Hamburg. Der Konflikt zwischen Mongols und Hells Angels wird zum Rockerkrieg. Auf der Reeperbahn wird ein Taxi beschossen. Drei Männer verletzt.

Es hatte sich in den vergangenen Wochen schon angebahnt, in der Nacht zum Dienstag ist es nun passiert. Auf dem Kiez haben sich, während Tausende Nachtschwärmer auf den Beinen waren, Angehörige der Hells Angels und der Mongols offen bekriegt. Zwei Mongols, die zusammen mit ihrem Präsidenten Kevin S. auf der Holstenstraße in ein Taxi geflüchtet waren, erlitten Schussverletzungen. Am Taxi zählte die Polizei später sieben Einschusslöcher. Beamte nahmen kurz nach den Schüssen zwölf Männer aus dem Umfeld der Hells Angels fest. Das Milieudezernat hat die Ermittlungen übernommen.

Seit Monaten gibt es Spannungen zwischen Hells Angels und Mongols

Von einem Rockerkrieg mochte in Hamburg in den vergangenen Monaten niemand reden. Auch wenn es in der Szene immer wieder zu spektakulären Vorfällen kam. So explodierte Ende Oktober in einem Innenhof an der Hoheluftchaussee eine an dem Lamborghini des damals amtierenden, mittlerweile in Haft sitzenden Mongols-Präsidenten Erkan U. angebrachte Handgranate. Der Fall ist ungeklärt. Später wurde Erkan U. in seiner Wohnung überfallen und zusammengeschlagen. Als Täter verhaftete die Polizei einen Mongols-Rocker, der vermutlich zu den Hells Angels überlaufen wollte, sowie zwei Helfer.

Chronologie des Rockerkriegs in Hamburg

Juli 2015

Das Mobile Einsatzkommando landet mit einem Hubschrauber auf dem Dach des Penthouses von Erkan U. an der Hoheluftchaussee und stürmt die Wohnung – auf der Suche nach einer Schusswaffe.

Oktober 2015

Im Oktober explodiert eine Handgranate unter dem Lamborghini des Mongols-Präsidenten Erkan U. – wieder an der Hoheluftchaussee.

November 2015

Schaulaufen von Mongols und Bandidos in Kutten auf der Reeperbahn. Ermittler der Polizei werten die Aktion in erster Linie als Provokation – inoffiziell gilt der Hamburger Kiez als Gebiet der Hells Angels.

November 2015

Tage später wird Erkan U. von einem Rollkommando in seinem Penthouse überfallen und verprügelt. Dabei stehlen ihm die Angreifer seine Präsidenten-Lederkutte, ziehen sie an der Reeperbahn einem Transvestiten an, der damit schließlich vor Susis Showbar an der Großen Freiheit tanzt – eine Demütigung, die per Handyvideo über Facebook verbreitet wird.

Anfang Dezember 2015

Anfang Dezember wird der bis dahin "amtierende" Hamburger Mongols-Präsident Erkan U. vom Mobilen Einsatzkommando in seinem Penthouse verhaftet. Stunden später übernimmt Kevin S. dessen Rolle.

Mitte Dezember 2015

Die Polizei stürmt und durchsucht zehn Wohnungen und verhaftet drei Mongols-Rocker.

28. Dezember 2015

Am Montag nach Weihnachten wird in der Nähe der Reeperbahn auf ein Taxi geschossen. Dabei werden zwei Mitglieder der Mongols verletzt. Der Chef der Hamburger Gruppe, Kevin S., bleibt unverletzt. Ein weiterer Rocker bricht sich bei der Flucht einen Fuß. Die Polizei nimmt in der Folge zwölf Mitglieder der Hells Angels fest, muss sie aber wieder auf freien Fuß setzen.

2. Januar 2016

Bei einer Messerstecherei am frühen Morgen des 2. Januar wird ein Mitglied der Mongols schwer verletzt. Das Opfer ist nach Abendblatt-Informationen der 26 Jahre alte Hidi G., der schon bei dem Angriff auf ein Taxi an der Reeperbahn vor einer Woche einen Prellschuss erlitten hatte. Am Abend des selben Tages stürmt das Mobile Einsatzkommando (MEK) der Polizei Wohnungen unter anderem in Jenfeld, Horn und Billstedt sowie den Saunaclub „Atmos“ in Harburg - ohne aber Mitglieder der Hells Angels anzutreffen.

