Hamburg. Ein Unbekannter schießt auf eine 21-Jährige und ihren Freund, ein Mitglied der Mongols – er hat eine vielsagende Tätowierung.
Die Autobahn 7 führt ganz nah an dem unauffälligen Wohnhaus am Vielohweg vorbei. Abgesehen vom Dröhnen und Rumpeln der Autos ist es in dem Schnelsener Wohnviertel sehr ruhig – es ist sogar ein sehr grünes Fleckchen Hamburg. Mit Wiesen, vielen Nadelbäumen und gepflegten Gärten.
Mit der Ruhe ist es dort am späten Mittwochabend vorbei. Gegen 23.25 Uhr alarmiert ein Zeuge die Polizei – er habe mehrere Schüsse gehört. In der Wohnung im Erdgeschoss entdecken die Beamten eine stark blutende junge Frau. Schwer verletzt ist auch Arasch R. Der bullige Mann hatte bei den Hamburger Mongols, kurz nach deren Gründung im Jahr 2014, mal richtig etwas zu sagen – als die Nummer zwei hinter dem damals noch unangefochtenen Chef Erkan U.
Frau durch Schüsse lebensgefährlich verletzt
Alle Fenster in dem zweigeschossigen Gebäude sind erleuchtet, die Gardinen zugezogen. Rettungs- und Streifenwagen stehen an der Straße, Nachbarn werden befragt, Beamte mit Sprengstoffspürhunden durchkämmen die Umgebung. Im Garten, im Haus und auf der Terrasse werden Spuren gesichert, ein Pylon auf eine Stelle im Vorgarten gesteckt, drumherum Flatterband. Liegt unter dem Hütchen eine der Patronenhülsen? Es müssen sehr viele Schüsse gewesen sein, die der noch unbekannte, maskierte Schütze von seinem Posten im Vorgarten auf die Wohnung im Erdgeschoss abgab. Als die 21-Jährige gegen 23.20 Uhr in der Terrassentür stand und eine Zigarette rauchte, feuerte der Schütze los. Sie geriet ins Taumeln und stürzte auf eine Couch. Insgesamt erwischten sie drei Projektile, zwei im Oberkörper, eines im Arm. Als ihr Freund Arasch R. herbeieilte, schoss der Täter auch auf ihn.
Noch am Tatort wird die lebensgefährlich verletzte Frau notärztlich versorgt. Nicht ganz so schlimm wie sie hat es Arasch R. erwischt. Zwei Schüsse haben ihn an Hand und Hüfte getroffen. Er wird einige Minuten im Rettungswagen behandelt, bevor auch er ins Krankenhaus kommt. Schwer geschockt, sonst aber unversehrt verlässt ein weiterer Mann das Haus: Es ist ein 28-Jähriger, der sich vor dem Schützen versteckt hatte. Am Tatort ist auch der Vater von Arasch R. Um den aufgebrachten Mann zu beruhigen, nimmt die Polizei ihn kurzzeitig in Gewahrsam. Die Sofortfahndung nach dem flüchtigen Täter mit 20 Streifenwagen verläuft erfolglos. Am Donnerstag wird die Frau notoperiert. Am Abend heißt es: Beide werden den Anschlag wohl überleben.
Opfer hat "Fuck The Hells Angels" am Kopf tätowiert
Noch völlig unklar ist, wer und welches Motiv hinter den Schüssen steckt. Zumindest verortet die Polizei die Tat im Rockermilieu. Sie sucht nun Zeugen der Tat und bittet unter Telefon: 428 656 789 um Hinweise. Fest steht: Der angeschossene 25-Jährige war ein ebenso leidenschaftlicher Mongol wie überzeugter Feind der Hells Angels – auf seinem halbrasierten Schädel hat er sich den Schriftzug "Fuck The Hells Angels" tätowiert.
Als die Mongols 2014 das Hamburger Chapter gründeten, war er der Vize hinter dem starken Mann Erkan U. Die beiden sollen sich inzwischen aber nicht mehr sonderlich grün sein. Mit breiten Schultern und protzigem Gehabe schickten sich die Mongols damals an, den Höllenengeln Teile des Rotlichtgeschäfts entlang der Reeperbahn abzujagen. Was folgte waren: ein Sprengstoffanschlag, Angriffe mit Schusswaffen und Messern, Körperverletzungsdelikte. Bevor der Konflikt vollends außer Kontrolle geraten konnte, grätschte die Soko Rocker hart dazwischen. Innerhalb weniger Wochen gab es 15 Razzien; die Beamten durchsuchten 40 Objekte, vollstreckten neun Haftbefehle. Die Mongols haben sich daher vor Monaten aufgelöst. Was brächte den Hells Angels ein Anschlag? Relativ sicher sind sich die Ermittler aber schon jetzt, dass nicht die Frau, sondern Arasch R. Ziel des Anschlags war. Ging es um eine offene Rechnung?
Wie berichtet wurde Mongols-Rocker Hidayet K. Ende Dezember an der Reeperbahn angeschossen, wenige Tage darauf lockten ihn Unterstützer der Hells Angels in eine Falle. In einer Kleingartenlaube am Derbyweg (Horn) schlugen sie ihn brutal zusammen. Die mutmaßlichen Täter müssen sich aktuell vor dem Landgericht verantworten.
Soko Rocker im Einsatz
Einen Monat nach dem Angriff auf Hidayet K. folgte angeblich die Retourkutsche. Wie ein Insider dem Abendblatt berichtete, soll am 1. Februar ein Trupp Mongols einen der am Angriff auf Hidayet K. beteiligten Männer in einer Kleingartenlaube am Barmwisch schwer misshandelt haben. Ob das stimmt, lässt sich nicht verifizieren. Der Hamburger Staatsanwaltschaft ist ein entsprechender Vorfall jedenfalls nicht bekannt.
Möglicherweise führen die Spuren aber auch ins Rotlichtmilieu. Ganz allgemein zeige die Tat, „dass wir es im Bereich der Rotlicht- und Rockerkriminalität mit schweren und schwersten Straftaten zu tun haben“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. „Und deshalb haben wir die Soko Rocker auch zur Aufklärung dieser Tat eingesetzt.“