Um neue Kunden zu gewinnen, veranstaltet Jennifer Hinze eine Cake-Party und ändert die Öffnungszeiten. Teil sechs der Serie.

Der frühe Hahn fängt das Ciabatta. Obwohl Jennifer Hinze, 34, ihren Laden erst vor 45 Minuten aufgemacht hat, sind ihre belegten Ciabatte fast alle weg. „Ich hatte noch keine Zeit, welche nachzumachen, weil so viel zu tun ist“, sagt Jennifer entschuldigend, während sie auf einem Teller Croissants mit hausgemachter Marmelade und Nuss-Creme anrichtet, Mandel-Milch für den Kaffee aufschäumt und ein Ciabatta mit Rote-Beete-Creme bestreicht. Gerade eben ist einer ihrer Stammkunden in den Laden gekommen und hat ein Brot bestellt, zwei weitere Gäste sitzen schon im hinteren Raum und warten auf ihr Frühstück. Jennifer läuft hin und her, bedient, räumt ab, kassiert, nimmt telefonisch Reservierungen entgegen.

Sie will sich gerade entschuldigen, dass sie keine Zeit zum Reden hat. Dass so viel los ist. Doch dann bricht sie mitten im Satz ab. „Großartig, oder“, sagt sie. Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung. Fast ein Freudenschrei. Schließlich sah es beim letzten Mal alles noch ganz anders aus. Beim letzten Mal, als das Abendblatt über Jennifer und ihr neu eröffnetes veganes Feinkostgeschäft „Grete Schulz“ mit angeschlossenem Café berichtet hatte. Als die Umsätze nach dem Weihnachtsgeschäft eingebrochen waren. Als der Laden im Januar so schlecht lief, dass Jennifer Angst hatte, ihre laufenden Kosten nicht decken zu können. Gerade einmal drei Wochen ist das jetzt her. Doch die Existenzsorgen vom letzten Mal sind erst mal gegessen. So wie das Ciabatta.

„Ein paar Tage habe ich echt an mir gezweifelt“

Probieren geht über Ignorieren. Vor ein paar Tagen hatte Jennifer zusammen mit einem Stammkunden die Idee, bekannte Redewendungen für ihre Internetseite abzuwandeln und mit einem Foto von ihren jeweiligen Tagesgerichten im Internet zu veröffentlichen. „Da soll noch mal einer sagen, mein Marketing ist scheiße“, sagt Jennifer und lacht. Das kann sie jetzt wieder. Lachen. Lachen über die Kritiker, die ihr nach dem letzten Artikel fast den Laden eingerannt haben. Die ihr erzählt haben, was sie alles falsch macht. Die ihr einreden wollten, dass nur sie und ihr schlechtes Marketing schuld an der prekären Situation im Januar seien. Die sie mit Ratschlägen überschüttet haben. Und die sich für ihre Arbeit teuer bezahlen lassen wollten. „An einem Tag war es so schlimm, dass ich es im Laden nicht mehr ausgehalten habe“, sagt Jennifer und erzählt, dass sie in ein anderes Café gegangen sei, um ein bisschen in Ruhe am Laptop arbeiten zu können – und dabei gemerkt habe, dass es dort genauso leer war wie bei ihr im Laden.

Das hat ihr Mut gemacht. Hoffnung. „Ein paar Tage habe ich echt an mir gezweifelt“, sagt sie ehrlich. Gezweifelt an sich und ihrer Entscheidung, ihren sicheren Job zu kündigen und sich selbstständig zu machen. „Wenn du ständig zu hören bekommst, dass du alles falsch machst, glaubst du es irgendwann selbst“, sagt Jennifer. Und obwohl sie sich vorgenommen hat, sich von der Kritik nicht runterziehen zu lassen, belasten die Reaktionen der vergangenen Wochen sie immer noch sehr. „Nur weil ich ehrlich gesagt habe, was Sache ist“, sagt sie. „Soll ich nächstes Mal lieber lügen?“ Es ist eine rhetorische Frage, die Antwort schickt sie gleich hinterher. „Ich will mich nicht verbiegen. Und mir auch nicht vorschreiben lassen, was ich zu sagen habe. Ich werde auch weiterhin zugeben, wenn was nicht klappt – oder ich einen Fehler gemacht habe.“ Sie hat sich in Rage geredet, spricht schneller und schneller.

„Ich will keinen Perfektionismus vorgaukeln, um akzeptiert zu werden. Sondern authentisch sein. Und dazu gehört auch, über Misserfolge zu sprechen.“ Und ihre Zahlen offenzulegen. Das hat sie von Anfang an getan, das zeichnet sie aus. Und das macht sie einmalig in einer Welt, in der man über Geld angeblich nicht spricht. Jennifer schon. „Was wollt ihr wissen?“, fragt sie. Die Umsätze vom Januar? 9000 Euro waren es. Mehr als erwartet. „Und das im Januar, der ja bekanntlich der schlechteste Monat in der Gastronomie ist!“ Trotzdem, oder gerade deswegen: Sie hat den Januar genutzt, um Grete Schulz neu zu strukturieren und die Abläufe zu optimieren.

