Hamburg . 937 Juden wollen 1939 mit dem Hapag-Dampfer nach Amerika – doch sie werden dort abgewiesen. Aufzeichnungen des Kapitäns aufgetaucht.

Im Mai 1939 verließ der Hapag-Dampfer „St. Louis“ mit 937 Juden an Bord den Hamburger Hafen. Auf der Brücke stand der aus Schleswig-Holstein stammende Kapitän Gustav Schröder, als eine Musik­kapelle vor dem Schuppen 76 zum Abschied „Muss i denn zum Städtele hinaus“ spielte. Noch ahnten weder Crew noch Passagiere, dass aus dieser Reise eine Irrfahrt werden sollte.

Denn sowohl Kuba als auch die USA wollten die jüdischen Migranten nicht aufnehmen. Und das trotz der ursprünglichen Ankündigung der kubanischen Regierung, jenen vor den NS-Pogromen fliehenden Menschen so lange Asyl zu gewähren, bis sie in die USA einreisen konnten.

Das traurige Schicksal der Passagiere, die zurück nach Europa mussten, ist bekannt. Aber die persönlichen Aufzeichungen des Hamburger Kapitäns waren viele Jahre lang einer breiten Öffentlichkeit nicht zugänglich. Sein 1949 erschienenes Buch „Heimatlos auf hoher See“ gilt als vergriffen, den Verlag gibt es nicht mehr. In nur noch wenigen Bibliotheken sind allenfalls Kopien ausleihbar.

Dabei sind es gerade die Erlebnisberichte des Kapitäns, die aus erster Hand die Verzweiflung und die Angst der jüdischen Passagiere vor einer erzwungenen Rückreise in die Nordsee schilderten. Etliche von ihnen hatten Konzentrationslager überlebt. „In ihren Augen war eine furchtbare Angst vor der Rückkehr dorthin zu lesen, aber nicht minder eine feste Entschlossenheit, alles für die Rettung einzusetzen“, notierte Kapitän Schröder. „Wer einmal mit Verständnis in solch verzweifelte Augen geblickt hat, vergisst es nicht.“

Die „St. Louis“ war nach dem Krieg
Hotelschiff in Hamburg
Die „St. Louis“ war nach dem Krieg Hotelschiff in Hamburg © S. Wallocha

Es ist jetzt einem Führungskräfte-Coach zu verdanken, dass die historischen Notizen des Kapitäns wieder für alle verfügbar und nachzulesen sind. Hans-Peter Etzold aus Andernach am Rhein war von dem mutigen Einsatz des 1959 in Hamburg verstorbenen Kapitäns so sehr berührt, dass er in Eigeninitiative dessen Aufzeichnungen in der vergangenen Woche im Internet veröffentlicht und einleitend kommentiert hat (www.natuerlichteambuilding. de/heimatlos-auf-hoher-see). „Für mich ist dieser Mann ein Held, ein guter Hirte“, sagt Etzold. „Schröder verstand sich als Team-Player und war fest entschlossen, die ihm anvertrauten Passagiere außerhalb Deutschlands an Land zu bringen.“ Der Kapitän arbeitete eng mit einem Rat der jüdischen Passagiere zusammen.

Zunächst aber musste er schlechte Nachrichten verkünden. Die USA weigerten sich, die Flüchtlinge aus Deutschland aufzunehmen. Demons­trativ hatten die Vereinigten Staaten zur Abschreckung Flugzeuge und Küstenwachboote gegen die „St. Louis“ eingesetzt. Präsident Franklin D. Roosevelt berief sich in seiner Begründung auf den Immigration Act von 1924, der nur eine bestimmte Quote von Zuwanderern erlaubte.

