Hamburg. Rolling Pants hat praktische und schicke Hosen für Querschnittgelähmte entwickelt. Firma hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt.

Dieter Laven sitzt seit gut 30 Jahren im Rollstuhl und sagt: „Ich bin ein sehr eitler Mensch.“ Gut sitzende und modische Kleidung ist ihm wichtig, von Jogginghosen hält er gar nichts. „So, wie ich mich kleide, so fühle ich mich auch, und ich will mich gut fühlen“, sagt der Mann, der als 17-Jähriger als Beifahrer eines Autos in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde und seitdem querschnittgelähmt ist.

Laven arbeitet mit daran, dass er sich gut gekleidet fühlen kann. Der 48-Jährige gehört zum Kreativbeirat der Hamburger Firma Rolling Pants (deutsch: rollende Hosen) und berät das im April 2015 gegründete Unternehmen, das sich auf Kleidung für Rollstuhlfahrer spezialisiert hat, genauer: auf modische Hosen.

Seit Herbst 2015 werden sie über einen Onlineshop vertrieben, und die Chefs haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. „Wir wollen der führende Hosenanbieter für Rollstuhlfahrer in Europa werden“, sagen die Geschäftsführer Urs-Stefan Kinting, 50, und Thomas Schmidt, 53. Beide sind seit Langem in führenden Positionen in der Modebranche tätig, haben als Manager und Berater unter anderem für Firmen und Marken wie Esprit, Betty Barclay, s.Oliver, Street One und Olsen gearbeitet. Die Branche kennen sie, die Zielgruppe haben sie eher zufällig entdeckt.

„Ich bin während einer Familienfeier in Spanien mit einem Rollstuhlfahrer ins Gespräch gekommen. Irgendwann hat er auf meine Chinos gezeigt, und gesagt: ,So eine Hose würde ich auch gerne mal tragen.’ Ich habe erst mal gar nicht verstanden, wo das Problem ist“, sagt Kinting. Am Ende des Gesprächs wusste er, dass für Gehende geschnittene Hosen bei Rollstuhlfahrern nicht gut sitzen, unbequem und unpraktisch sind, Druckstellen hervorrufen können – und dass Rollstuhlfahrer in den meisten Textilgeschäften schon deshalb schlecht einkaufen können, weil die Umkleidekabinen zu klein sind. „Er hat mir erzählt, dass er manchmal in ein Zara-Geschäft fährt, um modische Kleidung wenigstens anzuschauen. Ich habe gesagt, dass ich solche Hosen für ihn machen kann“, sagt Kinting.

Die Idee war geboren, die Marktanalyse führte zur Überzeugung, dass Hosen für Rollstuhlfahrer auch wirtschaftlich ein Erfolg werden könnten. „Wir sind ja kein soziales Projekt. Wir wollen und müssen Geld verdienen“, sagt Kinting. Etwa 1,5 bis 1,6 Millionen Menschen in Deutschland, so die gängige Schätzung, sitzen dauerhaft im Rollstuhl. Viele davon, die wie Dieter Laven schon früh im Leben einen Unfall erleiden oder erkranken, sind finanziell nicht gut versorgt. Damit war klar, dass ein Hosenpreis deutlich über 100 Euro schwierig sein würde. Zumal es Mitbewerber gibt, die schon seit einigen Jahren etwas schickere und nicht ausschließlich funktionale Kleidung für Rollstuhlfahrer anbieten. „Es ist nicht schlecht, was die machen, aber was Fashion und Funktionalität angeht, sind wir besser“, lautet die selbstbewusste Selbsteinschätzung der beiden Hamburger.

Etwa fünf Monate brauchte Kinting, um die ersten Hosen für die Bedürfnisse von Rollstuhlfahrern zu entwickeln, dabei holte er sich regelmäßig den Rat der drei Beiratsmitglieder ein. Sie testen jedes Modell, ohne ihre Zustimmung geht keine Hose in Produktion. Je zwei Modelle, eine Jeans und eine Chino, für Männer und Frauen sind derzeit auf dem Markt, zudem eine Thermohose. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Hosen nicht von solchen für Gehende. Und genau das ist die Absicht.

Damit sie auch im Sitzen gut sitzen und über den Schuhen nicht hochrutschen, sind Rolling Pants etwas länger geschnitten als Hosen für Gehende. Der Bund ist im Rückenbereich zudem zehn Zentimeter höher, das verhindert ein lästiges „Bauarbeiter-Dekolleté“ im Rollstuhl. Der Stoff enthält einen höheren Elasthan-Anteil und ist zugleich etwas fester als bei herkömmlichen Hosen. Der Grund: Weil die Muskeln sich zurückbilden, haben viele Betroffene dünne Beine. Das wird durch den festeren Stoff besser kaschiert.

Ein ganz wesentliches Detail ist allerdings der Reißverschluss: Weil sich viele Rollstuhlfahrer mehrmals am Tag selbst oder mit Hilfe katheterisieren, ist er länger als üblich und reicht bis zur Mittelnaht. Das erleichtert das Wasserlassen.

Herstellen lässt Rolling Pants die Hosen in Italien, künftig soll es eine Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterkollektion geben. Schon jetzt werden auch mehrere hilfreiche Artikel angeboten: ein Schnallengürtel, der tatsächlich von einem schnell zu öffnenden Klettverschluss zusammengehalten wird, eine Smartphonetasche, die sich am Rollstuhl befestigen lässt. Dieter Laven hatte die Idee, einen Rucksack zu entwickeln, in dem die Materialien für das Katheterisieren einen festen Platz haben.

Einen „mittleren sechsstelligen Eurobetrag“ haben die beiden geschäftsführenden und ein dritter Gesellschafter aus eigenen Rücklagen bislang in das Unternehmen investiert. Um das angestrebte Wachstum zu ermöglichen, soll nun aber zusätzliches Kapital akquiriert werden. Kinting und Schmidt beraten derzeit auch noch andere Mode-Unternehmen, ab dem Sommer aber wollen sie sich ganz auf Rolling Pants konzentrieren.

Der Online-Shop für Deutschland und Österreich sei gut angelaufen, sagt Thomas Schmidt, der für die Finanzen zuständig ist und den Versand der Ware aus dem Lager in einem Bahrenfelder Gewerbehof organisiert. „Der Umsatz wächst Monat für Monat um 30 Prozent.“ Bislang wurden mehr als 1000 Hosen verkauft, für das gesamte Jahr 2016 erwarten die Geschäftsführer den Absatz von 10.000 der 90 bis 100 Euro teuren Hosen. Geht der Businessplan auf, wird Rolling Pants 2017 Gewinn machen. Ab 2018 soll die Internationalisierung des Online-Shops beginnen, um nicht-deutschsprachige Kunden in Europa zu erreichen.

Und auch Arbeitsplätze für Rollstuhlfahrer sollen bei Rolling Pants entstehen – in der telefonischen Kundenbetreuung. Betroffene können die Fragen von Rollstuhlfahrern besser beantworten als Gehende, wissen die Geschäftsführer aus eigener Erfahrung. Ein Hindernis steht derzeit aber noch vor der Anstellung von Rollstuhlfahrern – die Sanitärräume der Firma müssen erst noch umgebaut werden.