Hamburg. Verwaltungsjurist Edmund Brandt wirft dem rot-grünen Senat vor, Ausnahmeregelungen zu missbrauchen.

Die vom rot-grünen Senat geplanten Großsiedlungen für Flüchtlinge sind einem Rechtsgutachten zufolge rechtswidrig. Die Unterkünfte könnten später keinesfalls als reguläre Wohnungen genutzt werden, wenn diese Vorhaben Bebauungspläne überflüssig machen würden, erklärte der Staats- und Verwaltungsrechtler Prof. Edmund Brandt aus Braunschweig am Dienstag bei der Präsentation des Gutachtens. Die vom Bundestag und Bundesrat im Herbst vergangenen Jahres beschlossenen Ausnahmeregelungen im Baugesetzbuch – Paragraph 146 - seien ausschließlich für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften zu nutzen.

Stapelfeldt verteidigt Vorgehen des Senats

Hintergrund ist der Plan von Rot-Grün, bis 2017 rund 4800 sogenannte Expresswohnungen für Flüchtlinge zu errichten. In vielen Hamburger Stadtteilen haben sich Bürgerinitiativen gebildet, die dieses Vorhaben ablehnen. Dagegen richtet sich auch eine Volksinitiative, deren Initiatoren im Februar innerhalb von fünf Tagen 26.000 Unterschriften sammelten. Kritiker fürchten ein Scheitern von Integration, wenn mehrere Tausend Flüchtlinge in Großsiedlungen untergebracht werden.

Für die Unterbringung von Flüchtlingen könne das reguläre Wohnungsbauprogramm genutzt werden, sagte Prof. Brandt. Das wäre auch im Interesse der Flüchtlinge. Die Ausnahmeregelungen dürften erst angewendet werden, „wenn alle anderen Möglichkeiten nachvollziehbar ausgeschöpft“ seien. Regulärer Wohnungsbau sei unter dem Deckmantel der Ausnahmeregelungen rechtlich nicht zulässig. „Die Pläne des Senats, aus den Flüchtlingsunterkünften ein neues Wohngebiet zu machen, ist mit dem Paragraphen 246 nicht machbar“, sagte Prof. Brandt. „Da ist die eine Grenzlinie überschritten.“

Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) verteidigte das Vorgehen des Senats. „Die jetzt geäußerten rechtlichen Einwände sind nicht nachvollziehbar.“ Es gebe aus ihrer Sicht keinen Grund, an der Rechtmäßigkeit des Bau von Expresswohnungen zu zweifeln. Ähnlich äußerte sich Hamburgs Flüchtlingskoordinator Anselm Sprandel. „Für uns steht zurzeit die zeitlich befristete Unterbringung von Geflüchteten im Vordergrund. Parallel betreiben wir die Bebauungsplanverfahren, die eine Anschlussnutzung ermöglichen. Insofern gibt es keinen Grund, an der Rechtmäßigkeit unseres Handelns zu zweifeln.“

Die Opposition widersprach dieser Sichtweise

Die Opposition widersprach dieser Sichtweise. Die Rechtmäßigkeit der Gesetzesauslegung „prüfen die Gerichte und nicht der Senat“, erklärte die FDP-Flüchtlingsexpertin Jennyfer Dutschke. „Der Senat hat immer noch nicht verstanden, dass die Bürger in dieser Stadt endlich ernst genommen und beteiligt werden wollen.“ Statt dessen werde „Unterbringungspolitik gegen den Willen der Bürger betrieben“.

Die stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Karin Prien, warf Bürgermeister Olaf Scholz vor, „besonders trickreich vorzugehen, indem er Wohnungsbau zunächst als öffentlich-rechtliche Unterbringung deklariert, um diesen dann später umzuwidmen und nachträglich planrechtlich zu rechtfertigen“. Damit höhle er die Rechte der Bürger und der Bezirke aus. „Eine solch extensive Auslegung von Ausnahmeregeln seitens des Staates zu Lasten vieler Bürgerinnen und Bürger ist nicht dazu geeignet das Vertrauen der Bürger in staatliches Handeln zu stärken.“

Schomacker will keine Großsiedlungen

Der Vorsitzende des Grundeigentümerverbands, Heinrich Stüven, forderte den Senat auf, seiner Vobildfunktion gerecht zu werden. „Die Stadt hat das Bauplanungsrecht selbst geschaffen und muss sich daran halten.“ Stüven äußerte auch rechtliche Zweifel an der Förderung des Baus von Flüchtlingswohnungen durch die Investitions- und Förderbank in Höhe von 455 Millionen Euro. Die Bank dürfe lediglich den Bau von Wohnungen fördern.

Der Sprecher des Dachverbands „Hamburg für gute Integration“, Klaus Schomacker, forderte den Senat auf, den Bau von Großsiedlungen für Flüchtlinge umgehend zu stoppen. Statt dessen sollte die Stadt den sozialen Wohnungsbau vorantreiben und auf eine sofortige Durchmischung der Bevölkerung achten. Die Nutzung der Ausnahmeregelungen im Baugesetzbuch für den Bau von Expresswohnungen für Flüchtlinge sei lediglich der Versuch, verdeckten sozialen Wohnungsbau zu betreiben „und zwar auf Flächen, die normalerweise für den Bau von Wohnungen nicht genutzt werden dürfen“.