Hamburg. Hidayet „Hidi“ K. soll in eine Sex-Falle getappt sein. Doch daran – und an einiges mehr – kann der Rocker sich nicht mehr erinnern.

Viel ist es nicht, was der Zeuge – Ex-Mitglied des aufgelösten Hamburger Chapters der Rockergang Mongols – noch weiß. Ein schwer bewaffnetes Rollkommando, vermutlich Gefolgsmänner der mit den Mongols verfeindeten Hells Angels, überfiel Hidayet „Hidi“ K. am 2. Januar in einer Gartenlaube am Derbyweg und verletzte ihn schwer. Die Tat ereignete sich auf dem Höhepunkt der blutig eskalierten Fehde zwischen beiden Rockergangs. Sieben mutmaßliche Supporter der Hells Angels stehen seit Mitte Juni vor dem Landgericht – wegen gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe dazu.

Hidayet „Hidi“ K., am Mittwoch als Zeuge geladen, ist ein bulliger Typ mit schrankbreitem Kreuz, Vollbart und Halbglatze. Auf seiner Stirn ist recht undeutlich der eintätowierte Slogan der Mongols zu sehen: MFFM – "Mongols For­ever Forever Mongols". Sechs Monate ist die Tat jetzt her. Wenige Tage zuvor, am 28. Dezember, war er bereits bei einer Schießerei vor dem Schweinske an der Reeperbahn durch einen Streifschuss leicht verletzt worden. Immer wieder bohrt die Vorsitzende Richterin nach – doch selbst auf Vorhalte aus seiner polizeilichen Vernehmung kommt bei Hidayet K. kaum eine Erinnerung zurück. „Ich hatte zu der Zeit viel gekifft, ich will ja nichts Falsches erzählen.“

Von einer „Sexfalle“ weiß der verprügelte Rocker nichts

Aus der Anklage geht hervor, dass die Täter Hidayet K. eine Liebesnacht mit zwei Frauen, den wegen Beihilfe ebenfalls angeklagten Tatjana Z. und Jaqueline H., in Aussicht gestellt und ihn so in die Gartenlaube gelockt haben sollen. Eine Sex-Falle? Davon weiß der Ex-Rocker nichts. Er habe an jenem Tag gegen 22 Uhr eine SMS von einem der jetzt Angeklagten, Georgios L., erhalten. Mit ihm hatte er sich 2009 während der Strafhaft in Hahnöfersand angefreundet. „Er schrieb mir, dass er zu den Mongols wollte“, so Hidayet K. Von sexuellen Gefälligkeiten sei nicht die Rede gewesen.

Wenig später hätten ihn Georgios L., „zwei mir nicht bekannte Damen und ein mir nicht bekannter Herr“ mit einem Auto abgeholt, sie seien dann zur Gartenlaube gefahren. Er selbst sei mit einer Machete bewaffnet gewesen, die er in dem Gartenhaus neben sich aufs Sofa gelegt habe. „„Wir hatten viele Probleme mit den Hells Angels, die Machete hatte ich zu meiner Sicherheit mitgebracht“, so Hidayet K. „Dann haben wir gechillt.“

Georgios L. habe eine der Frauen angewiesen, sie solle ihrem Bruder eine SMS schreiben, damit der etwas Kokain besorge. Ein Signal für die Schläger, wie Hidayet K. heute vermutet. „Keine zehn Minuten später hörte ich einen Knall, vier maskierte Männer stürmten herein, sie schrien ,raus, raus, raus‘. Zwei von ihnen hatten an jeder Hand Schlagringe, außerdem hatten sie Messer dabei“, so der Zeuge. „Ich dachte sofort: Das hat etwas mit den Angels zu tun.“ Während die Täter auf ihn eindroschen, habe einer eine Pistole auf ihn gerichtet und die Attacke mit dem Handy gefilmt. Der Zeuge: „Ich habe von allen Seiten Schläge und Tritte gekriegt, einer schnitt mir mit einem Messer ins Gesicht.“

Gegenüber der Polizei hatte K. ausgesagt, dass die Täter schrien „Was für ein Hund ist er denn und geht nicht drauf?“ – auch daran hat der Zeuge am Mittwoch keine Erinnerung mehr. Er sei gefesselt, bewusstlos in einen Kofferraum gesperrt und danach an der Schimmelmannstraße abgeladen worden. Der Überfall habe ihm übel zugesetzt. „Ich versuche, nicht daran zu denken“, sagt Hidayet K. Der Prozess wird fortgesetzt.

Chronologie des Rockerkriegs in Hamburg

Juli 2015

Das Mobile Einsatzkommando landet mit einem Hubschrauber auf dem Dach des Penthouses von Erkan U. an der Hoheluftchaussee und stürmt die Wohnung – auf der Suche nach einer Schusswaffe.

