwa 14 Monaten entlassen worden.

Allerdings droht Erkan U. wegen einer anderen Strafsache noch ein Bewährungswiderruf – und damit eine Gesamtstrafe von weniger als zwei Jahren. Erkan U. hatte 2014 die Mongols in Hamburg gegründet – mit dem Ziel, den etablierten Hells Angels die Macht auf dem Kiez abzujagen. Wie zu erwarten, krachte es daraufhin gewaltig. Die Soko „Rocker“ grätschte Anfang des Jahres noch rechtzeitig dazwischen. Vor Gericht klang der anfangs noch großmäulige Erkan U. zuletzt viel gemäßigter: „Hamburg ist die Hauptstadt der Hells Angels, ich weiß jetzt: Hier werden keine anderen Clubs geduldet.“

Die Hamburger Mongols sind immer noch gefährdet

Auch wenn die Mongols in Hamburg nicht mehr existieren, so gehören sie offenbar noch zu einer gefährdeten Spezies. So war am 28. Dezember Mongol Hidayet „Hidi“ K. auf dem Kiez durch einen Streifschuss verletzt worden. Fünf Tage später soll er in eine Sex-Falle gelockt und in einer Gartenlaube von mutmaßlichen Hells-Angel-Supporters schwer misshandelt worden sein – die Schläger und ihre Helfer müssen sich vor dem Landgericht verantworten.

Auch Mongol Arash R. entging nur knapp dem Tod: Am 17. Juni gab ein maskierter Schütze mitten in einem Wohngebiet in Schnelsen mehrere Schüsse auf ihn und seine Freundin ab, beide überlebten schwer verletzt. Auch diese Bluttat verortet die Sonderkommission grob im Rocker­milieu. „Um den Ermittlungszweck nicht zu gefährden, äußert sich die Staatsanwaltschaft zum aktuellen Ermittlungsstand nicht“, sagte Oberstaatsanwältin Nana Frombach.

Doch nicht nur bei den Hells Angels hat sich Erkan U. Feinde gemacht, auch in den eigenen Reihen war er umstritten. Beim Hamburger Chapter war es ein offenes Geheimnis, dass sich Erkan U. die Erlaubnis zur Gründung des Hamburger Motherchapters, also des wichtigsten in Deutschland, „erkauft“ hatte, sagte ein Insider dem Abendblatt. Halb spöttisch, halb verächtlich hieß es dann, Erkan U. habe „sechs Taler und einen Esel nach Australien gebracht“. Der Insider: „Damit gemeint war, dass er 20.000 Euro und ein Auto zum australischen Chapter gebracht hat, ohne dessen Zustimmung weltweit kein Mother-Chapter eröffnet werden darf.“

Erkan U. ließ sich seine Kutte klauen

Vor allem galt Erkan U. wegen seiner Kokainsucht als zunehmend unberechenbar. Seinen Tiefpunkt erreichte der Streit mit den Hells Angels, als die Kutte von Erkan U. aus dessen Penthouse-Wohnung gestohlen und auf dem Kiez einem Transvestiten übergestreift wurde; ein Video davon kursiert im Internet. Es war die ultimative Demütigung für den Rockerboss.

Nicht wenige seiner Gefolgsmänner machen Erkan U. für den Niedergang ihrer Gang verantwortlich. Nach seiner spektakulären Festnahme Anfang Dezember, so der Insider, sei Erkan U. von führenden Mongols als „out in bad“ gebrandmarkt worden, was so viel bedeute wie „unehrenhaft entlassen“ – er hätte damit jederzeit von Mongols angegriffen werden können.

Ist Erkan U. also vor der drohenden Haft geflüchtet? Oder aus Angst um sein Leben untergetaucht? Seine Verteidigerin Stefanie Martens lehnte auf Anfrage eine Stellungnahme ab. Erkan U. selbst hatte dem Gericht einen Ortswechsel angekündigt. Er habe mit den Drogen abgeschlossen, ihn ziehe es in die Eifel. Die Idee, sich aus seinem Umfeld zu lösen, kam auch beim Gericht gut an. „Da ist es ruhig, da komme ich zu mir“, hatte Erkan U. gesagt.