Hamburg. Markus John über seine Rolle als Gefolterter in dem Theaterstück „Warten auf die Barbaren“nach dem Roman von J. M. Coetzee.
Ein Mann liegt auf einem Erdhügel. Regungslos. Ein zweiter Mann schippt unablässig schwarze Erde auf den nackten Körper und auf den Kopf. Das Bild ist eindeutig: Hier wird ein Mensch bei lebendigem Leibe verscharrt. Anschließend wird er aus seinem Grab herausgeschleift und muss sich einen zu engen Frauenkittel überziehen. Dann zieht die beschmutzte Kreatur sich mit einer Fußfessel und drei Eisenketten in die Höhe. Der Kittel rutscht nach oben und gibt den Blick auf seine Geschlechtsteile frei. Hier baumelt er etwa zehn Minuten, während vor ihm eine zynische Folter-Reality-Show abläuft.
Der hängende Mann ist der Schauspieler Markus John, die für den Zuschauer schwer auszuhaltende Szene gehört zu Maja Kleczweskas Inszenierung von „Warten auf die Barbaren“ im Malersaal.
„Ich würde das nicht machen, wenn es eine unzumutbare oder masochistische Strapaze wäre“, sagt Markus John ein paar Tage nach der Premiere. „Doch ich bin als Schauspieler bereit, auf der Bühne Dinge zu tun, die ungewöhnlich sind, denn das Thema des Abends ist nicht alltäglich.“ In dem Roman des südafrikanischen Nobelpreisträgers J. M. Coetzee geht es um Despotie, Macht, Folter, Verfall und gesellschaftliche Auflösung. Der Magistrat, den John verkörpert, verliert sein Mensch-Sein. Er widersetzt sich den Anweisungen der Geheimpolizei und macht sich bewusst zum Opfer.
„Wir zeigen keine Folter auf der Bühne“
Eine Folterszene beschreibt Coetzee aus dem inneren Monolog des Magistrats so: „ ... die Arme hinter dem Rücken werden hoch gezerrt, und als ich den Boden unter den Füßen verliere, spüre ich ein entsetzliches Reißen in den Schultern, als würden sich ganze Muskelgruppen ablösen. Aus meiner Kehle dringt das erste klagende raue Brüllen, als würde Kies ausgeschüttet.“
„Diese Szene ist so nicht darstellbar. Also mussten wir etwas anderes finden“, erzählt Markus John. Dem Schauspieler ist wichtig, dass man an keiner Stelle die Illusion herstellen wolle, auf der Bühne werde gefoltert. „Der wichtigste Aspekt an dem Bild ist, dass ich mich selber aufhänge. Es ist Teil des Widerstandes des Magistrats gegen die Methoden der Staatspolizei. Er bringt sich bewusst selbst in diese Situation.“ Für John ist Folter auf der Bühne nicht darstellbar. „Wir zeigen keine Folter, wir wollen über Bilder und Sprache Assoziationen wecken und Reflexionen in Gang setzen.“
Einsatz von Videos : verletzte Menschenwürde
In der Inszenierung gibt es eine sich wiederholende Videosequenz von zwei Sekunden, in der zu sehen ist, wie ein wehrloser Mensch zusammengeschlagen wird. In ihrer Kürze wirkt die Projektion abstrakt.
Markus John erzählt, dass man während der Proben auch Videos angeschaut habe, auf denen Menschen gefoltert und erschossen werden: „Da waren Dinge dabei, die ich in dieser Brutalität noch nie gesehen habe.“
John habe sich vehement dagegen ausgesprochen, diese Filme zu nutzen. „Das hätte den Theaterabend gesprengt. Damit wäre in unser Spiel und die Reflexion über Folter die nackte Realität eingebrochen. Wir hätten dann nicht weiter Theater spielen können, sondern eine Diskussion mit den Zuschauern beginnen müssen.“ Für John wäre mit dem Einsatz dieser Filme ein Tabu verletzt worden. „So ein Film hätte nur den Zweck gehabt, eine Theateraufführung spektakulärer zu machen. Die Würde der Menschen, die dort gezeigt wurden, wäre nachträglich weiter verletzt worden.“
Brutale Vorgänge übertragen und abstrahieren
Dem Schauspieler ist bewusst, dass die Inszenierung die Zuschauer im besten Fall zum Nachdenken über das Gesehene zwingt. „Wenn Zuschauer mit dem Gefühl nach Hause gehen, sie haben einen schönen, runden Theaterabend erlebt, dann ist was schiefgelaufen.“ Reaktionen während der Aufführung hat es bisher nicht gegeben.
Aber auch das hat John schon erlebt. Er erinnert sich an eine Aufführung, in der er Shakespeares „Othello“ gespielt hat: „Ich musste den Kopf der Desdemona in einen Eimer stecken, um sie zu ertränken. Einige Zuschauer glaubten eingreifen zu müssen und riefen: ,Aufhören!‘ Natürlich konnte der Kollegin nichts passieren, aber in jener Szene wurde die Illusion eines Mordes geschaffen.“ In den „Barbaren“ habe man auf solche Szenen verzichtet: „Wir zeigen Übertragungen und Abstraktionen von brutalen Vorgängen.“
„Warten auf die Barbaren“ steht im Spielplan des Deutschen Schauspielhauses mit anderen aktuellen Inszenierungen wie „Schiff der Träume“, „Geächtet“ und „Unterwerfung“. „Es ist die Aufgabe des Theaters, sich zu wichtigen gesellschaftlichen Themen zu äußern. Diese Stücke zeigen, was Theater kann, denn es wird in unterschiedlicher Weise und in verschiedenen Formen Stellung bezogen“, äußert Markus John sich durchaus stolz über die Aufmerksamkeit und den Erfolg, die dem Haus an der Kirchenallee zuletzt zuteil geworden sind.
„Warten auf die Barbaren“ weitere Vorstellungen am Sa 12.3., 20 Uhr, und Mo 14.3., 20 Uhr, Malersaal, Kirchenallee 39, Karten zu 22,- unter T. 24 87 13