Hamburg. In der von Billigprodukten aus Asien dominierten Textilwelt suchen sich kleine Anbieter ihre Nische.

Wenn Maike Schambach in ihrer Sakkomanufaktur in Bergedorf anfängt zu weben, hört man, dass ihr Arbeitsgerät mindestens hundert Jahre alt ist. Der Webstuhl, den sie kurz nach der Wende in einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks in Rostock für 250 D-Mark gekauft hat und der damals schon alt war, klappert bei jedem Zentimeter, den sie mithilfe von Fußpedalen betätigt. Vor neun Jahren hat die 45-Jährige ihr Atelier bezogen und macht dort das, womit inzwischen viele Designer und sogar Modeketten werben: Textilien „made in Germany“. Um überhaupt mit dem Webstuhl arbeiten zu können, muss Maike Schambach ihn zunächst einrichten. Ist das erledigt, setzt sie sich auf das harte Holzbrett, das ihr anfangs noch blaue Flecken beschert hat. Für 25 Meter Stoff reichen die Fäden auf dem Webstuhl. Um danach weiterarbeiten zu können, knotet sie 1145 neue Fäden an. Allein das dauert fünf Stunden. „Was ich mache, ist Luxus“, sagt die Handwebmeisterin. Und ihre Kunden sind bereit, sich den zu leisten. Dafür können sie Maike Schambach in ihrem Atelier besuchen und zusehen, wie ihr persönlicher Stoff entsteht, der im Anschluss von einer Schneiderin maßgenau zugeschnitten wird. Die Preise für Herrensakkos starten bei 1500 Euro. An den zweieinhalb Metern Stoff, die sie für eines davon braucht, hat Schambach eine Woche lang gewebt. „Es gibt definitiv eine Schicht von Menschen, die Wert darauf legt, einzigartige, in Deutschland hergestellte Kleidung zu kaufen“, sagt sie.

In Rothenburgsort strickt und näht das Label Omen seine Textilien

In Zahlen lässt sich dieser Trend noch nicht erfassen. Denn die Manufakturen lassen sich nicht gerne in ihre Bücher schauen, schweigen zu Umsatz und Gewinn. Allein in Hamburg werben aber mit einheimischer Produktion unter anderem der Herrenausstatter rlb Fashion, Rühmann & Co., ein Unternehmen, das Hemden, T-Shirts und Pullover verkauft, und das Label Zebratod, das die Hälfte seiner Kollektion in Deutschland stricken lässt. Auch dabei ist die Marke Omen, die es schon seit 1984 gibt – eine Tochter des Modehändlers Thomas-i-Punkt. Omen beschäftigt in Rothenburgsort 20 Mitarbeiter, die exklusive Textilien von der Mütze bis zum Pullover stricken und nähen. Mehr als 10.000 Stück kommen aus dem Hause Omen, das mit Schneidereien in Lübeck und Bremen kooperiert. Es sind viele kleine Erfolgs­geschichten, doch mit Blick auf die globale Textilienwelt bleibt die Produktion hierzulande eine Nische.

Noch immer dominiert Kleidung aus Bangladesch und China den deutschen Markt. Der Einfuhrwert aus diesen beiden Ländern hat allein im ersten Halbjahr 2015 um 20,6 beziehungsweise 9,5 Prozent zugenommen. Und immer wieder gibt es Berichte über katastrophale Arbeitsbedingungen vor Ort und Hungerlöhne. Trotz der Dominanz der Billigimporte erkennt Tanja Croonen, Referentin des Modeverbands Deutschland, den Trend zu Textilien made in Germany. „Es gibt diesen Nischenbereich, in dem sich vor allem immer mehr kleinere Designer ansiedeln.“ Dabei handele es sich um hochwertige Kleidung, die deutlich teurer ist als die der Ketten, die in Asien produzieren lassen. „Ein Kleid kann schnell 400 bis 500 Euro kosten, denn schließlich bezahlt der Kunde Löhne auf deutschem Niveau“, weiß Croonen.

