Verpasste Chancen, wenig Förderung: Liste der Kritikpunkte ist lang. Immer mehr Herausgeber von Computergames kämpfen ums Überleben.

Es ist letztlich alles eine Frage des Überlebens. „Ich suche ein paar Tipps zu ,This War of Mine‘. Aktuell bin ich bei Tag 10, komme aber nicht mehr sinnvoll an Nahrung“, schreibt Richard in einem Internetforum für Zocker. „Alle sicheren Orte sind bereits geleert, und an den unsicheren sterbe ich regelmäßig. Hab leider keine Pistole, um mich zu verteidigen, nur ein Messer. Habt ihr da Tipps, wie ich nicht sterbe?“, schreibt der Nutzer des Spiels, bei dem sich die Protagonisten im Krieg durchschlagen müssen: Bei „This War of Mine“ geht es darum, in den Ruinen einer Stadt nach Verwertbarem zu graben, Essen zu organisieren oder Wache zu halten.

Wie im Spiel, so im echten Leben: Immer mehr Herausgeber von Computergames kämpfen ums Überleben. Sie ringen um Strategien, ihre Existenz in schwierigen Zeiten zu sichern. „Der Wettbewerbsdruck ist enorm gestiegen“, sagt Branchenkenner Achim Quinke. Viele neue Anbieter drängen in den Markt, insbesondere die internationale Konkurrenz scheint übermächtig zu sein. Die Branche gleicht heute einem Haifischbecken von agilen Newcomern und kapitalstarken Konzernen – und alle haben mit den gestiegenen Erwartungen der Spieler zu kämpfen. Das Problem: Die Nutzer werden im Laufe ihrer Zockerkarriere anspruchsvoller, sie verlangen aufwendige Grafiken und packende Spielstorys. Und das, nachdem es nach einer inzwischen jahrzehntelangen Spieletradition mit Pacman, Super Mario, Minecraft oder Autorennen wie „Need for Speed“ alles schon einmal gegeben hat.

Das Wachstum in der Spielehochburg flacht sich ab

Viele Anbieter in der Spielehochburg Hamburg müssen in diesem schwierigen Umfeld Federn lassen. Seit dem Start der Brancheninitiative ­gamecity:Hamburg vor gut zehn Jahren hat sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche zwar von 800 auf 4500 Stellen erhöht. Rund 150 Unternehmen an Alster und Elbe erreichen zusammen mehr als 800 Millionen registrierte Nutzer. Doch inzwischen flacht sich die Wachstumskurve ab.

Einige Hamburger Firmen sind bereits wieder von der Bildfläche verschwunden, wie Replay Studios oder der Publisher dtp. „Farmerama“-Erfinder Bigpoint baute in den vergangenen Jahren Hunderte Stellen ab. Besonders bitter: Das einstige Branchenschwergewicht wurde vor wenigen Tagen zu einem Bruchteil des einstigen Firmenwerts von einem chinesischen Unternehmen geschluckt. Bei Goodgame, dem bundesweit größten Studio mit mehr als 1000 Beschäftigten, nehmen Unternehmensberater aufgeblähte Strukturen unter die Lupe. Die Nervosität in der Chefetage ist groß: Die Firma aus Bahrenfeld kündigte zuletzt Dutzenden Mitarbeitern, die sich mit der Gründung eines Betriebsrates beschäftigt hatten.

Dabei hatten Goodgame und Bigpoint den Markt für Browser-Games, also Spiele aus dem Internet, frühzeitig erkannt und gehörten hier zu den erfolgreichen Pionieren. Ihre große Zeit ist jedoch seit dem Smartphone-Boom vorbei. Sie verpassten, anders als die profitabel wachsende Hamburger Innogames, den Start einer neuen Ära auf virtuellem Terrain. Heute geht es um „mobile Gaming“, also Handyspiele für Geschäftsleute, die ihre Wartezeit am Flughafen daddelnd verbringen, oder Senioren im Quizduell-Fieber. In diesem wachsenden Markt wird heute das meiste Geld verdient. Analysten schätzen, dass die Umsätze mit Handyspielen bis 2020 voraussichtlich um die Hälfte auf 31 Milliarden Dollar steigen. Ein großer Profiteur des Trends ist etwa King.com, der „Candy-Crush“-Macher aus London.

Derweil sind die klassischen Anbieter in einem Teufelskreis gefangen: Sie müssen kostenintensive, aufwendigere Spiele produzieren. Zugleich beklagt die Community die mangelnde Experimentierfreude der Produzenten. Auch vor dem deutschen Computerspielpreis nächste Woche fragen sich so manche Juroren, ob die Einsendungen der Auszeichnung würdig sind.

