Hamburg. Bundesverwaltungsgericht: Allgemeinpolitische Äußerungen der Wirtschaftsvertreter sind nicht zulässig.
Dürfen die Vertreter der Industrie- und Handelskammern sich auch zu allgemeinen politischen Themen äußern? Oder müssen sie sich (außer in reinen Wirtschaftsfragen) neutral verhalten, weil die Zwangsmitglieder ja nicht austreten können, wenn ihnen politische Äußerungen der Kammerführung nicht gefallen? Um diese Frage dreht sich seit Jahren ein erbitterter bundesweiter Streit, der auch vor Gerichten ausgefochten wird.
Nun wird in diesem Zusammenhang auch in Hamburg am 3. August eine Klage des Immobilien-Unternehmers Bernd Jakovlev gegen die Handelskammer vor dem Verwaltungsgericht verhandelt. Jakovlev hatte die Kammer verklagt, weil sich Präses Fritz Horst Melsheimer bei der traditionellen Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Silvester 2015 in der Handelskammer nicht nur zu Fragen der Hamburger Wirtschaft geäußert habe, sondern auch zu allgemeinen politischen Fragen wie der Flüchtlingspolitik, der direkten Demokratie oder weltpolitischen Fragen.
Weitgehende allgemeinpolitische Äußerungen sind den Industrie- und Handelskammern aber per Gesetz und durch höchstrichterliche Rechtsprechung untersagt. Im Vorwege des Melsheimer-Verfahrens hat das Bundesverwaltungsgericht die Stellung der Industrie- und Handelskammern jetzt in einem Grundsatzurteil eher noch weiter geschwächt.
Dem Kammer-Dachverband DIHK (Deutscher Industrie- und Handelskammertag) machten die Richter in einem Urteil klar, dass dieser sich mit allgemeinen politischen Aussagen zurückhalten müsse. So seien DIHK-Stellungnahmen „gegen die Einführung des Mindestlohns in Deutschland, gegen ... Mütterrente, die Sozialagenda und die Herabsetzung des regulären Renteneintrittsalters“ nicht durch das Kammergesetz gedeckt gewesen, da es sich um eine „unzulässige Wahrnehmung arbeitsrechtlicher und sozialpolitischer Interessen“ handle, heißt es in der jetzt veröffentlichten Begründung des Urteils. „Die Aufgabe, die Behörden ... zu unterstützen und zu beraten, verlangt von den Kammern, bei allen Äußerungen Objektivität und die notwendige Sachlichkeit und Zurückhaltung zu wahren. Polemisch überspitzte Äußerungen oder Stellungnahmen, die auf eine emotionalisierte Konfliktaustragung zielen, sind unzulässig“, schrieben die Richter in die Begründung ihres Grundsatzurteils, das nicht für den DIHK, sondern auch für die Handelskammern Bedeutung hat. „Äußerungen zu besonders umstrittenen Themen müssen die ... erforderliche Abwägung erkennen lassen. Bei Mehrheitsentscheidungen sind gegebenenfalls beachtliche Minderheitenpositionen darzustellen.“
Kritik gibt es auch an Beitragsbescheiden der Kammer
Zuletzt hatte das Hamburger Verwaltungsgericht das energische Engagement der Kammer gegen den Rückkauf der Energienetze und den Beitritt zum Bündnis „NEIN zum Netzkauf“ als widerrechtlich gerügt. Gegen dieses Urteil, das der Eimsbüttler Grünen-Chef Dominik Lorenzen erstritten hatte, ist die Kammer in Berufung gegangen. „Landauf und landab kommen Gerichte zu einer einheitlichen und klaren Einschätzung zum politischen Mandat der Kammern“, sagte Kläger Lorenzen zum aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. „Der DIHK hat das Urteil anscheinend angenommen, in Hamburg wird der Blick auf die Realität leider verweigert.“
Kai Boeddinghaus vom Bund für freie Kammern (BffK) sieht in dem aktuellen Urteil auch eine Art Vorentscheidung für die Verhandlung über die Zulässigkeit der Melsheimer-Silvesterrede. „Der Versuch der Handelskammer, diese Rede zu rechtfertigen, ist eine Mischung aus Arroganz, bodenloser Dummheit und massiver Geldverschwendung“, so Boeddinghaus.
Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz betonte mit Blick auf das DIHK-Urteil dagegen, dass sich die Handelskammer Hamburg bei arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Fragen stets zurückhalte. „Insofern ist das Urteil für uns nichts Neues und kein Grund, unseren inhaltlichen Kurs zu wechseln“, so Schmidt-Trenz.
Kritik gibt es derweil auch an Beitragsbescheiden, die die Kammer verschickt. Hintergrund: Das Verwaltungsgericht hatte ältere Bescheide kassiert, da die Kammer zu hohe Rücklagen gebildet habe. Aufgrund des nun beim Oberverwaltungsgericht (OVG) anhängigen Verfahrens verschickt die Kammer „vorläufige Bescheide“. Kai Boeddinghaus vom BffK rät den Mitgliedern, Widerspruch einzulegen und diese ruhen zu lassen. Andernfalls würden die Bescheide rechtskräftig. Die Kammer weist das zurück: „Wir haben in unseren Beitragsbescheiden klar formuliert, dass die Einlegung eines Widerspruchs in Bezug auf die anhängigen OVG-Verfahren nicht erforderlich ist“, so Vize-Hauptgeschäftsführer Ulrich Brehmer. „Dem ist nichts hinzuzufügen, daran werden wir uns halten.“
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