4. Januar 2016

Die Hamburger Polizei gründet die "Soko Rocker" mit 50 Beamten, um der eskalierenden Gewalt zwischen mit Mongols und Hells Angels entgegen zu treten. Unter anderem sollen Szenetreffs beobachtet und ein Verbot der Mongols geprüft werden.

12. Januar 2016

Hamburger Beamte nehmen drei Männer fest, die verdächtigt werden, am 2. Januar ein Mitglied der Mongols niedergestochen zu haben.

19. Januar 2016

Großrazzia in Norddeutschland: Die "Soko Rocker" nimmt zwei Hells-Angels-Mitglieder im Alter von 35 Jahren fest. Insgesamt 20 Durchsuchungsbeschlüsse im Norden wurden vollstreckt. 250 Beamte waren im Einsatz.

2. Februar 2016

Die "Soko Rocker" stürmt eine Werkstatt am Billwerder Steindamm, die offenbar einem Hells Angels-Mitglied gehört. Verdacht: Gewerbsmäßige Hehlerei mit Autoteilen. Die Beamten haben Tausende offensichtlich gestohlene BMW-Autoteile sichergestellt, die in der Halle gelagert wurden.

2. Februar 2016

Die "Soko Rocker" nimmt zwei Männer in Haft, die dringend tatverdächtig des schweren gemeinschaftlichen Raubs sind. Das Opfer des Raubes wird ebenfalls wegen eines ausstehenden Haftbefehls verhaftet.

3. Februar 2016

Die "Soko Rocker" stürmt acht Wohnungen in Hamburg und Norddeutschland. Ein 28 Jahre alter Iraner wurde bei dem Einsatz festgenommen. Es wurde unter anderem eine geladene Maschinenpistole gefunden und sicher gestellt.

5. Februar 2016

Die Polizei durchsucht fünf Wohnungen in Schnelsen und Eidelstedt und verhaftet einen weiteren Tatverdächtigen des Raubs vom 2. Februar.

11. Februar

Die "Soko Rocker" verhaftet einen weiteren Tatverdächtigen im Zusammenhang mit dem Raub vom 2. Februar, außerdem werden zwei Wohnungen in St. Georg und Billstedt durchsucht.

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Jetzt die Eskalation. Am Montagabend traf sich ein Dutzend Mongols im Restaurant Schweinske an der Reeperbahn. Hells Angels sollen sich, so hieß es in der Szene, zusammengerottet haben, um die Mongols im Lokal zu stellen. Der Auftritt der verfeindeten Rocker im „Wohnzimmer“ der „Höl­lenengel“ dürfte als Provokation angesehen worden sein. Als drei der Mongols, darunter der neue Präsident Kevin S., vor die Tür gingen, um zu rauchen, kamen wohl die Hells Angels.

Die drei Rocker rannten quer über die große Kreuzung am Ende der Reeperbahn in Richtung Endo-Klinik an der Holstenstraße. Dort sprangen sie in ein Taxi, dessen Fahrer gerade seine „Kiezrunde“ machte. Der Mann sah sich unversehens im Kugelhagel. Aus nächster Nähe feuerte ein noch unbekannter Schütze mindestens sieben Schüsse auf die Beifahrerseite des Taxis ab, die die hintere und die Beifahrertür des Fahrzeugs durchschlugen. Eine Kugel traf den Mongol Hidayet K. in den Rücken im Bereich der Niere. Unter Notarzt­begleitung wurde der 28-Jährige ins Krankenhaus gebracht. Lebensgefahr besteht für ihn nicht.

Ein zweiter Mongol, 26, erlitt einen sogenannten Prellschuss. Die Geschwindigkeit der Kugel war nach dem Durchdringen der Autotür so weit abgeschwächt, dass der Mann lediglich einen dicken blauen Fleck erlitt. Kevin S. und der Taxifahrer blieben unverletzt. Ein dritter Mongol wurde verletzt, als er mit seinen Kumpels aus dem Schweinske flüchtete – er brach sich beim Überspringen eines Zauns ein Bein.

