Hamburg. An 36 der 57 Stadtteilschulen werden Stunden in Geschichte, Geografie und Politik teilweise fachfremd gegeben.

Als Anfang 2014 bekannt wurde, dass 15,1 Prozent der Mathematikstunden in den Klassen fünf bis zehn an den Stadtteilschulen nicht von ausgebildeten Mathelehrern gegeben werden, war die Aufregung groß. In Ländervergleichsstudien schneiden Hamburger Schüler in Mathematik regelmäßig unterdurchschnittlich ab. Schulsenator Ties Rabe (SPD) startete als Konsequenz die „Mathematik-Initiative“, und seit Beginn dieses Schuljahres dürfen von Klasse sieben an keine Mathestunden mehr von fachfremden Lehrern erteilt werden. Vom übernächsten Schuljahr an sind Mathelehrer von Klasse fünf an vorgegeben.

Jetzt stellt sich heraus, dass auch im Lernbereich Gesellschaftswissenschaften häufig keine für die Fächer ausgebildeten Lehrer unterrichten. Und wieder sind die Stadtteilschulen besonders stark betroffen. Laut Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein erteilen an 36 der 57 Stadtteilschulen zum Teil nicht dafür ausgebildete Lehrer den Unterricht in Politik, Geschichte und Geografie, den Gesellschaftswissenschaften.

An manchen Schulen handelt es sich um wenige Klassen, an anderen zieht sich diese Praxis von Stufe fünf bis zehn durch. An der Stadtteilschule Lohbrügge sind es 21 Klassen – mehr als die Hälfte der sechs- bzw. siebenzügigen Schule. Auch an den Stadtteilschulen Gretel Bergmann (Allermöhe), Otto Hahn (Jenfeld), Alter Teichweg (Dulsberg) sowie Bramfeld und Wilhelmsburg werden 13 oder mehr Klassen fachfremd in dem Lernbereich gegeben. Dagegen haben nur neun der 60 Gymnasien angegeben, dass in Einzelfällen nicht studierte Geschichts-, Geografie- oder Politiklehrer in den entsprechenden Fächern unterrichten.

Auffällig ist die bei sehr vielen Stadtteilschulen wiederkehrende Begründung „Unterricht durch Klassenlehrkraft“ für den Verzicht auf das Fachpersonal. Der stellvertretende Schulleiter der Stadtteilschule Lohbrügge, Thomas Mand, erläutert den Hintergrund. „In den Klassen fünf bis sieben arbeiten wir mit zwei Klassenlehrern pro Klasse“, sagt Mand. „Weil wir im Unterschied zu manchen Gymnasien sehr heterogene Schülergruppen haben, steht die pädagogische Betreuung der Kinder im Vordergrund.“

Gerade nach dem Wechsel von der Grund- auf die weiterführende Schule und der möglichen Trennung von Freunden sei es wichtig, persönlichen Kontakt und emotionale Bindungen zu den Schülern aufzubauen. Ein Schlüssel zum Erfolg aus Sicht Mands: In den unteren Klassen sollen möglichst wenig wechselnde Lehrer den Unterricht bestreiten. So geben die beiden Tutoren in der Regel jeweils „ihre“ beiden Fächer in der Klasse. „Wir setzen Tutoren zum Beispiel dann ein, wenn sie auch ohne Studium langjährige Erfahrung im Fach Gesellschaft haben, das sie dann in der Klasse auch unterrichten“, erläutert Mand.

Der stellvertretende Schulleiter weist darauf hin, dass die Zahl von 21 fachfremd unterrichteten Klassen an seiner Schule lediglich eine Momentaufnahme sei. „Im nächsten Jahr können es schon weniger sein. Wir versuchen, in den höheren Klassen Fachlehrer einzusetzen, weil die fachlichen Anforderungen dann auch höher sind“, so Mand.

Die FDP-Schulpolitikerin
Anna von
Treuenfels-Frowein
ist stellvertretende
Bürgerschaftsfraktionschefin
Die FDP-Schulpolitikerin Anna von Treuenfels-Frowein ist stellvertretende Bürgerschaftsfraktionschefin © Jürgen Joost | Jürgen Joost

FDP-Schulpolitikerin von Treuenfels-Frowein wird grundsätzlich. „Hamburg und Deutschland erleben zurzeit eine politische Polarisierung wie schon lange nicht mehr“, sagt die Liberale. „Umso wichtiger ist daher ein qualitativ hochwertiger Schulunterricht in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern.“ Dort werde grundlegendes Wissen über die Demokratie und Debattenkultur gelernt.

„Wie kann es Schulsenator Rabe zulassen, dass an fast zwei Dritteln aller Stadtteilschulen im Lernbereich Gesellschaftswissenschaften in teilweise erheblichem Umfang fachfremd unterrichtet wird?“, fragt sie. Rabe dürfe das, was als Ausnahme gerechtfertigt sein mag, nicht zur Regel werden lassen. „Wir fordern ein Konzept ähnlich wie die Mathematik-Initiative, um diesen bedenklichen Trend umzukehren.“

Dazu wird es wohl nicht kommen, weil es in der Schulbehörde durchaus Verständnis für die Praxis der Stadtteilschulen gibt, in den unteren Klassen möglichst wenige Lehrer als Bezugspersonen einzusetzen. „Eine stärkere Fachlichkeit in den Gesellschaftswissenschaften an den Stadtteilschulen, insbesondere in den höheren Klassenstufen, ist sinnvoll, allerdings müssen die Voraussetzungen der jeweiligen Schülerschaft berücksichtigt werden“, sagt Behördensprecher Peter Albrecht.