Hamburger Schiffbaugeschichte im Maritimen Museum

Im Rahmen der
deutschen Werftenkrise
kam der spätere
Bundeskanzler
Willy Brandt 1965
nach Hamburg
Im Rahmen der deutschen Werftenkrise kam der spätere Bundeskanzler Willy Brandt 1965 nach Hamburg © Howaldtswerke Hamburg AG
Am 5. Juni 1954 lief der Riesentanker „AlMalik
Saud AlAwal“
vom Stapel. Dabei
waren auch Athena und Aristoteles Onassis (beide l.) mit ihren Kindern Christina
und Alexander sowie die Fürstin von Bismarck als Taufpatin.
Am 5. Juni 1954 lief der Riesentanker „AlMalik Saud AlAwal“ vom Stapel. Dabei waren auch Athena und Aristoteles Onassis (beide l.) mit ihren Kindern Christina und Alexander sowie die Fürstin von Bismarck als Taufpatin. © Howaldtswerke Hamburg AG
Zwei Männer arbeiten an den
Nietlöchern
Zwei Männer arbeiten an den Nietlöchern © Howaldtswerke Hamburg AG
Auch die „Esso Deutschland“ (1963)
wurde im Hamburger Hafen gebaut
Auch die „Esso Deutschland“ (1963) wurde im Hamburger Hafen gebaut © Howaldtswerke Hamburg AG
1956 besuchte der
indische Premier
Jawaharlal Nehru
die Howaldtswerke
in Hamburg
1956 besuchte der indische Premier Jawaharlal Nehru die Howaldtswerke in Hamburg © Howaldtswerke Hamburg AG
Vom deutschen Wirtschaftswunder beflügelt, wurden bei den Howaldtswerken in Hamburg die weltweit größten Schiffe gebaut
Vom deutschen Wirtschaftswunder beflügelt, wurden bei den Howaldtswerken in Hamburg die weltweit größten Schiffe gebaut © Howaldtswerke Hamburg AG
Werftarbeiter arbeiten an der
„Esso Spain“
Werftarbeiter arbeiten an der „Esso Spain“ © Howaldtswerke Hamburg AG
Im Juni 1953 wurde die „Tina Onassis“ getauft, seinerzeit das größte Tankschiff der Welt
Im Juni 1953 wurde die „Tina Onassis“ getauft, seinerzeit das größte Tankschiff der Welt © Howaldtswerke Hamburg AG
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In den Erinnerungen von Kapitän Schröder heißt es dazu: „Ich hatte jetzt die traurige Pflicht, meinen Passagieren reinen Wein einzuschenken über die Aussichtslosigkeit einer Landung in Amerika (...)“

Überall an Bord trafen ihn fragende Blicke, wie es nun weitergehe. „Es roch nach Verzweiflung und Panik.“ Während die einzigen fröhlichen Menschen an Bord die Kinder waren, kam es bei den Erwachsenen zu Nerven­zusammenbrüchen und Suiziden. Die Furcht, vor allem der früheren KZ-Häftlinge, war kaum mit Worten zu beschreiben. Gustav Schröder erinnert sich an ein Gespräch mit einem jüdischen Passagier. Der sagte zu ihm: „Wenn Sie mit dem Schiff heil bis Cuxhaven hineinkommen, dürfen Sie wohl etwa 100 Kabinen leer vorfinden, denn wir fürchten das KZ mehr als den Tod.“

Kapitän Gustav Schröder versuchte, die
937 Juden an Bord zu retten
Kapitän Gustav Schröder versuchte, die 937 Juden an Bord zu retten © Eigel Wiese

Eine Zeit lang hatte der Kapitän sogar erwogen, das Schiff vor der englischen Küste bewusst auf Grund zu setzen, um so eine Rettungsaktion in die Wege zu leiten. Doch es kam schließlich ganz anders: Die Migranten konnten in Antwerpen ans Land gehen. Gut ein Viertel von ihnen bekam in England Asyl. Sie überlebten. Zwei Drittel wurden auf Belgien, Frankreich und die Niederlande verteilt. Später gelangten die meisten von ihnen in die Fänge der Nazis und wurden ermordet. Schröder notierte: „Der Gedanke, dass es Menschen gegeben hat, die erst im KZ waren, dann die Passionsfahrt der ,St. Louis‘ mitmachten, um schließlich im KZ elendig zu verenden, ist mehr als bedrückend.“

Hans-Peter Etzold, der Initiator der historischen Website, sieht in der verzweifelten Suche der verfolgten jüdischen Deutschen nach Asyl etliche Parallelen zur Flüchtlingskrise von heute. „Denn Hass auf andere und Gleichgültigkeit gegenüber Flüchtlingen sind fast 80 Jahre später immer noch verbreitet“, sagt er.

Für seinen Einsatz und die Kooperation mit dem jüdischen Bord-Beirat wurde Gustav Schröder 1957 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Israel hat ihn in Yad Vashem in den Kreis der „Gerechten unter den Völkern“ aufgenommen. In Langenhorn ist der Kapitän-Schröder-Weg nach ihm benannt. Zudem gibt es an den Landungsbrücken eine Gedenktafel.

Mehr Informationen unter http://www.natuerlich teambuilding.de/heimatlos-auf-hoher-see