Es sind Schätze der Weltkultur, die in Hamburger Museen bewahrt werden. Wir stellen sie vor. Teil 5: Museum für Kunst und Gewerbe.
James Craig Annan: Kleine Prinzessin, 1895
Nicht zufällig wirkt diese Fotografie des Briten James Craig Annan wie ein Gemälde. Wie auch die Vertreter der amerikanischen Photo Secession war Annan von den oft symbolistisch aufgeladenen Gemälden der Präraffaeliten beeinflusst. Diese Künstlergruppe, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts in England zusammengefunden hatte, orientierte sich an Meistern der italienischen Frührenaissance. „Kleine Prinzessin“ hat Annan dieses Porträt aus dem Jahr 1895 genannt, das nicht einfach nur das Bildnis eines Mädchens ist, sondern vielfältige Bezüge aufweist. So hat er seinem Modell eine Pfauenfeder in die Hand gegeben, die als vieldeutiges Attribut zu verstehen ist. Einerseits gilt sie als Symbol für Schönheit und Reinheit, andererseits aber auch als Hinweis auf eine jenseitige, göttliche Sphäre. Zurzeit ist diese meisterhafte Fotografie, die zur Sammlung des MKG gehört, in der Ausstellung „Von Maria zu Salome“ zu sehen, die parallel zur Jugendstil-Schau läuft.
Oskar Kokoschka: Fächer (1913)
Als Oskar Kokoschka 1912 die Witwe des Komponisten Gustav Mahler kennenlernte, ahnte er noch nicht, wie schicksalhaft das Verhältnis zu ihr werden würde. Zunächst entwickelte sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, von der nicht nur zahllose Briefe zeugen, die Kokoschka Alma Mahler täglich schrieb, sondern auch sechs mit Tusche bemalte Fächer. „Meine Fächer sind Liebesbriefe in Bildsprache“, hat der Maler zu jenen zarten Kunstwerken geschrieben, von denen das Museum für Kunst und Gewerbe alle noch erhaltenen sechs Exemplare besitzt. Der dritte Fächer, den unser Bild zeigt, stammt aus dem Jahr 1913. Im mittleren Bild ist ein Liebespaar in enger Umarmung zu sehen. Die Szenen links und rechts davon beschwören die glücklichen Erinnerungen an eine gemeinsame Italienreise. Doch die Beziehung hielt nur bis 1915, dann trennte sich Alma von Kokoschka. Sie heiratete nun den Architekten Walter Gropius und nach der Scheidung von ihm den Schriftsteller Franz Werfel.
Abendblatt-Serie: 50 Meisterwerke
Monogrammist I.P.: Gliedermann (um 1525)
Ganze 24 Zentimeter hoch ist dieser Gliedermann, der den vollkommenen Menschen darstellen soll. Ein unbekannter Künstler, von dem nur das Monogramm I.P. überliefert wurde (ein sogenannter Monogrammist), hat die Figur mit beweglichen Gliedern um 1525 in Passau aus Buchsbaumholz gefertigt. Trotz seiner geringen Größe ist jedes Detail des Körpers genau ausgeführt. Man glaubt, jeden Muskel sehen zu können. Offenbar hat sich der Künstler an den Proportionsstudien von Albrecht Dürer orientiert. Wozu diente diese äußerst aufwendige Figur? Dass sie als Modell in einem Künstleratelier genutzt wurde, ist wenig wahrscheinlich. Die kostbare Verarbeitung und nicht zuletzt auch der Lorbeerkranz, den der Gliedermann voller Würde trägt, deuten darauf hin, dass wir es hier mit einem Objekt zu tun haben, das eigens für eine fürstliche Kunstkammer geschaffen wurde.
Kunst- und Wunderkammern sind die Vorgänger unserer heutigen Museen. Meist waren es Fürsten, später auch wohlhabende Bürger, die seit der Spätrenaissance damit begannen, Kunstgegenstände und Naturalien zu sammeln und in speziellen Räumen zu präsentieren. Herausragende Beispiele göttlicher Schöpfung und menschlicher Erfinderkraft sollten auf diese Weise die kosmische Ordnung im Kleinen zum Ausdruck bringen und die Welt gewissermaßen in einem überschaubaren System begreiflich werden lassen. Anders als im Mittelalter, als das Leben ganz und gar auf das Jenseits orientiert war, rückte mit dem Beginn der Neuzeit der Mensch mit seinem geistigen Potenzial, aber auch mit seiner Körperlichkeit in den Fokus.
Künstler vermaßen den Menschen und entwickelten ein System der idealen Proportionen. Aber es ging nicht nur um Schönheit und Ebenmaß, sondern auch darum, den Geheimnissen des Lebens und dessen Begrenzungen auf die Spur zu kommen. Deshalb begannen Künstler und Mediziner auch heimlich damit, das Innere des menschlichen Körpers zu erforschen. Sie sezierten Leichen, trieben anatomische Studien und versuchten dabei zu begreifen, welchen natürlichen Gesetzmäßigkeiten der Mensch unterworfen war. Sei es als Gegenstand von Aktstudien oder wissenschaftlicher Neugier – in der Neuzeit war der nackte Mensch kein Tabu mehr, sondern rückte ins Zentrum des Interesses.
Katsushika Hokusai: Die große Welle vor Kanagawa (um 1830):
Katsushika Hokusai war ein Meister des Farbholzschnittes und einer der bedeutendsten japanischen Künstler des 19. Jahrhunderts. Zwischen 1830 und 1832 schuf er die Serie „Die 36 Ansichten des Fuji-Berges“. Das Blatt „Die große Welle von Kanagawa“, das aus dieser Serie stammt, wurde weltberühmt. Wahrscheinlich ist es das bekannteste japanische Kunstwerk überhaupt. Nachdem Japan sich über 200 Jahre lang in einer selbst gewählten Isolation befunden hatte, rückte die Kunst des fernöstlichen Landes, das sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts auf Druck der westlichen Mächte geöffnet hatte, in den Fokus Westeuropas. Nicht nur Porzellan, sondern auch Objekte aus Lack, Metall oder Bambus, vor allem aber die Farbholzschnitte begeisterten die europäische Öffentlichkeit. Mit ihrer Abstraktion, der Flächigkeit der Darstellung, aber auch der Linienführung, die floralen Vorbildern entlehnt war, beeinflusste diese Kunst besonders den Jugendstil.
Lavinia Schulz, Walter Holdt: Toboggan B (um 1923):
Fasziniert verfolgte das Publikum die beiden Tänzer, die sich mit enormer Ausdruckskraft bewegten, aber unter ihren den ganzen Körper bedeckenden Masken als Personen nicht mehr zu erkennen waren. Die Aufführungen von Lavinia Schulz und Walter Holdt gehörten in den 1920er-Jahren in Hamburg zu den absoluten Höhepunkten einer künstlerischen Szene, die radikal mit der Vergangenheit gebrochen hatte und mit einem kollektiven Tabubruch nach völlig neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchte. Das Leben der Tänzer endete jedoch tragisch: Nach sechs Wochen ohne Engagement war das Paar fast am Verhungern. Nach einem Streit erschoss Lavinia Schulz am 18. Juni 1924 erst ihren Mann und dann sich selbst. Das noch nicht einjährige Kind blieb zurück. Die Masken, die später in den Besitz des Museums für Kunst und Gewerbe gelangten, gehören jetzt zu den eindrucksvollsten Exponaten der Sammlung Moderne.