Typisch ist die Kritik des Nutzers „Cinnayum“ im Netzforum: „Es gibt nur noch ganz wenige Spiele mit einer Seele. Das ist alles jährliche Fließbandproduktion, die nur ein bis zwei Monate beschäftigen soll, damit man möglichst bald neues Futter kauft“, bemängelt der Spieler. Auch „Nazzy“ ärgert sich: „Da, wo viel Geld vorhanden ist, da fehlt der Mut zur Innovation, oder der Publisher hat mittlerweile zu viel Macht. Anders kann ich mir die Flut an fortlaufenden, immer gleichen Spieleserien nicht erklären.“ In der Tat setzen Herausgeber von Titeln wie Battlefield oder Far Cry den Spielern stets die gleiche Story vor – mit dem banalen Unterschied, dass sie früher Feinde in Hubschraubern abschossen und heute mit Speeren gegen Mammuts kämpfen.

Achim Quinke, der mit „games career“ die größte Jobbörse der Branche betreibt, kennt die Ursachen für die uninspirierte Massenware. „Die Löhne der Entwickler und Designer sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen“, sagt der Insider. Und trotz Vergnügungen wie Freibier und Poolpartys, für die auch Hamburger Firmen bekannt geworden sind, finden die Arbeitgeber kaum Nachwuchs unter den raren IT-Kräften. Daher seien viele Unternehmen schon rein personell mit einem großen Wurf überfordert.

Das gesamte Branchenklima lässt wenig Raum für kreative Köpfe. Klassiker bieten dabei scheinbar eine sichere Bank. Schließlich ist es enorm teuer geworden, weitere Zielgruppen für das Daddeln zu gewinnen. „Früher haben die Anbieter pro neuem Kunden einen Euro in das Onlinemarketing investiert“, sagt Quinke. Heute müssten die Firmen für die Akquise vier- bis fünfmal so viel Geld für Werbung bei Google ausgeben.

Die Kosten steigen – während es auf der anderen Seite schwieriger wird, Geld mit virtuellen Bauernhöfen oder Mittelaltersimulationen zu verdienen. Das Geschäftsmodell von Anbietern wie Bigpoint stand schon immer auf tönernen Füßen: Man kann sich „Dark-Orbit“ kostenlos herunterladen und sofort damit loslegen, als Pilot eines Raumschiffes angreifende Außerirdische abzuschießen. Immerhin mehr als 80 Millionen Spieler beteiligen sich an dem intergalaktischen Kampf. Aber wie viele dieser Nutzer zahlen für bessere Waffen, um die Angreifer abzuwehren? „Die Hersteller wissen vor dem Marktstart nicht, ob zehn oder 20 Prozent der Nutzer ihr Geld für virtuelle Güter ausgeben wollen“, gibt Quinke zu bedenken. Welches Spiel top läuft oder zum Flop wird, ist so ungewiss wie bei Popsongs oder in der Literatur.

Wegen dieser Risiken ruft die deutsche Spielebranche schon lange nach Subventionen – ähnlich wie in der Filmindustrie. In Ländern wie Frankreich oder Kanada sind öffentliche Geldspritzen für Spiele-Start-ups schon länger üblich. Mit sichtbaren Folgen. Das Geld, das deutsche Spieler für ihren Freizeitspaß ausgeben, fließt heute zu mehr als 90 Prozent in ausländische Produktionen. „Der Games-Standort Deutschland ist vergleichbar mit einem Entwicklungsland“, findet Carsten Fichtelmann, Chef der Hamburger Spieleschmiede Daedalic. „Obwohl er aus Konsumentensicht zu den größten Märkten der Welt zählt, kann Deutschland aus Herstellersicht überspitzt gesagt mit Ländern der Zweiten oder Dritten Welt verglichen werden“, schimpft der Gründer.

Eine Förderung der Branche ist in Hamburg nicht mehr vorgesehen

Daedalic hatte einst von der Prototypen-Förderung der Initiative Hamburg@work profitiert. Diese wurde aber inzwischen zusammengestrichen. Die 100.000 Euro hatten Daedalic geholfen, ihr erstes PC-Abenteuerspiel zu entwickeln. Heute arbeiten die Hamburger profitabel und beschäftigen 150 Mitarbeiter. Mit dem Aus der Förderung für Computerspielfirmen in der Hansestadt, die laut Senat auch in absehbarer Zeit nicht mehr eingeführt wird, steht Hamburg in Deutschland nun vergleichsweise schlecht da. So fördern Nordrhein-Westfalen, Bayern oder Berlin ihre Spiele-Start-ups aus öffentlichen Mitteln.

So schwierig die Lage ist – Chancen auf ein Comeback vieler abgehängter Programmiererfirmen verspricht der neueste Trend Virtual Reality (VR). 35 Prozent der Internetnutzer wollen laut einer Umfrage künftig VR-Brillen zum Spielen nutzen. Mit den Hightech-Gestellen ist es etwa möglich, in einer Simulation wie ein Adler über Paris zu fliegen. Der Nutzer sieht die Stadt aus dem Blickwinkel des Vogels und lenkt seinen Flug über Kopfbewegungen. Allerdings sind bei der neuen Technologie auch noch einige Probleme zu lösen: Bei klassischen Ballerspielen etwa laufen die Szenen zu schnell ab. Vielen VR-Nutzern wird dabei schlecht.