Oktober 2015

Im Oktober explodiert eine Handgranate unter dem Lamborghini des Mongols-Präsidenten Erkan U. – wieder an der Hoheluftchaussee.

November 2015

Schaulaufen von Mongols und Bandidos in Kutten auf der Reeperbahn. Ermittler der Polizei werten die Aktion in erster Linie als Provokation – inoffiziell gilt der Hamburger Kiez als Gebiet der Hells Angels.

November 2015

Tage später wird Erkan U. von einem Rollkommando in seinem Penthouse überfallen und verprügelt. Dabei stehlen ihm die Angreifer seine Präsidenten-Lederkutte, ziehen sie an der Reeperbahn einem Transvestiten an, der damit schließlich vor Susis Showbar an der Großen Freiheit tanzt – eine Demütigung, die per Handyvideo über Facebook verbreitet wird.

Anfang Dezember 2015

Anfang Dezember wird der bis dahin "amtierende" Hamburger Mongols-Präsident Erkan U. vom Mobilen Einsatzkommando in seinem Penthouse verhaftet. Stunden später übernimmt Kevin S. dessen Rolle.

Mitte Dezember 2015

Die Polizei stürmt und durchsucht zehn Wohnungen und verhaftet drei Mongols-Rocker.

28. Dezember 2015

Am Montag nach Weihnachten wird in der Nähe der Reeperbahn auf ein Taxi geschossen. Dabei werden zwei Mitglieder der Mongols verletzt. Der Chef der Hamburger Gruppe, Kevin S., bleibt unverletzt. Ein weiterer Rocker bricht sich bei der Flucht einen Fuß. Die Polizei nimmt in der Folge zwölf Mitglieder der Hells Angels fest, muss sie aber wieder auf freien Fuß setzen.

2. Januar 2016

Bei einer Messerstecherei am frühen Morgen des 2. Januar wird ein Mitglied der Mongols schwer verletzt. Das Opfer ist nach Abendblatt-Informationen der 26 Jahre alte Hidi G., der schon bei dem Angriff auf ein Taxi an der Reeperbahn vor einer Woche einen Prellschuss erlitten hatte. Am Abend des selben Tages stürmt das Mobile Einsatzkommando (MEK) der Polizei Wohnungen unter anderem in Jenfeld, Horn und Billstedt sowie den Saunaclub „Atmos“ in Harburg - ohne aber Mitglieder der Hells Angels anzutreffen.

4. Januar 2016

Die Hamburger Polizei gründet die "Soko Rocker" mit 50 Beamten, um der eskalierenden Gewalt zwischen mit Mongols und Hells Angels entgegen zu treten. Unter anderem sollen Szenetreffs beobachtet und ein Verbot der Mongols geprüft werden.

12. Januar 2016

Hamburger Beamte nehmen drei Männer fest, die verdächtigt werden, am 2. Januar ein Mitglied der Mongols niedergestochen zu haben.

19. Januar 2016

Großrazzia in Norddeutschland: Die "Soko Rocker" nimmt zwei Hells-Angels-Mitglieder im Alter von 35 Jahren fest. Insgesamt 20 Durchsuchungsbeschlüsse im Norden wurden vollstreckt. 250 Beamte waren im Einsatz.

2. Februar 2016

Die "Soko Rocker" stürmt eine Werkstatt am Billwerder Steindamm, die offenbar einem Hells Angels-Mitglied gehört. Verdacht: Gewerbsmäßige Hehlerei mit Autoteilen. Die Beamten haben Tausende offensichtlich gestohlene BMW-Autoteile sichergestellt, die in der Halle gelagert wurden.

2. Februar 2016

Die "Soko Rocker" nimmt zwei Männer in Haft, die dringend tatverdächtig des schweren gemeinschaftlichen Raubs sind. Das Opfer des Raubes wird ebenfalls wegen eines ausstehenden Haftbefehls verhaftet.

3. Februar 2016

Die "Soko Rocker" stürmt acht Wohnungen in Hamburg und Norddeutschland. Ein 28 Jahre alter Iraner wurde bei dem Einsatz festgenommen. Es wurde unter anderem eine geladene Maschinenpistole gefunden und sicher gestellt.

5. Februar 2016

Die Polizei durchsucht fünf Wohnungen in Schnelsen und Eidelstedt und verhaftet einen weiteren Tatverdächtigen des Raubs vom 2. Februar.

11. Februar

Die "Soko Rocker" verhaftet einen weiteren Tatverdächtigen im Zusammenhang mit dem Raub vom 2. Februar, außerdem werden zwei Wohnungen in St. Georg und Billstedt durchsucht.

1/16