Aussagen der beteiligten brachte die Polizei kein Stück weiter

46 Polizeiwagen rückten zur Fahndung aus. Binnen weniger Minuten konnten drei Fahrzeuge gestoppt werden, in denen Hells Angels saßen. Weitere Angehörige der Rockergruppe, die zu Fuß weggelaufen waren, wurden ebenfalls gestellt. Insgesamt nahm die Polizei zwölf Männer fest, von denen zehn einwandfrei als „Member“ der Hells Angels identifiziert wurden. In einem Auto an der Schomburgstraße wurde eine scharfe Schusswaffe gefunden. An der Holstenstraße stellten Polizisten ein Messer sicher.

Danach wurde es für die Polizei schwierig. Keiner der Festgenommenen machte gegenüber den Ermittlern eine Aussage. Die Polizei weiß nicht, wer der Schütze ist. Die Mongols, in diesem Fall als Opfer geführt, machten ebenfalls keine Angaben. Auch die Aussage des unter Schock stehenden Taxifahrers brachte die Polizei nicht weiter.

Am Dienstagnachmittag hieß es im Polizeipräsidium, dass die festgenommenen „Höllenengel“ wieder auf freien Fuß gesetzt werden müssen. „Das werden langwierige Ermittlungen“, sagte ein Beamter. Jetzt stehen kriminaltechnische Untersuchungen an. Bereits in der Nacht war der Tatort mit einem 3-D-Scanner vermessen und die Umgebung akribisch abgesucht worden. Die gestoppten Autos der Hells Angels sind ebenfalls sichergestellt worden und sollen untersucht werden.

Die Rockerclubs

Ihre WurzelnIhre Wurzeln haben die Motorradclubs in den USA. Die Hells Angels gründeten sich 1948 in Kalifornien, 1969 folgten die Mongols. Erste Mitglieder waren Latinos, die wegen ihrer Herkunft nicht bei den Hells Angels aufgenommen wurden.

Die Hells Angels Die Hells Angels haben sogenannte Charter in 32 Ländern. In Deutschland wurde Anfang der 70er-Jahre in Hamburg der erste Hells Angels Club gegründet. 1983 wurde das Hamburger Charter als kriminelle Vereinigung verboten, es gibt sie trotzdem weiter. Sie bezeichnen sich als „Rot-Weiß“, nach den Clubfarben.

Die MongolsDie Mongols kamen 2010 nach Deutschland. Angehörige des mhallami-libanesischen Miri-Clans gründeten den deutschen Ableger in Bremen. 2011 wurde der Motorradclub dort verboten. Seit 2014 sind die Mongols in Hamburg aktiv. Im Rotlichtgeschäft mischen sie bislang nur am Rande mit. Insider glauben, dass sie sich weiter ausbreiten wollen, wodurch sich die Konflikte mit den Hells Angels zuspitzen.

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Milieu-Experte rechnet mit Rache der Mongols

Das Motiv für die Schüsse ist unklar. In der Rockerszene wurde eine Schlägerei in einem Schnellrestaurant auf dem Kiez als möglicher Grund für die jetzt noch brutaler verlaufende Auseinandersetzung genannt. Ermittler schließen nicht aus, dass der Einsatz einer Pistole eine „Kurzschlusshandlung“ war. Vor allem, wenn es um die Hells Angels geht. Sie gelten auf dem Kiez als Strippenzieher, die in vielen einträglichen Geschäften des Rotlichtmilieus mitmischen. Sie haben etwas zu verlieren.

Fakt ist auch, dass die Mongols am Montagabend vorgeführt wurden. Damit sei klar, dass sich die Gruppe rächen werde, sagt Milieu-Experte Jürgen Roth in Frankfurt. "Das wäre das erste Mal, wenn das nicht passieren würde."

Schüsse auf Abtrünnige rief schon 2005 die Polizei auf den Plan

Im Milieu war es seit 2005 ruhiger geworden. Damals ging es um Carsten Marek und seine 85 Köpfe starke Marek-Bande, die um die 150 Frauen kontrolliert und 27 Millionen Euro Umsatz innerhalb weniger Jahre auf dem Kiez gemacht haben soll. Schüsse auf Abtrünnige hatten die Polizei damals auf den Plan gerufen. Innerhalb kurzer Zeit gab es immer wieder Razzien. Die Gruppierung wurde zerschlagen. Carsten Marek kam mit einer Bewährungsstrafe davon und zog sich vom Kiez zurück. Jetzt ist er in seriöser Mission zurück. Als Pächter der legendären Kiezkneipe Zur Ritze.