Hamburg . Kammer dürfe sich nicht „polemisch“ äußern und in „Kampfbündnissen“ wie beim Netze-Volksentscheid engagieren, heißt es in Begründung.
Sollte das Urteil mit dieser Begründung Bestand haben, müsste die Handelskammer ihre Rolle künftig neu und womöglich zurückhaltender interpretieren. Das Verwaltungsgericht hat jetzt die Erläuterung seiner Entscheidung vorgelegt, mit der das Engagement der Kammer gegen den Rückkauf der Energienetze im Jahr 2013 als rechtswidrig eingestuft wurde.
Zwar habe es der Kammer zugestanden, sich zum auch die Wirtschaft berührenden Thema Energienetze zu äußern, heißt es darin. Sie sei aber nicht befugt gewesen, „sich einer als kämpferische Interessenvertretung verstehenden Organisation anzuschließen“, so die Richter in dem Urteil, das der Grünen-Politiker und Unternehmer Dominik Lorenzen erstritten hatte. „Der Beitritt zu der Kampagne ‘Nein zum Netzkauf’ war damit eine unzulässige und der Beklagten verbotene Aktionsform.“
Gerade die Tatsache, dass alle Unternehmer automatisch Pflichtmitglieder der Industrie- und Handelskammern seien, zwinge diese zu Sachlichkeit und Zurückhaltung, so der Tenor der Begründung. Die Grenzen ihrer erlaubten politischen Betätigung seien „durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und, diese konkretisierend, des Bundesverwaltungsgerichts ... hinlänglich bestimmt“.
Richter rügen auch Plakatkampagne
Neben dem Beitritt zu dem Nein-Bündnis rügen die Richter auch die Plakatkampagne. „Ganz abgesehen von den durch die Anzeigen vermittelten, auf peinliche Weise unzeitgemäß wirkenden Geschlechterklischees sind die zitierten Äußerungen polemisch-unsachlich“, heißt es in dem Urteil. Ähnlich werten die Richter die Aussagen von Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz, der einen Rückkauf der Netze als „Schildbürgerstreich“ bezeichnet und vom „Verplempern“ von Geld gesprochen hatte. Auch die besondere Form der öffentlichen Debatte vor einem Volksentscheid gebe der Handelskammer „kein Recht zur Grenzüberschreitung“.
Die Kammer habe „gerade kein allgemeines politisches Mandat und ist nicht Beteiligter am Verfahren der Volksgesetzgebung“, so die Richter. „Sie ist überhaupt kein politischer Akteur, der legitimer Weise auf die Durchsetzung und Verwirklichung politischer Entscheidungen hinwirkt, sondern gesetzlich legitimiertes Organ der mittelbaren Staatsverwaltung“. Die Kammer setze „ihre Legitimation aufs Spiel, wenn sie sich als Akteur des politischen Meinungskampfs versteht“. Wenn sie polemisch in „Kampfbündnissen“ agiere, wirke dies „desintegrierend und stellt die Berechtigung der Pflichtmitgliedschaft in Frage“ so das Fazit.
„Schallende Ohrfeige für die Handelskammer“
Kläger Lorenzen, Eimsbüttler Grünen-Chef, bezeichnete die Urteilsbegründung als „schallende Ohrfeige für die Handelskammer“ und forderte eine Diskussion im Plenum. Präses Fritz Horst Melsheimer müsse „die politische Verantwortung für dieses Desaster übernehmen und zurücktreten“. Tobias Bergmann, Sprecher des Bündnisses „Die Kammer sind WIR“, sagte, die Handelskammer brauche „einen kulturellen und personellen Neuanfang“. Die Kammerspitze habe „die deutliche Stimme in ein kreischendes Organ verwandelt“. Eine starke Kammer sei „sachlich, nicht polemisch“.
Das Plenum hatte bereits nach Bekanntwerden des Urteils im Dezember die Kammerführung aufgefordert, „im Rahmen ihrer Vertretung der Kammer in gerichtlichen Dingen die notwendigen Rechtsmittel zu ergreifen, um Einschränkungen der politischen Handlungsfähigkeit unserer Organisation abzuwehren“. Kammer-Sprecher Wolfgang Ehemann sagte jetzt, man werde die vorliegende Urteilsbegründung nun „entsprechend diesem Auftrag prüfen“.
Die Kammer hat einen Monat Zeit, um Berufung zu beantragen.