Amsterdam. Das Brandhaarden Festival in Amsterdam zeigt dieses Jahr nur Inszenierungen des Deutschen Schauspielhauses, auch „Unterwerfung“.
Ein mehr als zweiwöchiges Theaterfestival, auf dem nur ein Theater präsentiert wird, wo gibt’s denn sowas? In Amsterdam, beim Brandhaarden Festival, im Zentrum der Stadt. Und die Idee, die dahinter steckt, überzeugt. Ein Theater in all seiner künstlerischen Vielfalt zu präsentieren, mit Inszenierungen, Diskussionen und einem programmatisch abgestimmten Beiprogramm – selten kann man so viel über ästhetische Handschriften, Spielplangestaltung und vor allem die Variationsbreite großartiger Schauspieler begreifen.
In diesem Jahr steht das Deutsche Schauspielhaus im Mittelpunkt des Interesses. „Als ich 2012 das erste internationale Theaterfestival präsentiert habe“, sagt Festivaldirektor René van der Pluijm, „wollte ich dem Amsterdamer Publikum etwas Großes und Besonderes bieten. Wir hatten nur das Holland Festival, wollten aber auch zeigen, wie anderswo Stadttheater gemacht wird. Die Münchner Kammerspiele waren da naheliegend, denn ihr damaliger Intendant war Johan Simons, ein Holländer, den man hier seit vielen Jahren kennt. Erstaunlich war, dass schon eine Woche vor Beginn des Festivals alle Gastspiele ausverkauft waren. Offenbar hatten wir da genau etwas getroffen, was das Publikum gern sehen wollte.“ Auch in diesem Jahr sind die Vorstellungen an jedem Abend ausverkauft.
Weil man sich nicht sicher war, ob es genügend Bühnen geben würde, die ein internationales Theaterfestival tragen können, sollte ein ums andere Jahr ein internationaler Künstler mit seinem Werk das Programm gestalten. 2015 stand die englische Regisseurin Katie Mitchell im Mittelpunkt, zwei Inszenierungen vom Schauspielhaus wurden gezeigt, „Glückliche Tage“ und „Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“. Kräftige künstlerische Entwürfe, die das Publikum begeistern. Festivalleiter René van der Pluijm kennt sich mit dem Hamburger Spielplan aus.
Zum fünften Mal findet nun an der Stadsschouwburg das Brandhaarden Festival („Brennpunkte Festival“) statt – mit den Inszenierungen „Der Entertainer“, „Effi Briest“, „Schiff der Träume“, „Unterwerfung“ und „John Gabriel Borkman“. Die Auswahl, so van der Pluijm, von „nur“ fünf Aufführungen sei ihm schwer gefallen, so viel Herausragendes hätte er am Schauspielhaus gesehen.
Edgar Selge muss auch in Amsterdam den Abend, an dem „Unterwerfung“ auf dem Programm steht, alleine tragen. Er bewältigt das Stück über den Wandel Frankreichs in einen islamischen Staat ebenso bravourös wie in Hamburg. Und obwohl ein zweieinhalbstündiger Monolog in deutscher Sprache für ein holländisches Publikum nicht unbedingt leicht erscheinen mag, springen die ansonsten mit Applaus recht zurückhaltend umgehenden holländischen Zuschauer am Ende der Vorstellung von ihren Sitzen im großen Saal der Stadsschouwburg und applaudieren Selge stehend. Er sieht sehr glücklich aus, wie er da allein auf der Bühne steht, denn ein toller Erfolg ist „Unterwerfung“, die Vorstellung, die in Hamburg ständig ausverkauft ist, auch hier.
Zur Diskussion über den Islam am Nachmittag waren rund 80 Zuschauer gekommen. Das Thema interessiert hier, seit 2004 dem Regisseur Theo van Gogh auf der Straße von einem islamischen Fundamentalisten die Kehle durchgeschnitten wurde. Van Goghs letzter Film trug sogar denselben Titel, wie Michel Houellebecqs Roman, den Selge nun auf der Bühne spielt, „Unterwerfung“. Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier, gefragt, ob sie Angst gehabt habe während und nach der Inszenierung, verneint vehement und erklärt: „Im Theater muss man nicht politisch korrekt sein. Es kann und soll polarisieren.“
Etwas weniger ernst ging es am Abend zuvor bei Karin Beiers Inszenierung von „Schiff der Träume“ zu. Man konnte den Eindruck gewinnen, die holländischen Zuschauer lachen besonders gern, wenn die afrikanischen Darsteller der Flüchtlinge sich über deutsche Eigenheiten, Depressionen und Herzlosigkeiten wundern. Alte, die ins Heim geschickt werden, Kinder, die keiner mehr bekommen will – „wir sind gekommen, um Europa zu helfen“, freuen sich die Afrikaner. In Holland erfreut man sich an diesen Widersprüchen natürlich auch.
Das Schauspielhaus gerät mit den Einladungen nach Amsterdam an die Grenzen seiner Kapazitäten. Was kann man in Hamburg noch spielen, wenn 160 Mitarbeiter in Holland sind, 150 Tonnen Deko verladen und aufgebaut werden müssen? Annette Heilmann, verantwortlich für die Gastspielreisen und seit Monaten mit der Organisation beschäftigt, sagt: „Wir haben 320 Reisen organisiert und 800 Übernachtungen. Katastrophen sind nicht passiert. Nur einmal musste eine Schauspielerin aus Krankheitsgründen kurzfristig umbesetzt werden. Die Neue hat dann im Hotelzimmer intensiv mit der Assistentin geübt. Niemand hat in der Vorstellung etwas gemerkt. Ich beinahe auch nicht.“
Wenn die Hälfte aller Mitarbeiter des Schauspielhauses unterwegs sind, kann man in Hamburg nur noch begrenzt Vorstellungen geben. Aber auch das läuft reibungslos, ohne dass die Zuschauer es bemerken. Joachim Meyerhoff liest und sorgt für ein volles Schauspielhaus. Und Josef Ostendorf spielt in Amsterdam am Abend „Schiff der Träume“, fährt am nächsten Tag nach Hamburg, spielt „Schule der Frauen“ und reist am Morgen danach wieder nach Amsterdam um abends in „Borkman“ auf der Bühne zu stehen. Schauspieler sind flexibel.
Nicht nur imagemäßig ist die Einladung des Schauspielhauses zum Brandhaarden Festival ein großer Gewinn. Intendantin Karin Beier weiß: „Wir gehen auch auf Gastspielreise, um finanziell davon zu profitieren.“
Ende der Woche sind alle zurück in Hamburg. Die nächsten Gastspiele warten schon. Anfang Mai geht’s zum Theatertreffen nach Berlin, im Juni dann nach Peking und Shanghai. Bessere Botschafter für die deutsche Kultur kann man nicht finden.