Der wohl bekannteste Textilproduzent, der mit dem Label made in Germany wirbt, ist Trigema. Das Unternehmen ist seit fast 100 Jahren auf der schwäbischen Alb ansässig und den Deutschen vor allem durch die Werbung mit dem Affen, der eine rote Brille auf der Nase trägt, bekannt. „Es ist nicht meine Aufgabe als deutscher Unternehmer, Produktionsfirmen in China Konkurrenz zu machen“, sagt Trigema-Chef Wolfgang Grupp selbstbewusst auch mit Blick auf seine etwas höheren Preise. In Burladingen produzieren seine Mitarbeiter von der Stoffherstellung über den Zuschnitt bis zur Veredelung alles selbst. „Die Produktion in Deutschland ist machbar. International herstellenden Unternehmen wie H&M oder Zara kann ich damit aber keine Konkurrenz machen“, sagt Grupp, der betont, die 1200 Arbeitsplätze zu erhalten und auch den Kindern seiner Angestellten Jobs und Lehrstellen zu garantieren.

Trotz der deutschen Hersteller wachsen die großen Textilketten rasant

Auch international bekannte Designer wie Marc Cain und Anja Gockel werben damit, ihre Textilien in Deutschland herzustellen. „Auf der Fashion Week gibt es immer mehr Shows, die das Thema Nachhaltigkeit und Produktion in Deutschland aufgreifen“, sagt Verbandssprecherin Croonen. „In einer bestimmten Bildungsschicht, die über ein hohes Einkommen verfügt, ist das Bewusstsein für das Thema da.“

Handwebmeisterin
Maike Schambach
an ihrem alten
Webstuhl
Handwebmeisterin Maike Schambach an ihrem alten Webstuhl © HA | Klaus Bodig

Dennoch kaufe die Mehrzahl der Kunden weiter „günstig bis billig“. Das zeigt sich am Beispiel des Modediscounters Primark, bekannt für sechsstöckige Geschäfte, in denen insgesamt rund 10.000 Artikel angeboten werden. Die Iren, die auch mehrere Filialen in Deutschland haben, steigerten ihren Umsatz im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres um 15 Prozent auf rund 3,5 Milliarden Euro. Und auch andere Ketten wie H&M und Zara verzeichnen ein deutliches Plus. Die niedrigen Preise sind nicht nur wegen der vergleichsweise geringen Löhne möglich, sondern auch wegen der Produktion besonders großer Stückzahlen. Genau das ist noch das Problem des Unternehmens von Barbara Trenti und Andreas Geier, die gerade ihr Modelabel Gina Fiore aufbauen. Sie wollen Materialien wie Hanf verwenden und sogenannte „non-violent“-Seide, bei deren Herstellung die Schmetterlinge vor der Verwendung der Kokons aus diesen schlüpfen können. Die Materialien kommen aus der EU, alle Kleidungsstücke sollen in Deutschland produziert werden. Dafür sind die 42 und 44 Jahre alten Südtiroler Geier und Trenti vor zwei Monaten in den Norden gezogen – und eine Schneiderei in Hamburg hat bereits Interesse an dem Projekt bekundet. „In einer Großstadt wie Hamburg sind die Leute bereit für diese Art von Mode“, sagt Barbara Trenti.

Das Konzept steht, Prototypen der Sommer- und der gerade entstehenden Winterkollektion hat Annette Gehrke, Schneiderin und Freundin des Paares, schon hergestellt. Auch eine Werbekampagne hat das Ehepaar bereits entworfen. Bisher fehlt allerdings noch die Möglichkeit zur Finanzierung ihrer Ideen. „Ökologisch hochwertige Kleidung zu tragen, darf zudem nicht am Einkommen scheitern“, sagt Geier.

Eine Hanfjeans von Gina Fiore sollte nicht mehr als 100 Euro kosten. „Dafür müssen wir aber pro Modell 600 bis 700 Stück anfertigen lassen.“ Für Hanf, das einzige Material, dass auch aus China kommt, hat sich das Ehepaar aus ökologischen Gründen entschieden. „Der Anbau von Hanf ist viel umweltschonender als etwa der von Baumwolle. Denn die Pflanzen müssen nicht gedüngt werden. Außerdem verbrennen sie CO2, und eine Jeans aus Hanf ist zu 100 Prozent UV-undurchlässig“, sagt Geier.

Zurzeit führen Geier und Trenti Gespräche mit der Gründerhilfe, um einen Investor zu finden und ihren Plan danach zu realisieren. Anfragen vom Green Showroom der Fashion Week haben sie bereits erhalten, erzählt Barbara Trenti. „Unsere Idee ist vielleicht noch neu, aber sie hat Zukunft.“