Neustadt. Zwei Männer aus dem Milieu schlagen einen Dritten und filmen es. Vor Gericht sprechen sie von einem „Fake-Video“.

Diplomatisches Geschick und höfliche Umgangsformen? Feingeistige, endlose Unterhaltungen? Wer sich im Milieu durchsetzen möchte, braucht da wohl eher andere Qualitäten, von einer gewissen körperlichen Präsenz ganz zu schweigen. So besehen, haben die beiden Männer, die den Gerichtssaal betreten, zumindest optisch beste Voraussetzungen für eine Karriere auf dem Kiez: finsterer Ausdruck in ihren Gesichtern, breites Kreuz und muskelschwellende Oberarme. Und es scheint, als könnten sie ihre Kräfte auch überzeugend einsetzen.

In einem kleinen Film haben sie das jedenfalls eindrucksvoll demons­triert. Was aber ursprünglich nur für ein handverlesenes Publikum gedacht war, geriet bei der Auswertung eines von der Polizei beschlagnahmten Handys in den Fokus von Ermittlungen – und brachte Hamid N., 39, und den drei Jahre jüngeren Carsten L. (alle Namen geändert) jetzt auf die Anklagebank.

Ein Mann wird geschlagen und getreten, wälzt sich am Boden und stöhnt

Laut Staatsanwaltschaft, die ihnen gefährliche Körperverletzung vorwirft, haben sie vor einem Etablissement auf dem Kiez ihre Fäuste höchst energisch gegen einen Mann eingesetzt und, als dieser bereits durch die Schläge zu Boden gegangen war, weiter auf ihn eingeprügelt und ihn mit Tritten malträtiert. Wer der sich am Boden wälzende, offenbar vor Schmerzen stöhnende Mann war, konnte nicht ermittelt werden. Auch irgendwelche Zeugen des Geschehens haben sich nicht gemeldet.

Und so nennen Hamid N. und Carsten L. die Prügelei im Verhältnis zwei gegen einen nicht etwa unfair oder ein Auftreten, das wohl aus dem Ruder gelaufen sei. Sie reden vielmehr von einem „einvernehmlichen Geschehen“. Hintergrund ist laut ihrer Darstellung, ein Angriff auf den Bruder von Hamid N. durch eine den Männern nicht gerade in harmonischer Gesinnung verbundenen Gruppe. Weil sie unbedingt sicherstellen wollten, dass man den Verwandten künftig in Ruhe lässt, überlegten sich die beiden demnach: „Wie kriegt man die Kuh vom Eis?“, sagt der Verteidiger des 39-Jährigen. „Schließlich ist man übereingekommen, ein Video zu erstellen.“

In diesem solle eine handfeste Prügelei zu sehen sein, mit dem Effekt, dass andere erkennen, dass die Angeklagten den Bruder zu verteidigen wissen. Der Mann, der in dem Film das geschundene Opfer spiele, sei ein Typ, von dem man lediglich den Spitznamen weiß, Nachname gänzlich unbekannt. Und es gebe „auch keine ladungsfähige Anschrift von ihm. Aber wir sind ja auch nicht die Polizei und müssen das deshalb nicht ermitteln“, heißt es lapidar.

Staatsanwalt glaubt nicht an gestellte Szenen

Auch der Verteidiger von Carsten L., einem Typen mit Schrankmaßen und dichtem Vollbart, spricht von einer freiwilligen Prügelei. „Man sieht in dem Video doch, wie das vermeintliche Opfer hinterher aufsteht. Natürlich ist zugeschlagen worden, aber es sieht viel heftiger aus, als es wirklich war.“ Sinn sei, dass die Gegner wüssten: „Mit denen wollen wir keinen Ärger.“

Der Film wird im Verhandlungssaal abgespielt. Man sieht die Schläge und Tritte der beiden Angeklagten, hört den Mann am Boden ächzen und stöhnen und einen der Angreifer, der ihn anbrüllt: „Hör mir genau zu! Ab heute: Lass ihn in Ruhe.“ Und: „Wir machen hier, was wir wollen!“ Weitere Order werden in einem furchterregenden Ton gebellt, der jedes Kommando auf einem Kasernenhof wie eine höflich vorgetragene Bitte wirken lässt.

Der Staatsanwalt glaubt indes nicht, dass es sich bei dem Video um eine gestellte Szene handeln kann. „Hier wird jemand ordentlich drangsaliert, und der derart Malträtierte steht ziemlich angeschlagen wieder auf“, meint der Ankläger und plädiert für den gering vorbestraften Carsten L. auf eine 18-monatige Bewährungsstrafe. Der schon mehrfach verurteilte Hamid N. solle ein Jahr und neun Monate ohne Bewährung bekommen.

Die Verteidiger sind ob dieser Anträge „erschüttert. Es gibt keine Verletzung“, argumentiert der eine. „Die Angeklagten sind Jungs vom Kiez, milieu-erfahren. Wenn die den Mann ernsthaft hätten verletzen wollen, wäre der nicht mehr aufgestanden.“ Die Tritte seien offensichtlich gegen den Boden oder gegen die Wand gegangen und mitnichten an den Kopf des Opfers.

Tritte in „theatralischer Form, wenn auch nicht Oscar-reif gespielt“

Auch der andere Verteidiger spricht von „Tritten in sehr theatralischer Form, die stumpf in den Boden reingingen“. Die Szene sei zwar „nicht Oscar-reif gespielt, aber die darstellerischen Leistungen der drei reichten eben für eine wirkungsvolle Abschreckung. Und genau das war intendiert und nicht etwa Verletzungen.“

Sie sei nicht überzeugt, „ob die Szenen gestellt waren oder nicht“, meint die Amtsrichterin schließlich. Und deshalb entscheidet sie in ihrem Urteil auf Freispruch. Die Angeklagten sähen von ihren Staturen her „nicht so aus, als wäre da nicht ordentlich Rums dahinter, wenn sie wirklich mit voller Kraft zutreten würden“. Vielmehr höre es sich so an, „als gingen die Tritte in den Boden. Und wenn sie wirklich so massiv zugetreten hätten, wie es den Anschein haben soll, dann steht ein Opfer nicht wieder auf und geht offenbar ohne Blessuren davon.“