Hamburg . Serie, Teil 3: Die besten Auszubildenden im Handwerk. Das Gesellenstück von Annelie Heine überzeugt im Bundeswettbewerb.
Konzentriert atmen, keine Zugluft und eine ruhige Hand. Das sind die wichtigsten Dinge, wenn sich Annelie Heine an ihr Werk macht. Sie ist Vergolderin in der Hamburger Galerie und Vergolderei Rüsch an den Colonnaden. Mit einem sogenannten Anschießer trägt sie das hauchdünne Blattgold auf einen Bilderrahmen auf. „Da muss der erste Versuch sitzen“, sagt die 23Jahre alte Gesellin, die das Handwerk so gut beherrscht, dass sie die dritte Bundessiegerin in ihrem Gewerk wurde. Der Anschießer ist ein Pinsel aus Dachs- oder Kamelhaaren, die in eine Pappe gefasst sind.
„So lässt sich der Anschießer leichter handhaben als mit einem schweren Holzgriff“, sagt Heine. Wenn sie damit einmal über ihre Wange streift, ist er elektrostatisch aufgeladen. Dadurch haftet das Blatt Weißgold leicht, wird aber dann vom Rahmen angezogen, der vorher mit einer speziellen Lösung behandelt wurde. Das sorgt für ein zischendes Geräusch, was zum Namen Anschießer führte. „Die handwerklichen Techniken haben sich seit Jahrhunderten nicht geändert, viele Arbeitsschritte sind notwendig, bis das hauchdünne Blattgold poliert werden kann“, sagt ihr Ausbilder und Inhaber der Galerie, Andreas Rüsch.
Eigentlich wollte Heine nach dem Abitur Kunstgeschichte studieren
Eigentlich wollte Heine nach dem Abitur Kunstgeschichte studieren. „Aber das wollen viele, und auch die beruflichen Perspektiven sind nicht gut“, sagt sie. Doch wenn sie schon als Kunsthistorikerin nicht die Kreativität der anderen erforschen kann, wollte sie selbst kreativ sein. „Ich habe gerne gemalt und modelliert“, sagt Heine. In der Lehrstellenbörse der Handwerkskammer stieß sie auf den Ausbildungsberuf Vergolder. „Das musste ich erst einmal googeln“, sagt sie. „Aber die Beschreibung klang vielversprechend.“ Schon einen Tag später stellte sie sich mit ihren Bewerbungsunterlagen bei Andreas Rüsch vor. Ein Praktikum räumte letzte Zweifel aus. Heine wollte Vergolderin werden.
Mit der Ausbildung kennt sich Rüsch aus. Seit mehr als 30 Jahren bildet er Lehrlinge als Vergolder aus. Gerade hat Joana Voll ihr erstes Lehrjahr bei ihm begonnen. Doch die Perspektiven in dem Gewerk sind gar nicht so gut. „Das Problem ist, dass die Bilderrahmen, die wir herstellen, ewig halten“, sagt er. Außerdem sei es gerade in Mode, Bilder ohne Rahmen aufzuhängen. Von den rund zehn Lehrlingen, die er bisher ausgebildet hat, sind lediglich zwei im Beruf geblieben. Nur die Kombination aus Rahmenwerkstatt und Kunstgalerie ermöglicht Rüsch ein Auskommen. Zum neuen Bild kann gleich der passende Rahmen angeboten werden – natürlich auch ohne Gold. Nach seiner Schätzung gibt es noch acht Vergolder in Hamburg, alles kleine Betriebe mit maximal ein bis zwei Mitarbeitern. Rüsch selbst hat noch in einem 25-Mann-Betrieb gelernt.
Doch davon lässt sich Heine nicht abschrecken. „Mir gefällt die Arbeit. bei der man viel Proportions- und Farbgefühl benötigt.“ In ihr Gesellenstück – einem historischen Bilderrahmen mit vielen Ornamenten verziert und natürlich vergoldet – investierte sie viel Zeit: 60 Stunden. Einen Bilderrahmen aus Weymuth-Kiefer oder Ilombaholz zu fertigen erfordert 20 bis 22 Arbeitsschritte und ist fast ausschließlich Handarbeit. Die Ecken werden verleimt, verspachtelt und dann geschliffen. Der Rahmen wirkt so wie aus einem Guss. „Das ist fast ausschließlich Handarbeit“, sagt Rüsch. „Maschinen können wir dafür nicht einsetzen.“ Nicht das dünne Blattgold macht einen Rahmen teuer, sondern die viele Arbeitszeit. So kostet ein 90 mal 100 Zentimeter großer vergoldeter Rahmen rund 1200 Euro. So einen Rahmen herzustellen dauert 20- bis 30-mal länger als ein einfacher Rahmen aus vorgefertigten Rahmenleisten, die nur zugeschnitten werden müssen.
Mit dem Verspachteln der Rahmenecken hatte Heine zunächst Probleme. Die Spachtelmasse aus Papier, Kreide und Knochenleim wird selbst hergestellt und muss die richtige Konsistenz haben. Doch von diesen Anfangsschwierigkeiten ist bei ihrem Gesellenstück nichts zu sehen. Sie schaffte damit beim Landesausscheid den ersten Platz und qualifizierte sich so für den Bundeswettbewerb.
Doch mit dem Gesellenstück beim Bundeswettbewerb auf ein Siegertreppchen zu kommen war schon schwieriger. Denn die Hochburg der Vergolder ist im Süden der Republik. Das liegt an den Kirchen, in denen viele Malereien prunkvoll vergoldet sind, während in Norddeutschland kühle Sachlichkeit vorherrscht. „Dort ist man aufgeschlossener für die alte Handwerkstechnik“, sagt Heine. Auch das theoretische Know-how wird nur dort vermittelt. Deshalb besuchte sie die Berufsschule in München, pro Ausbildungsjahr für zehn Wochen. „Nur dort bekommt man Techniken vermittelt, die ich sonst nicht gelernt hätte, wenn ich auf eine Berufsschule in Hamburg gegangen wäre.“ Neben Bilderrahmen hat sie auch schon Figuren vergoldet.
Die nicht gerade goldenen Aussichten der Branche stören sie weniger, wenn sie von ihren Plänen spricht. Im Moment spart sie auf den Meisterkurs, den sie auch in München absolvieren muss. „Ich kann mir vorstellen, eines Tages einen Vergolder-Betrieb zu übernehmen“, sagt Heine. Wenn das in Hamburg nicht klappt, will sie nach Süddeutschland. „Oder ich arbeite als Restaurator, da gibt es immer Arbeit.“