Suppenstund hat Brot im Mund

Suppenstund hat Brot im Mund. Mittags, wenn im Laden viel los ist, ist Jennifer meistens mit ihrer Mitarbeiterin Duygu im Laden. Doch die übrigen Zeiten haben sie jetzt unter sich aufgeteilt und ein Schichtsystem eingeführt. Mit Früh- und Spätschicht, die sie wochenweise untereinander wechseln. Von 8 bis 15 Uhr und von 13 bis 20 Uhr. „Ich habe einfach gemerkt, dass ich auf Dauer keine 15 oder 16 Stunden pro Tag arbeiten kann“, sagt Jennifer.

Es war hart, sich das einzugestehen. Zurückzustecken. Und die Verantwortung auch mal abzugeben. Und noch was ist neu: Grete Schulz öffnet jetzt erst um 9 Uhr – nicht mehr um 7.30 Uhr, wie in der Anfangszeit. „Das hat sich leider nicht gelohnt, zu der Zeit sind kaum Kunden gekommen“, sagt Jennifer. Sie will flexibel sein. Will nicht aus Bequemlichkeit an festgefahrenen Strukturen festhalten, sondern kurzfristig auf die Kunden reagieren – und die Öffnungszeiten anpassen. Und das bedeutet auch: Künftig keinen Ruhetag mehr zu machen, sondern den Laden auch montags zu öffnen. Auf Wunsch der Kunden.

Vor dem Essen sollst du ruhen, und dann 1000 Schritte zu Grete tun. Jennifer hat sich kurz hingesetzt, um selbst zu frühstücken, als die nächsten Gäste den Laden betreten. Mutter und Tochter. „Die kommen ganz aus Finkenwerder, nur um hier zu frühstücken“, sagt Jennifer. Stolz. Weil sie inzwischen einige Kunden hat, die aus Buchholz oder Bad Segeberg extra zu ihr nach Eimsbüttel fahren. Wegen ihrer selbst gemachten Antipasti, ihrer Karotten-Ingwer-Suppe und dem Aubergine-Kichererbsen-Salat. Wegen der Ciabatte mit Humus und Ofenkürbis, dem Happy-Cheeze und ihren selbst gebackenen Kuchen. Natürlich vegan! Zusammen mit ihrer Freundin Ines Pfisterer, die unter dem Namen „Schneewittchen“ vegane Backkurse veranstaltet, organisiert Jennifer jetzt sogar eine Cake-Party. Am Sonntag, den 13. März, ab 16 Uhr gibt es dann bei Grete Schulz im Stellinger Weg 38a ein Kuchenbüfett zum Festpreis von 15 Euro.

Gemüse ist mein Gemüse

Kennst du einen, kennst du nicht alle. Die Kuchen-Party ist eine von vielen Ideen, die Jennifer hat und in den nächsten Wochen umsetzen will. Was noch dazu gehört? Eigene Taschen zum Beispiel. Stoff-Beutel mit dem Grete-Logo. Auf die Idee hat sie eine Stammkundin gebracht, die sich den Grete- Schriftzug sowie die beiden Blätter selbst auf einen Jute-Beutel gemalt hat. Ihr größter Wunsch, ihre Vision, wäre aber ein Stand auf dem Wochenmarkt. Ein Verkaufswagen mit pflanzlicher Feinkost, mit dem sie verschiedene Wochenmärkte anfahren könnte – und mit dem die Geschichte von Grete Schulz einst begonnen hat.

Bereits 2013 hatte sie darüber nachgedacht, sich mit einem Wochenmarktstand selbstständig zu machen. Sie hatte sogar schon eine Mietküche gesucht und Verkaufswagen besichtigt – den Plan dann aber wieder verworfen. „Weil die Kosten für ein paar Stunden in der Mietküche so dermaßen hoch waren, dass ich für das gleiche Geld einen eigenen Laden anmieten konnte“, hat Jennifer, ganz die Betriebswirtin, errechnet.

Trotzdem: Der Traum ist geblieben und fast noch einfacher zu realisieren, als damals. „Schließlich habe ich jetzt schon eine eigene Küche und müsste mich nirgendwo mehr einmieten“, sagt sie. Blieben also nur noch die Kosten für einen Verkaufswagen. Rund 70.000 Euro sind das. Unerreichbar. Im Moment. „Aber vielleicht in ein oder zwei Jahren“, sagt Jennifer. Wenn sich Grete Schulz etabliert hat und der Laden läuft. Wenn die Umsätze stimmen und sie damit sowohl ihre laufenden Kosten decken als auch den Kredit tilgen kann. Wenn ... Der Rest des Satzes hängt in der Luft wie der Geruch von frischem Kaffee. Jennifer steht auf. Die nächsten Kunden kommen in den Laden. Sie muss neue Ciabatte machen und etwas für das Wochenende vorbereiten. Einen passenden Spruch hat sie sich auch schon ausgedacht: Gemüse ist mein Gemüse.